Steuererklärung unmittelbar vor Ablauf der Festsetzungsfrist

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur durchgeführt, wenn eine der Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG vorliegt.

In diesem Fall ist grundsätzlich innerhalb von 7 Jahren eine Festsetzung der Einkommensteuer möglich (Anlaufhemmung 3 Jahre + Festsetzungsfrist 4 Jahre).

Hierzu gehört beispielweise die Konstellation, in der die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, oder die positive Summe der Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, jeweils mehr als 410 EUR beträgt.

Steuererklärung kurz vor Ablauf der 7 Jahre

Das FG Hessen und nachfolgend der BFH hatten einen Fall zu entscheiden, in dem die Steuererklärung kurz vor Ablauf der 7 Jahre beim Finanzamt eingereicht wurde.

Der Kläger reichte am 30.12.2019 für das Streitjahr 2012 eine Einkommensteuererklärung für sich und seine Ehefrau beim Finanzamt ein. Darin erklärte er Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit, von denen ein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden war. Darüber hinaus erklärte er Renteneinkünfte in Höhe von 1.563 EUR sowie gewerbliche Einkünfte in Höhe von ./. 3.678 EUR. Die Summe dieser zusätzlichen Einkünfte löste keinen Pflichtveranlagungsgrund aus; da das FG aber nachträglich zu dem Ergebnis kam, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur ./. 163 EUR betrugen, war der Schwellenwert i. H. von 410 EUR überschritten, sodass die Voraussetzung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt war.  

Aufgrund dessen kam das FG zu der Schlussfolgerung, dass die Festsetzungsfrist gewahrt ist, weil der Kläger die Einkommensteuererklärung innerhalb dieser Frist (7 Jahre) beim Finanzamt eingereicht hat.

Revision durch Finanzamt

Mit seiner Revision machte das Finanzamt geltend, das FG habe sich nicht mit der Regelung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auseinandergesetzt. Danach komme es für die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht auf die Einreichung der Steuererklärung an, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlasse.

BFH: FG hat § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO übersehen

So sieht es auch der BFH. Das FG habe die für den Streitfall grundlegende Rechtsnorm des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO übersehen, wonach für die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht die Einreichung der Steuererklärung maßgeblich ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlässt.

Aufgrund des Pflichtveranlagungsgrunds richtet sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Danach beginnt die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Da der Kläger innerhalb der dreijährigen Frist zunächst keine Steuererklärung eingereicht hat und die Einkommensteuer 2012 mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 2012 entstanden ist, begann die Festsetzungsfrist unter Berücksichtigung der dreijährigen Anlaufhemmung mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 2015 (31.12.2015). Die gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vierjährige Festsetzungsfrist endete damit am 31.12.2019.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger zwar seine Einkommensteuererklärung 2012 beim Finanzamt eingereicht. Hierauf kommt es jedoch entgegen der Rechtsauffassung des FG nicht an. Vielmehr hätte zur Wahrung der Festsetzungsfrist der Einkommensteuerbescheid 2012 den Bereich des Finanzamts verlassen müssen (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO). Dies ist nicht geschehen. Die reguläre Festsetzungsfrist ist daher am 31.12.2019 abgelaufen.

Hinweis: Ablaufhemmung bei Antragsveranlagung

Nicht anwendbar ist die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO. Nach dieser Regelung läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor unanfechtbar über einen vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellten Antrag auf Steuerfestsetzung entschieden ist. Dies wäre bei einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (z. B. bei Ehegatten/nur Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit/Steuerklasse IV/IV) der Fall. Hier reicht es aus, wenn der Antrag auf Veranlagung kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Finanzamt eingeht (z. B. 2012 Abgabe bis 31.12.2016). Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuer- oder Feststellungserklärung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung allerdings nicht als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO anzusehen.