Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagefristbeginn bei Übersendung eines Abdrucks der Einspruchsentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Auch wenn die Bekanntgabe (der Einspruchsentscheidung) an den Steuerpflichtigen persönlich nach eindeutiger Anwalts-Empfangsvollmacht unwirksam war, wird die Bekanntgabe geheilt durch die gleichzeitige Übersendung eines Abdrucks an die Bevollmächtigten.
  2. Über den ursprünglichen Bekanntgabewillen hinaus ist es nicht erforderlich, dass der handelnde Finanzbeamte sich über die Heilungswirkung der Abdruck-Übersendung im Klaren ist.
  3. Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Klagefrist kann nicht auf eine mangelnde Belehrung der Bevollmächtigten über die Bekanntgabeheilung gestützt werden.
 

Normenkette

AO § 80 Abs. 3 S. 3, § 122 Abs. 1 Satz 2; FGO § 56; VwZG § 8

 

Tatbestand

A.

I. Streitig ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht, ob die Klagefrist versäumt worden ist, nachdem die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Kopie der Einspruchsentscheidung erhalten haben.

II. Aufgrund Steuerberichts der Steuerfahndung vom 23. April 2009 änderte der Beklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuerveranlagungen der Streitjahre mit Bescheiden vom 8. Juni 2009 (Steuerstraf-Ermittlungsakte --Steufa-A-- Bl. 169, Rechtsbehelfs-Akte --Rb-A-- Bl. 7, 9, 11).

Der Kläger legte am 17. Juni 2009 durch Anwaltsschreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten Einspruch ein. Beigefügt war eine "Vollmacht gemäß §§ 81 ff. ZPO" (Rb-A Bl. 3). "Diese erstreckt sich insbesondere auf folgende Befugnisse: ... 3.Entgegennahme von Zustellungen und sonstigen Mitteilungen, Einlegung und Rücknahme sowie Verzicht von Rechtsmitteln ..."

Mit Einspruchsentscheidung vom 04. September 2009 wies das FA die Einsprüche unter Hinweis auf ihre fehlende Begründung als unbegründet zurück. Es adressierte die Einspruchsentscheidung an den Kläger und vermerkte die Absendung (mit einfacher Post) an diesen am selben Tag (Rb-A Bl. 28, 29).

Zugleich fertigte das FA ein Schreiben zur Übersendung der Einspruchsentscheidung an die anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers (Rb-A Bl. 30; Verhandlungsprotokoll S. 2, Finanzgerichts-Akte --FG-A-- Bl. 63): "... anliegend erhalten Sie einen Abdruck der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2009, die ihrem Mandanten mit gleichem Datum bekannt gegeben wird."

Dieses Begleitschreiben mit einem vollständigen Abdruck der Einspruchsentscheidung einschließlich Rechtsmittelbelehrung ging nach Absendung Freitag

04. September 2009 durch einfache Post mit Eingangsstempel (des dritten Tags danach) Montag 07. September 2009 im Anwaltsbüro ein (Rb-A Bl. 30; Anlage K 4; Verhandlungsprotokoll S. 3, FG-A Bl. 63).

Bezug nehmend auf ein Telefonat mit dem Kläger vom 10. Oktober 2009 übersandte sein Anwalt eine Kopie der ihm bereits übersandten Einspruchsentscheidung mit Schreiben vom 21. Oktober 2009 an den Kläger. Zugleich bat der Anwalt den Kläger um schriftliche Bestätigung, dass letzterer das Original der Einspruchsentscheidung nicht erhalten und von ihrem Inhalt erst durch dieses Schreiben Kenntnis erlangt habe; der Kläger antwortete entsprechend mit Fax vom 28. Oktober 2009 (Anlagen K 5 - K 6).

III. Die danach mit Datum vom 02. November 2009 gefertigte Klage ist am 03. November 2009 beim Finanzgericht (FG) eingegangen (FG-A Bl. 1).

Der Kläger trägt zur Begründung in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor (FG-A Bl. 1, 63):

Er habe die Einspruchsentscheidung nicht vor der anwaltlichen Übersendung an ihn erhalten. Gegen eine Bekanntgabe zu Händen der Prozessbevollmächtigten spreche die Formulierung im Begleitschreiben, wonach die Einspruchsentscheidung dem Mandanten bekanntgegeben worden sei und nicht "auch" den Bevollmächtigten.

Der Kläger beantragt (FG-A Bl. 14=23, 64),

die Einkommensteuer-Änderungsbescheide 2003 bis 2005 vom 08. Juni 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04. September 2009 dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen jeweils auf null Euro herabgesetzt werden, oder die genannten Bescheide aufzuheben.

Das FA beantragt (FG-A Bl. 6, 64),

die Klage abzuweisen

Das FA trägt in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor (FG-A Bl. 63): Durch Übersendung der Einspruchsentscheidung an die Bevollmächtigten des Klägers müsse diesen klar geworden sein, dass die Klagefrist zu laufen begonnen habe. Im Übrigen hätten die Prozessbevollmächtigten den Mandanten fragen können, wann die Einspruchsentscheidung ihm oder ob sie ihm möglicherweise noch eher bekannt gegeben worden sei und was zu unternehmen sei.

IV. Das Gericht hat den Rechtsstreit mit Senatsbeschluss vom 03. Dezember 2009 auf den Einzelrichter übertragen.

Ergänzend wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02. Februar 2010 und auf die übrigen oben angeführten Vorgänge und die damit zusammenhängenden Unterlagen aus der Finanzgerichts-Akte (FG-A) sowie aus folgenden Steuerakten: Steuerstraf-Ermittlungsakte (Steufa-A) nebst Beiheften II, IV und X, Rechtsbehelfs-Akte (Rb-A).

 

Entscheidungsgründe

B.

I.

Die Klage ist unzulässig wegen Versäumung d...

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