Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit und Grundlage der "tatsächlichen Verständigung" - "tatsächliche Verständigung" kein Rechtsbehelfsverzicht in gesamter Steuerangelegenheit - Gebot des Grundsatzes von Treu und Glauben im Steuerrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine "tatsächliche Verständigung" zwischen dem Steuerpflichtigen und der zuständigen Finanzbehörde über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten, die der Besteuerung ―insbesondere in Schätzungsfällen― zugrunde zu legen sind, ist grundsätzlich zulässig (Anschluß an die BFH-Urteile vom 11.Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354, und vom 5.Oktober 1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl II 1991, 45).

2. Eine "tatsächliche Verständigung" ist auch zu beachten, wenn die maßgebenden Erklärungen vor dem FA während der Schlußbesprechung nach einer Außenprüfung für den Steuerpflichtigen und für das FA wirksam abgegeben werden.

3. Eine "tatsächliche Verständigung" hat ihre (Ausgangs-)Grundlage in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA. Sie bindet die daran Beteiligten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben.

 

Orientierungssatz

1. Eine "tatsächliche Verständigung" zwischen Steuerpflichtigen und FA als Vereinbarung über eine bestimmte Sachbehandlung ist grundsätzlich in jedem Stadium des Steuerveranlagungsverfahrens, insbesondere bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, aber auch noch während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens oder Rechtsmittelverfahrens zulässig.

2. Der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannte Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, daß im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzt, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er unwiderrufbar disponiert hat (vgl. BFH-Urteil vom 4.11.1975 VII R 28/72; Literatur).

3. NV: Mit einer "tatsächlichen Verständigung" zwischen Steuerpflichtigen und FA über (Teil-)Sachverhaltsbereiche wird grundsätzlich nicht auf einen Rechtsbehelf in der gesamten Steuerangelegenheit verzichtet (Literatur).

 

Normenkette

AO 1977 §§ 85, 88, § 88 ff., §§ 90, 90ff, 162, 354

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes (Entscheidung vom 11.12.1985; Aktenzeichen I 215/84)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war mit Vertrag … 1978 unter der Firma … gegründet und 1982 in … umbenannt worden. … Eine für die Streitjahre (1978 bis 1980) angeordnete Außenprüfung bei der Klägerin ergab, daß nach den Berechnungen der Betriebsprüferin die erklärten Rohgewinnaufschläge (1978: 147 %; 1979: 151 %; 1980: 168 %) auf die Wareneinsätze und damit auf die erklärten Umsätze von der Klägerin zu niedrig angegeben waren. Die Betriebsprüferin ermittelte dagegen einen (durchschnittlichen) Rohgewinnaufschlagssatz von 266 %. Während einer Besprechung mit dem damaligen Steuerberater der Klägerin konnte dieser darlegen, daß dieser Aufschlag wegen der Beschäftigung fremder Arbeitskräfte, Zechprellerei usw. zu hoch war. Im Einvernehmen mit dem Berater wurde ein Rohgewinnaufschlagssatz von 200 % als zutreffend angesehen. Dementsprechend ergaben sich Mehrumsätze = verdeckte Gewinnausschüttungen an den Gesellschafter-Geschäftsführer (1978: 25 000 DM; 1979: 77 000 DM; 1980: 38 000 DM). …

In der Schlußbesprechung am 18.Mai 1982, an der u.a. für den Gesellschafter-Geschäftsführer der damalige Steuerberater und die für die Außenprüfung und die Steuerveranlagung zuständigen Beamten des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) beteiligt waren, wurde ―wie in Tz.8 des Betriebsprüfungsberichts angegeben― "Übereinstimmung" erzielt. Gegen den Bericht, der der Klägerin zu Händen ihres Geschäftsführers vor der Auswertung am … zugestellt worden war, wurden keine Einwendungen erhoben. Das FA gab die gemäß § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Körperschaftsteuerbescheide im Oktober 1982 zur Post.

Der damalige Steuerberater der Klägerin legte dagegen am … Einsprüche ein, die allein auf die damals geplante Änderung der §§ 27 bis 29 des Körperschaftsteuergesetzes 1977 (KStG 1977) gestützt waren.

