OFD Magdeburg, 1.3.2005, S 0223 - 2 - St 251

 

1. Allgemeines

Gem. § 88 Abs. 1 Satz 1 AO ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen, bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen und ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (Untersuchungsgrundsatz). Der Umfang dieser Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (§ 88 Abs. 1 Satz 2 AO).

Vergleiche über Steueransprüche sind im Hinblick auf das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht möglich. Jedoch dient es in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung unter bestimmten Voraussetzungen der Förderung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens und auch dem Rechtsfrieden, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S. des § 88 AO einvernehmlich festzulegen (vgl. auch AEAO zu § 88, Nr. 1).

Solche Vereinbarungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde über den der Besteuerung zu Grunde zu legenden Sachverhalt werden als „tatsächliche Verständigungen” bezeichnet. Sie können nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 11.12.1984, VIII R 131/6, BStBl 1985 II S. 354, vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45 und vom 6.2.1991, I R 13/86, BStBl 1991 II S. 673) in jedem Verfahrensabschnitt, auch anlässlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens, getroffen werden. Von einer solchen Vereinbarung kann auch bei Steuerfahndungsprüfungen bzw. nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens Gebrauch gemacht werden.

Beabsichtigen die Beteiligten, sich auf diese Weise über eine bestimmte Sachbehandlung zu verständigen, sind folgende Grundsätze zu beachten:

 

2. Zulässigkeit

2.1 Die tatsächliche Verständigung ist ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig. In Schätzungsfällen kann eine tatsächliche Verständigung über die Besteuerungsgrundlage selbst oder das einzuschlagende Schätzungsverfahren getroffen werden (BFH-Urteil vom 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl 1985 II S. 354, 358).

2.2 Die tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig

  • zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen,
  • über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,
  • über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften und
  • wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.
 

3. Voraussetzungen

Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur

  • mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand und/oder
  • mit überdurchschnittlicher Zeitdauer

ermitteln lassen.

Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maß das FA durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet.

 

4. Anwendungsbereich

4.1 Die tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ein

  • Schätzungsspielraum,
  • Bewertungsspielraum,
  • Beurteilungsspielraum oder
  • Beweiswürdigungsspielraum

besteht.

4.2 Die tatsächliche Verständigung unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft dadurch, dass sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte bezieht (BFH-Urteil vom 6.3.1997, IV R 21/96, BFH/NV 1997 S. 762). Wirkt sich der in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Sachverhalt auch in der Zukunft aus, tritt, sofern die tatsächlichen Verhältnisse gleich bleiben, insoweit ebenfalls eine Bindung ein (BFH-Urteil vom 13.8.1997, I R 12/97, BFH/NV 1998 S. 498).

4.3 Hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen, die von der tatsächlichen Verständigung nicht umfasst sind, bestehen die gesetzlich festgelegten Pflichten des Finanzamts zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§§ 85, 88 AO), des Steuerpflichtigen zur Mitwirkung (§ 90 AO) sowie des Finanzamts und des Finanzgerichts zur Schätzung nicht ermittelbarer Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO, § 96 Abs. 1 FGO) fort.

 

5. Verfahren

5.1 Die Beteiligten müssen zu einer abschließenden Regelung befugt sein.

5.1.1 Wird der Steuerpflichtige vertreten, muss eine entsprechende Vollmacht vorliegen. Eine uneingeschränkte Vollmacht gem. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfasst auch die Befugnis zu einer tatsächlichen Verständigung.

5.1.2 Auf Seiten des Finanzamts muss der für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständige Amtsträger beteiligt sein (vgl. BFH-Urteile vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45, vom 23.5.1991, V R 1/88, BFH/NV 1991 S. 846 und vom 28.7.1993, XI R 68/92, BFH/NV 1994 S. 290). Das ist regelmäßig der Vorsteher, daneben der zuständige Sachgebietsleiter des Veranlagungsbereichs oder der für die Außenprüfung zuständige Sachgebietsleiter, wenn diese Stelle die Prüfungsfeststellungen selbst a...

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