Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung: Das Steuergeheimnis ist Ausfluss der informationellen Selbstbestimmung (vgl. Wenzel, AO-StB 2023, 85), welches sich aus den Grundrechten der Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ableitet (ausf. Schmidt, Grundrechte, 26. Aufl. 2021, Rz. 270 ff.). Es ist als grundrechtliches Abwehrrecht ausgeformt und erfordert den Datenschutz seitens des Staates. Mit ihm soll sichergestellt werden, dass der Staat nur solche Daten erheben und weiterverarbeiten darf, für die er eine rechtliche Befugnis hat. Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ist für das rechtsstaatliche Zusammenleben und die demokratische Ausformung des Staates unabdingbar. Mit diesem Grundrechtsschutz werden diktatorische Strukturen wie z.B. in China verhindert, in denen die Bürger permanent an jedem Ort überwacht werden (können), um die gesammelten Daten gegen die Bürger lenkend zu verwenden.

Daher wird zu Recht durch die Finanzverwaltung das in § 30 Abs. 1, 2 AO gesetzlich vorgesehene Steuergeheimnis ernst genommen und bei Erhebung bzw. Verwendung von Daten deren Zulässigkeit kritisch hinterfragt. Allerdings ist in der praktischen Umsetzung durch Teile der Ministerialbürokratie eine einseitige und dem Verfassungskonstrukt nicht angemessene Anwendung und praktische Umsetzung erkennbar, da auch dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist.

Verfassungsimmanente Schranke: Als verfassungsimmanente Schranke der informationellen Selbstbestimmung und damit des Steuergeheimnisses ist primär die verfassungsrechtlich verankerte Verpflichtung zur effektiven Strafverfolgung zu beachten. Die Verfassung gibt strukturell eine lückenlose und funktionierende Strafverfolgung vor, bei der die Durchsetzung des materiellen Strafanspruches strafprozessual sicherzustellen ist (vgl. ausf. Beulke in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Aufl. 2023, Einleitung Rz. 5 f.; Roxin/Schünemann, Strafprozessrecht, 30. Aufl. 2022, § 14 Rz. 1 ff.). Die informationelle Selbstbestimmung hat diesem Strafanspruch insoweit Rechnung zu tragen, als die Ermittlungen nicht unzulässigerweise eingeschränkt oder behindert werden dürfen. Dieses komplexe Spannungsverhältnis ist im Rahmen der verfassungsrechtlichen Konkordanz aufzulösen und eine verfassungsrechtlich gebotene sowie verhältnismäßige Anwendung sicherzustellen, bei denen die widerstreitenden Interessen gegeneinander abgewogen angewandt werden.

Staatliche Pflicht zur Verhinderung von Gefährdungslagen: Im Zuge der Konkordanz ist zudem auch z.B. bei publikumswirksamen Ermittlungsmaßnahmen die verfassungsrechtlich besonders geschützte körperliche Integrität der Ermittlungspersonen sowie Dritter gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einzubeziehen. Der Schutz des Lebens und der Gesundheit ist ein wichtiges Abwehrrecht der natürlichen Person gegenüber dem Staat. Dieser hat jedoch von sich aus zugleich die staatliche, vorbeugende Schutzpflicht, Situationen zu entschärfen oder zu verhindern, in denen eine solche Gefahr für eine natürliche Person droht (vgl. Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 2 Abs. 2 Rz. 81 [02/2004]). Der Staat als verfassungsrechtlicher Schutzgarant hat in dem Kontext nicht nur akute bzw. kurz bevorstehende, sondern auch abstrakte Gefährdungslagen zu erkennen und ggf. aktiv zu vermeiden (vgl. Schmidt, Grundrechte, 26. Aufl. 2021 Rz. 305). Zwar ist bei Beamten der Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 4 GG zu beachten, durch den während der Dienstausübung es zu einer Teileinschränkung der körperlichen Unversehrtheit von Beamten kommt (vgl. Hofmann, ZBR 1998, 196, 199 ff.); die Grundrechtseinschränkung findet neben Polizei und Zoll auch für die Steuerfahndung Anwendung, da sie in ihrem Einsatzgebiet des Steuerstrafrechts über § 404 AO polizeiliche Rechte und damit polizeiliche Tätigkeiten ausübt. Die Beamten müssen hierdurch besondere Risikolagen in Kauf nehmen. Allerdings hat der Dienstherr im Gegenzug Sorge dafür zu tragen, dass diese Risikolagen erkannt und möglichst vermeidbar bzw. gesichert durchgeführt werden können (vgl. Lorenz in Bonner Kommentar, Art. 2 GG 157 Rz. 512 [06/2012]). Nur die unvermeidbaren Risikolagen müssen Einsatzkräfte wie Polizei und Steuerfahndung als grundrechtseinschränkend hinnehmen (vgl. Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl/Baßlsperger/Conrad, Beamtenrecht in Bayern, Art. 2 Abs. 2 Rz. 26). Der Dienstherr hat demzufolge besondere Schutzvorkehrungen zu treffen, um potentielle Gefahren für seine Beamten und Dritte zu vermeiden (vgl. Lorenz in Bonner Kommentar, Art. 2 GG 157 Rz. 512 [06/2012]; Starck in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Rz. 224). Insb. hat er für eine sachgerechte Ausrüstung zu sorgen, mit der die Gefahrenlagen bereits im Vorfeld beseitigt oder zumindest entschärft werden können (vgl. Lorenz in Bonner Kommentar, Art. 2 GG 157 Rz. 512 [Lfg. 06/2012]).

Vorrang der körperlichen Integrität der Ermittlungsperson: Während beim Strafanspruch des Staates und der informationellen Selbstbestimmung des Bürgers e...

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