Mit Schreiben vom 28.Juni 1983 wandten sich erstmals die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gegen die sachlichen Feststellungen der Außenprüfung. Der Gesellschafter-Geschäftsführer habe an der Schlußbesprechung nicht teilgenommen und den Schätzungen nicht zugestimmt. …

Mit seiner Einspruchsentscheidung … gab das FA den Einsprüchen der Klägerin nur insoweit statt, als die verdeckten Gewinnausschüttungen entsprechend den geänderten Fassungen des KStG besteuert wurden; im übrigen hielt das FA an den Feststellungen der Außenprüfung fest.

Die Klage der Klägerin blieb erfolglos. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 214 abgedruckt.

Mit ihrer vom FG in seinem Urteil zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. …

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Rechtsmittel war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG hat die (aufgrund der Ergebnisse der Außenprüfung ergangenen) Änderungsbescheide in Gestalt der (die Änderungen der §§ 27 bis 29 KStG 1977 berücksichtigenden) Einspruchsentscheidung zutreffend als rechtmäßig angesehen. Die Klägerin wird durch sie nicht in ihren Rechten verletzt.

1. …

2. Das FA hat den Körperschaftsteuerfestsetzungen für die Streitjahre als zu versteuerndes Einkommen zutreffend die Beträge zugrunde gelegt, die sich aufgrund und entsprechend der "tatsächlichen Verständigung" in der Schlußbesprechung zur Außenprüfung sowie der sonstigen Feststellungen ergeben haben; das FG hat das rechtsfehlerfrei gebilligt.

a) Die von den Beteiligten in der Schlußbesprechung am 18.Mai 1982 einvernehmlich vereinbarten Regelungen für den Bereich der Sachverhaltsermittlungen sind steuerrechtlich zulässig.

Der VIII.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in seinem Urteil vom 11.Dezember 1984 VIII R 131/76 (BFHE 142, 549, 553 ff., BStBl II 1985, 354 unter 3.) "tatsächliche Verständigungen" im Steuerrecht grundsätzlich anerkannt. In dieser Entscheidung wird unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH u.a. dargelegt, daß Vergleiche über Steueransprüche wegen der Gesetzmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht möglich sind, es dagegen der "Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden" dient, in besonderen Fällen Vereinbarungen über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten (nicht aber über das anzuwendende Recht) zuzulassen. Eine solche "tatsächliche Verständigung" betreffe in der Regel (nur) einen Ausschnitt aus dem gesamten Besteuerungssachverhalt und müsse in die hoheitliche Steuerfestsetzung umgesetzt werden. Für solche Regelungen bestehe in der Besteuerungspraxis der FÄ, insbesondere in Schätzungsfällen, ein erhebliches Bedürfnis.

Diesen Erwägungen des VIII.Senats ist in einem neueren Urteil der III.Senat des BFH im wesentlichen gefolgt (vgl. Urteil vom 5.Oktober 1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl II 1991, 45). Er hat (zusätzlich) besonders hervorgehoben, Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer "tatsächlichen Verständigung" sei u.a., daß auf seiten der Finanzbehörden ein für die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt sei.

Der erkennende Senat teilt die grundsätzlichen, im Schrifttum allerdings noch nicht einhellig gebilligten (vgl. v. Bornhaupt, Betriebs-Berater ―BB― 1985, 1591; Ruppe, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1985, 684; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 38 AO 1977 Anm.69 ff.; Knepper, BB 1986, 168; Martens, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1986, 97; Rössler, BB 1986, 1075; Sangmeister, BB 1988, 609, 612; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 85 AO 1977 Tz.11; Vogel, Handels- und Steuerrecht, Festschrift für Döllerer, S.677; Wassermeyer, Finanz-Rundschau ―FR― 1987, 513, 521) Rechtsauffassungen des VIII. und des III.Senats, insbesondere bezüglich der Voraussetzungen sowie der Zulässigkeit und der Wirksamkeit einer "tatsächlichen Verständigung". Er verweist wegen der Einzelheiten zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen dieser Senate.

b) Die von den Beteiligten getroffene "tatsächliche Verständigung" ist nicht von vornherein deshalb unbeachtlich, weil sie vor dem FA während der Schlußbesprechung nach einer Außenprüfung vereinbart worden ist.

