OFD Hannover, 8.1.2008, S 0223 - 19 - StO 143

In Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung dient es unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können (Nr. 1 Abs. 2 letzter Satz des Anwendungserlasses zu § 88 AO).

Diese tatsächliche Verständigung kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl 1985 II S. 354, vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45 und vom 6.2.1991, I R 13/86, BStBl 1991 II S. 673) in jedem Stadium des Veranlassungsverfahrens, insbesondere auch anlässlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahrens getroffen werden. Von ihr kann auch bei Steuerfahndungsprüfungen bzw. nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens Gebrauch gemacht werden (vgl. Tz. 7.1). Beabsichtigen die Beteiligten, sich auf diese Weise über eine bestimmte Sachbehandlung zu verständigen, so sind die folgenden Grundsätze zu beachten:

 

1. Zulässigkeit

1.1 Die tatsächliche Verständigung ist ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig.

1.2 Die tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig

  • zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen,
  • über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,
  • über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften und
  • wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Eine tatsächliche Verständigung, ist aber insoweit möglich, als im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung über eine Vorfrage zum Sachverhalt zu entscheiden ist (vgl. BFH-Urteile vom 13.8.1997, l R 12/97, BFH/NV 1998 S. 498 und vom 1.2.2001, IV R 3/00, BStBl 2001 II S. 520).

 

2. Voraussetzung

Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur

  • mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand und/oder
  • mit überdurchschnittlicher Zeitdauer ermitteln lassen.

Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maß das FA durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet.

 

3. Anwendungsbereich

3.1 Eine tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ein

  • Schätzungsspielraum
  • Bewertungsspielraum
  • Beurteilungsspielraum oder
  • Beweiswürdigungsspielraum besteht.

3.2 Die tatsächliche Verständigung unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft dadurch, dass sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte bezieht. Wirkt sich der in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Sachverhalt auch in der Zukunft aus, tritt insoweit ebenfalls eine Bindung ein. Das ist z.B. der Fall bei der Festlegung der Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 26.3.1992, EFG 1992 S. 706) oder der Abgrenzung von Erhaltungs- und Herstellungsaufwendungen (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22.6.1990, EFG 1991 S. 59).

 

4. Durchführung

Die tatsächliche Verständigung dient der Herstellung des Rechtsfriedens bei gleichzeitiger Beschränkung des Arbeits- und Zeitaufwands auf ein vertretbares Maß. Sie ist nur bei gewichtigen, nicht (weiter) aufklärbaren Sachverhalten vorzunehmen. Die Abgrenzung zu nicht gewichtigen Sachverhalten hat sich nach der Bedeutung des Gesamtsteuerfalles zu orientieren, wobei nicht kleinlich zu verfahren ist.

Folgendes ist zu beachten:

4.1 Die Beteiligten müssen zu einer abschließenden Regelung befugt sein.

4.1.1 Auf Seiten der Steuerpflichtigen sind dies die Steuerpflichtigen selbst (§ 33 AO) und die in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen. Bei Vertretungen durch einen Bevollmächtigten (§ 80 Abs. 1 Satz 1 AO) muss eine entsprechende Vollmacht vorliegen. Eine uneingeschränkte Vollmacht gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfasst auch die Befugnis zu einer tatsächlichen Verständigung.

4.1.2 Auf Seiten des Finanzamts muss ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt sein. Das ist regelmäßig der Vorsteher, daneben der zuständige Sachgebietsleiter des Veranlagungsbereichs oder der für die Außenprüfung zuständige Sachgebietsleiter, wenn diese Stelle die Prüfungsfeststellungen selbst auswertet; unter Umständen kommt auch der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfstelle in Betracht, soweit die Verständigung im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens getroffen wird (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 5.10.1990 und 6.2.1991 sowie BFH-Urteil vom 28.7.1993, XI R 68/92, BFH/NV 1994 S. 290).

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