Rz. 54

Der durch § 44 Abs. 2 FGO für das Klageverfahren unterstellte Regelungsverbund von ursprünglichem Verwaltungsakt und Einspruchsentscheidung hat zur Folge, dass die Einspruchsentscheidung grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar ist. Eine nur gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage ist regelmäßig unzulässig.[1]

 

Rz. 55

Da sich die finanzgerichtliche Sachentscheidungsbefugnis sowohl auf den angefochtenen Verwaltungsakt als auch auf die Einspruchsentscheidung erstreckt, besteht i. d. R. auch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung nur der Einspruchsentscheidung mit dem Ziel, das finanzbehördliche Einspruchsverfahren wieder zu eröffnen und damit die Behörde zu einer erneuten Sachentscheidung zu veranlassen. Die gerichtliche Sachentscheidung hat nach § 100 FGO Vorrang.

 

Rz. 56

Ist der Klageantrag dahingehend gestellt, dass sowohl der angefochtene Verwaltungsakt als auch die Einspruchsentscheidung aufgehoben werden sollen, so darf sich das FG nicht auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken.[2] Dieser vorrangigen Entscheidungspflicht kann sich das Gericht nach § 100 Abs. 3 FGO nur bei erforderlicher weiterer Sachaufklärung entziehen. Dies bedeutet umgekehrt, dass Form- oder Verfahrensfehler des Einspruchsverfahrens oder der Einspruchsentscheidung die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung nur dann rechtfertigen können, wenn sie die erforderliche Sachaufklärung verhindert haben.[3] Durch Form- oder Verfahrensfehler soll dem Kläger keine Aufklärungsinstanz verloren gehen.[4]

 

Rz. 57

Die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung ist ausnahmsweise zulässig, wenn

  • der Einspruch als unzulässig verworfen worden ist[5], da dann eine Sachentscheidung und demgemäß Sachverhaltsermittlung nicht erfolgt sind.[6] Umgekehrt ist der Beteiligte regelmäßig nicht beschwert, wenn der unzulässige Einspruch als unbegründet verworfen worden ist.[7]
  • die Einspruchsentscheidung an einen unbeteiligten Dritten gerichtet und dieser dadurch erstmalig beschwert ist.[8]
  • eine Einspruchsentscheidung ergangen ist, obgleich kein Einspruch eingelegt worden ist[9], denn die Behörde hat keine Befugnis, von sich aus ein Einspruchsverfahren zu beginnen und dadurch über einen Verwaltungsakt neu zu entscheiden.
  • die Einspruchsentscheidung gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine selbstständige Beschwer enthält.[10] Diese Situation ist auch gegeben, wenn die Behörde eine Einspruchsentscheidung ohne die nach § 366 AO erforderliche Begründung erlassen hat.[11]
 

Rz. 58

Die gesonderte Anfechtung der Einspruchsentscheidung ist auch dann zulässig, wenn dem Kläger durch den Verlust des Einspruchsverfahrens ein verfahrensrechtlich relevanter Entscheidungsspielraum eingeengt wird, etwa durch eine Verböserung in der Einspruchsentscheidung, ohne dass diese von der Finanzbehörde gem. § 367 Abs. 2 AO angekündigt wurde.[12]

Gleiches gilt im Hinblick auf die eingeschränkte finanzgerichtliche Prüfungsmöglichkeit[13] auch für Ermessensentscheidungen.[14]

 

Rz. 59

Der Klageantrag ist eine Prozesserklärung, deren Inhalt ggf. durch Auslegung zu ermitteln ist. Auch wenn nach der Formulierung nur die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrt wird, ist zu prüfen, ob nicht inhaltlich eine Korrektur des angefochtenen Verwaltungsakts angestrebt wird. Der BFH ist als Revisionsgericht bei der Beurteilung der Prozesserklärung nicht an die Auffassung des FG gebunden.[15] Das FG darf sich, wenn die alleinige Anfechtung der Einspruchsentscheidung nicht zweifelsfrei ist, nicht auf die Aufhebung beschränken.[16]

Das richtige Klagebegehren ist unter Berücksichtigung der Klagebegründung zu ermitteln, sodass die alleinige Bezeichnung der Einspruchsentscheidung i. d. R. unschädlich ist.[17] Die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden.[18]

 

Rz. 60

Bei der – zweifelsfreien – antragsgemäßen Beschränkung auf die Anfechtung der Einspruchsentscheidung ist diese alleiniger Verfahrensgegenstand. Eine spätere Einbeziehung des ursprünglichen Verwaltungsakts ist als Klageänderung nur unter den Voraussetzungen des § 67 FGO zulässig.[19]

 

Rz. 61

Auch wenn die nur gegen die Einspruchsentscheidung erhobene Klage als unzulässig verworfen wird, können der Behörde trotz Obsiegens die Kosten des Klageverfahrens auferlegt werden, wenn sie durch eine unzutreffende Belehrung über die Klage schuldhaft die Kosten verursacht hat.[20]

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