"Tatsächliche Verständigungen" sind ―bei Vorliegen der Voraussetzungen― als Vereinbarungen über eine bestimmte Sachbehandlung grundsätzlich jederzeit zulässig, nämlich immer dann, wenn bestimmte Sachbehandlungen in Frage stehen und deren (endgültige) Klärung notwendig ist, um die Festsetzung der Steuer zu fördern. Das kann in jedem Stadium des Steuerveranlagungsverfahrens gegeben sein, insbesondere bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, aber auch noch während eines anhängigen Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens. Es kann ―wie v. Bornhaupt (BB 1985, 1591 unter Nr.3 unter Hinweis auf die Anmerkung zu dem Urteil des VIII.Senats in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1985, 213, 214 zu Nr.3) zutreffend betont― "rechtlich keinen Unterschied machen, ob eine solche "tatsächliche Verständigung" erst während des gerichtlichen Verfahrens oder bei einer Außenprüfung "von vornherein" erzielt wurde". Auch Ruppel (a.a.O., unter 3., S.685) sieht keinen Grund, "die bindende Einigung nicht auch schon vor Durchführung der Veranlagung zuzulassen". Der Senat hält es für die praktische Arbeit der Finanzverwaltung für sachdienlich, (u.a.) gerade in einer Besprechung über die Ergebnisse einer Außenprüfung (Schlußbesprechung) in nicht, nur schwierig oder nur unter erheblichem und unangemessenem Aufwand aufklärbaren Fällen durch eine beiderseitige Verständigung eine bestimmte Behandlung von Sachverhalten (Sachverhaltsbereichen) zu erreichen, die für die Steuerfestsetzung erheblich ist. Dazu ist es nicht erforderlich, daß eine entsprechende Anregung (erst) von dem FG in einem finanzgerichtlichen Verfahren ausgeht. Eine solche Anregung kann auch schon in einem früheren Stadium des Besteuerungsverfahrens von dem Steuerpflichtigen, dem FA oder von beiden ausgehen und eine entsprechende "tatsächliche Verständigung" von diesen daraufhin getroffen werden.

c) Die Voraussetzungen, die vom BFH in dem Urteil in BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354 für eine zulässige und wirksame "tatsächliche Verständigung" aufgeführt werden (vgl. dazu die Anmerkung zu diesem Urteil in HFR 1985, 213 unter 2. d S.214) sind im Streitfall gegeben.

Die Klägerin war in der Schlußbesprechung am 18.Mai 1982 durch ihren damaligen Steuerberater rechtswirksam vertreten, die Finanzbehörde u.a. durch die für die Veranlagung der Klägerin zuständigen Bediensteten. Die maßgebenden Erklärungen sind deshalb für die Klägerin und für das FA wirksam abgegeben worden. Die Beteiligten haben sich über den Rohgewinnaufschlagssatz und über die …, also über die Behandlung bestimmter (Teil-)Sachverhalte im tatsächlichen Bereich und nicht über rechtliche Streitfragen verständigt. Daß ohne diese Verständigung eine Sachverhaltsermittlung erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gewesen wäre, ist unter den gegebenen Umständen offensichtlich. Wie die Klägerin in ihrem Revisionsvorbringen selbst einräumt, mußte für die Nachkalkulation mangels geeigneter und zeitgerechter Unterlagen auf die Preisliste von 1981 zurückgegriffen werden; über behauptete Veruntreuungen durch das Personal fehlte es an konkreten Anhaltspunkten; … Damit war eine sichere Feststellung der (Teil-)Besteuerungsgrundlagen trotz der Bemühungen um Aufklärung während der Außenprüfung nicht möglich. Sie konnten insoweit nur in einem Schätzungsverfahren (§ 162 AO 1977) nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen ermittelt werden. Schließlich führt die vereinbarte "tatsächliche Verständigung" nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Das hat das FG in seiner angefochtenen Entscheidung überzeugend dargelegt. An diese Würdigungen tatsächlicher Art ist der Senat mangels insoweit begründeter Rügen … gebunden (§ 118 Abs.2 FGO). Sie lassen weder einen Verstoß gegen Denkgesetze noch einen solchen gegen Erfahrungssätze erkennen.

d) Die zulässige und wirksame "tatsächliche Verständigung" war für die Klägerin und das FA bindend.

