1 Allgemeines

1.1 Zweck der Vorschrift

 

Rz. 1

Die Vorschrift soll durch Bewehrung des § 154 AO dessen Einhaltung mit einer Haftungsregelung unterstützen. Ziel des § 154 AO ist es, das Steueraufkommen zu sichern und zu verhindern, dass durch die Verwendung falscher oder erdichteter Namen bei der Errichtung und Führung von Konten, Schließfächern u. Ä. die Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse erschwert oder unmöglich sowie die Realisierung von Steueransprüchen vereitelt wird. Die in § 154 Abs. 2 AO vorgesehene Verpflichtung des Kontenführers oder Schließfachbereitstellers zur Vergewisserung und zum Festhalten von Identitätsangaben über die Verfügungsberechtigten ist im Übrigen auch durch eine steuerliche Bußgeldvorschrift[1] bewehrt.

Zusätzlich ist das Verbot zur Errichtung von Konten, Vornahme von Buchungen, Verwahrung von Wertsachen und Anmietung eines Schließfachs unter falschem oder erdichtetem Namen[2] abgesichert durch ein Verbot, an den Geschäftspartner ohne Zustimmung des zuständigen Finanzamts die Guthaben, Wertsachen oder den Schließfachinhalt herauszugeben.[3] Dieses Herausgabeverbot (= Kontensperre) ist eine öffentlich-rechtliche Beschränkung der Verfügungsmacht, die mit einer gegenüber dem Steuergläubiger relativen Unwirksamkeit verbunden ist, wenn eine Verfügung über das Guthaben etc. dagegen verstößt.[4] Der Verwaltung soll die Möglichkeit eröffnet werden, auf das Vermögen Zugriff zu nehmen. Wird diese Zugriffsmöglichkeit beseitigt, so kann die Haftung nach § 72 AO eingreifen. Diese beruht vornehmlich auf dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes für pflichtwidriges Verhalten. Deswegen ist auch eine qualifizierte Form des Verschuldens Voraussetzung (vgl. Rz. 6). Die Haftung nach dieser Vorschrift ist insoweit der Haftung nach § 69 AO ähnlich.

[2] § 154 Abs. 1 AO; vgl. BGH v. 18.10.1994, XI ZR 237/93, DB 1995; Hamacher, DB 1995, 2284; Erl. zu § 154 AO.
[4] Z. B. Pfändung des Schwarzgeldkontos; vgl. Mösbauer, INF 1990, 7.

1.2 Art der Haftung

 

Rz. 2

§ 72 AO begründet eine beschränkt persönliche Haftung in Form der Ausfallhaftung.[1] Ob ein Ausfall gegeben ist, steht immer erst dann fest, wenn die Steuerforderung nach dem Bekanntwerden der Vorfälle festgesetzt und fällig wird.[2] Gefährdungen reichen nicht aus.

[1] Vgl. Vor §§ 69–77 AO Rz. 17.

2 Haftungsschuldner

 

Rz. 3

Adressat der Vorschrift ist jeder, dessen Tun, Dulden oder Unterlassen adäquat kausal für die Auszahlung des gesperrten Guthabens bzw. die Herausgabe der Wertsachen oder des Inhalts eines Schließfachs gewesen ist. Dies ist regelmäßig der Kontenführer[1], meist ein Bankinstitut, u. U. aber auch irgendeine andere Person. Das kann nicht nur eine natürliche Person sein, die die Herausgabe veranlasst oder zulässt.[2] Dies kann auch eine Personengesellschaft oder eine juristische Person sein, z. B. ein Bankinstitut in einer solchen Rechtsform, die ihre zivilrechtliche Herausgabepflicht wegen § 154 Abs. 3 AO nicht erfüllen darf.[3] Nach dem Wortlaut der Vorschrift haftet zwar nur, wer vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt, so dass man annehmen könnte, dass nur natürliche Personen dies erfüllen können.[4] Gesellschaften und andere Gebilde handeln jedoch durch ihre Organe, Geschäftsführer, Vorstände usw.[5] Deren Verschulden ist nach einem allgemeinen Prinzip[6] dem Vertretenen zuzurechnen. Einer dem § 30 OWiG entsprechenden Regelung bedurfte es hier nicht, da auch der Gesamtzusammenhang des § 154 AO dies ergibt.[7] Die Pflicht zur Kontenwahrheit trifft nämlich die Bank selbst, die regelmäßig Personen- oder Kapitalgesellschaft ist.

[1] Vgl. dazu Mösbauer, INF 1990, 7.
[2] Ebenso Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 72 AO Rz. 2; Boeker, in HHSp, AO/FGO, § 72 AO Rz. 4; a. A. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 AO Rz. 2.
[3] Ebenso BFH v. 17.2.1989, III R 35/85, BStBl II 1990, 263, gegen FG Köln v. 13.11.1984, II 149/81 H, EFG 1985, 270; Mösbauer, INF 1990, 7; Halaczinski, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 72 AO Rz. 3.
[4] So Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 AO Rz. 2.
[5] Vgl. Erl. zu § 34 AO.

3 Haftungsvoraussetzungen

3.1 Beschränkung der Verfügungsmacht

 

Rz. 4

Die öffentlich-rechtliche Beschränkung der Verfügungsmacht nach § 154 Abs. 3 AO muss eingetreten sein. Die Voraussetzungen des § 154 Abs. 1 AO müssen zunächst erfüllt worden sein[1], und die Kontensperre und das Herausgabeverbot müssen durch Kenntniserlangung ausgelöst worden sein.

[1] Vgl. § 154 AO Rz. 26.

3.2 Verstoß gegen das Herausgabeverbot

 

Rz. 5

Entgegen dem Auszahlungs- und Herausgabeverbot müssen ohne Zustimmung des FA das Guthaben ausgezahlt, aus der Verwahrung Wertsachen oder aus dem Schließfach dessen Inhalt herausgegeben worden sein. Voraussetzung ist eine auf Dauer angelegte Verwahrung oder Vermietung.[1]  Teilherausgaben fallen ebenfalls hierunter. Ohne Belang ist, an wen und aus welchem Grund (z. B. Abtretung) die Herausgabe geschieht. Eine Mitwirkung an der Verfügung über Guthabe...

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