Diese Vereinbarungen haben ihre (Ausgangs-)Grundlage in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem FA. Aus ihm ergaben sich die gesetzlich festgelegten Pflichten des FA zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§§ 88 ff. AO 1977) und die entsprechenden Pflichten der Klägerin zur Mitwirkung dabei (§§ 90 ff. AO 1977). Beiden Beteiligten an dem Rechtsverhältnis oblag es danach, alles zu tun, um den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt zu ermitteln. Diese Verpflichtungen hinsichtlich der Besteuerung blieben für die Beteiligten grundsätzlich auch dann bestehen, wenn sich ―aus welchen Gründen auch immer― einzelne Sachverhaltsbereiche nicht oder nicht genügend aufklären oder sonst berechnen ließen: Die Beteiligten sollen auch dann nicht aus ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Ermittlung des Sachverhalts entlassen werden. Die sich ergebenden endgültigen Mängel haben die Beteiligten vielmehr mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen auszugleichen und ein der Wahrscheinlichkeit nahekommendes Ergebnis zu erreichen. Das FA war unter diesen Umständen verpflichtet, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen (§ 162 AO 1977; vgl. dazu BFH-Urteil vom 15.Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Dieses Verfahren gestattete es dem FA, sich mit einem geringeren Grad an Überzeugung zu begnügen, und soll aufgrund des aufklärbaren Sachverhalts und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Falles zu den Besteuerungsgrundlagen führen, die dem Grunde und der Höhe nach wahrscheinlich sind. Dabei lassen sich entsprechend dem Charakter eines solchen Verfahrens gewisse Ungenauigkeiten nicht ausschließen. Deren weitgehender Vermeidung trägt die "tatsächliche Verständigung" Rechnung, deren Inhalt nach dem klaren Willen und den eindeutigen Erklärungen der für die Beteiligten handelnden Personen die Unsicherheiten und Ungenauigkeiten bezüglich der Besteuerungsgrundlagen "Rohgewinnaufschlagssätze" und … mit dem Ziel hoher Wahrscheinlichkeit beseitigen sollten und beseitigt haben.

An dieser zulässigen und wirksamen (s. oben a und b) "tatsächlichen Verständigung" müssen sich die Beteiligten festhalten lassen. Das entspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannt ist (BFH-Urteil vom 9.August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, 33 ff., BStBl II 1989, 990). Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, daß im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzt (BFH-Entscheidung vom 4.November 1975 VII R 28/72, BFHE 117, 317, 321), auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er unwiderrufbar disponiert hat (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 12.Aufl., § 21, 4.1., S.654). Das ist von den Beteiligten erfüllt; sie haben die "tatsächliche Verständigung" eingehalten: Das FA hat seinen Veranlagungen für die Streitjahre die (Gesamt-)Ergebnisse seiner Außenprüfung und damit zugleich die der "tatsächlichen Verständigung" zugrunde gelegt; die Klägerin hat die Körperschaftsteuerbescheide ―zunächst― lediglich wegen der damals zu erwartenden Änderung der §§ 27 bis 29 KStG 1977 angefochten. Das widersprach nicht der "tatsächlichen Verständigung". Die Klägerin berücksichtigte mit ihrem Rechtsbehelf diese Vereinbarungen und beanspruchte allein die ihr günstige (damals: kommende) Gesetzesänderung für sich. Mit seiner Einspruchsentscheidung hat das FA den Einsprüchen der Klägerin auch nur insoweit stattgegeben, als die inzwischen ergangenen Gesetzesänderungen das forderten und rechtfertigten; es hat im übrigen seiner geänderten Steuerfestsetzung die Ergebnisse der "tatsächlichen Verständigung" zugrunde gelegt. Das FA hat dabei zu Recht das über die Gesetzesänderung hinausgehende Vorbringen der neuen (und nunmehrigen Prozeß-)Bevollmächtigten der Klägerin im Einspruchsverfahren insoweit unbeachtet gelassen. Das FA war gehalten, ohne weitere Prüfung seiner rechtlichen Beurteilung (u.a.) das Ergebnis der "tatsächlichen Verständigung" zugrunde zu legen. Diese mußte in dem Änderungsbescheid berücksichtigt werden.

3. Demgegenüber vermag das Revisionsvorbringen der Klägerin nicht zu überzeugen.

++/ a) Die Auffassung des FG, die "tatsächliche Verständigung" hinsichtlich des Rohgewinnaufschlagssatzes binde die Beteiligten, ist rechtsfehlerfrei und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war der damalige Steuerberater, der die Klägerin in der Schlußbesprechung vertreten hat, wirksam bevollmächtigt; seine Erklärungen in der Schlußbesprechung wirkten unmittelbar für und gegen die Klägerin. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, ob der gesetzliche Vertreter der Klägerin mit deren Bevollmächtigten die Prüfungsergebnisse intern erörtern wollte oder tatsächlich erörtert hat. Das hat das FG im einzelnen ohne Rechtsirrtum dargelegt; dem ist nichts hinzuzufügen.

b) Wie der Senat unter 2.b) ausgeführt hat, ist eine "tatsächliche Verständigung" zwischen den Beteiligten steuerrechtlich auch schon vor der (Änderungs-)Veranlagung zulässig. Es bedarf dazu entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erst der Anregung eines FG während eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens. Deshalb ist in diesem Zusammenhang das BFH-Urteil vom 31.Januar 1956 I 111/54 U (BStBl III 1956, 86) ohne Bedeutung.

c) Für das Bestehen einer Bindung führt die Klägerin ―offenbar in Anlehnung an v. Bornhaupt (BB 1985, 1591, unter 5., S.1592)― zu Unrecht das Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfsverzichts (§ 354 AO 1977) an. Nach Auffassung des Senats (s. oben 2. d) beruht die Bindung der "tatsächlichen Verständigung" für die Beteiligten auf dem Grundsatz von Treu und Glauben. Eines Rechtsbehelfsverzichts bedarf es für deren Eintritt nicht. Auf das Fehlen der Schriftform (§ 354 Abs.2 Satz 1 AO 1977) kommt es deshalb nicht an. Im übrigen weisen Klein/Orlopp (Abgabenordnung, 4.Aufl., 1989, § 78 Anm.4) zu Recht darauf hin, daß mit einer "tatsächlichen Verständigung" über (Teil-)Sachverhaltsbereiche grundsätzlich nicht auf einen Rechtsbehelf in der gesamten Steuerangelegenheit verzichtet werde.

d) Auch die Voraussetzung der erschwerten Sachverhaltsermittlung ist für die zustande gekommene "tatsächliche Verständigung" im Streitfall gegeben. Zwar hat das FG diese Voraussetzung in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgehoben. Es hat aber im Zusammenhang mit der von der Prüferin notwendig vorgenommenen Nachkalkulation auf "die beigezogenen Betriebsprüfungsakten insoweit" Bezug genommen. Aus den darin enthaltenen Zusammenstellungen, Berechnungen und Preisliste 1981 ergibt sich, daß im Streitfall eine der Wahrscheinlichkeit nahekommende Sachverhaltsermittlung erschwert, wenn nicht sogar ausgeschlossen war. Unter den gegebenen Umständen konnte das FG hinsichtlich dieser Voraussetzung von eigenen, ausdrücklichen Feststellungen absehen und sich mit der Verweisung auf die beigezogenen und damit auch der Klägerin zugänglichen Betriebsprüfungsunterlagen begnügen. /++

 

Fundstellen

Haufe-Index 63559

BFH/NV 1991, 53

BStBl II 1991, 673

BFHE 164, 168

BFHE 1992, 168

BB 1991, 1555

BB 1991, 1555-1557 (LT)

DB 1991, 1710-1712 (LT)

DStR 1991, 1047 (KT)

HFR 1991, 571 (LT)

StE 1991, 256 (K)

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