Voraussetzungen der Haftung eines Geschäftsführers für Biersteuer
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Gemäß § 69 Satz 1 AO, § 34 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG haftet der Geschäftsführer einer GmbH, soweit deren Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
Sachverhalt: Haftung für nichtgezahlte Biersteuer
Der Kläger ist seit dem 25.7.2019 Liquidator der Produktions-GmbH. Deren Alleingesellschafterin ist die X-GmbH, mit der ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestand. Zur X-Gruppe gehörte außerdem die X-Verwaltungs GmbH. Der Kläger war Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer aller drei Gesellschaften.
Die Produktions-GmbH verfügte über eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaberin für Bier. Die zum Bierbrauen erforderlichen Rohstoffe erwarb sie von der beherrschenden GmbH, an die sie das hergestellte Bier verkaufte. Im Rechtsverkehr nach außen trat nahezu ausschließlich die Brauhaus X-GmbH auf, von der auch Zahlungen veranlasst wurden.
Bei der Produktions-GmbH waren neun Mitarbeiter beschäftigt. Die Löhne wurden bis einschließlich November 2014 bezahlt. Zahlungen an die Stadtwerke Y GmbH für den Bezug von Strom, Gas und Wasser erfolgten am 8.10.2014 und am 12.12.2014.
Aufgrund der von der Produktions-GmbH abgegebenen Steuererklärungen setzte das Hauptzollamt (HZA) für die Monate September 2014 bis Dezember 2014 Biersteuer fest.
Mit Schreiben vom 4.12.2014 beantragte die Produktions-GmbH die Stundung der Biersteuer für September 2014, die sie bis zum 15.12.2014 bezahlte. Mit Schreiben vom 10.12.2014 teilte die Produktions-GmbH der Vollstreckungsstelle mit, dass die Verhandlungen mit einer Bank über einen Kreditrahmen noch nicht abgeschlossen seien und bat um Stundung der Biersteuer für Oktober 2014 bis 22.12.2014. Die Zahlung der Biersteuer für Oktober 2014 ging am 23.12.2014 beim HZA ein. Für die Begleichung der am 20.12.2014 fälligen Biersteuer für November 2014 und der sonstigen fälligen Verbindlichkeiten waren keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden. Auch die Biersteuer für Dezember 2014 blieb unbezahlt.
Am 1.3.2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Produktions-GmbH eröffnet und durch Beschluss vom 15.10.2018 nach Schlussverteilung aufgehoben.
Mit Haftungsbescheid gem. § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 69 AO vom 2.3.2016 nahm das HZA den Kläger für einen Restbetrag offenstehender Biersteuer für November 2014 in Haftung. Am 25.4.2016 wurde der Haftungsbetrag vom Kläger beglichen.
Nachdem der Einspruch gegen den Haftungsbescheid zurückgewiesen worden war, urteilte das Finanzgericht (FG), dass der Haftungsbescheid rechtwidrig gewesen sei. Dem Kläger hätten bei Fälligkeit der Biersteuer für den Monat November 2014 keine ausreichenden Mittel mehr zu Begleichung zur Verfügung gestanden. Anhaltspunkte, dass ab dem Fälligkeitszeitpunkt am 20.12.2014 noch Zahlungen erfolgt seien, gäbe es nicht.
Entscheidung: Haftungsschuldner hat seine Pflichten nicht verletzt
Die vom HZA eingelegte Revision wurde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger war im Haftungszeitraum November 2014 (Entstehung der Biersteuer) bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Produktions-GmbH. Er gehörte somit zu dem von der Haftungsnorm des § 69 AO erfassten Personenkreis.
Objektive Pflichtverletzung
Ein Haftungsschaden ist eingetreten, weil die Biersteuer nicht entrichtet wurde (§ 69 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 AO).
Hinsichtlich der Nichtentrichtung liegt auch eine objektive Pflichtverletzung vor. Der Kläger war verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet werden. Er hätte demnach die offene Steuer bei Fälligkeit anweisen oder die Erledigung anderen Personen übertragen müssen.
Keine Verletzung der Mittelvorsorgepflicht
Durch die im November 2014 erfolgte Entnahme von Bier aus dem Steuerlager, durch die die Biersteuer gem. § 14 Abs. 2 Nr. 1 BierStG entstanden ist, hat er jedoch seine Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt.
Von einem gesetzlichen Vertreter ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuer bereithält. Diese Pflicht ist vom Eintritt der Fälligkeit der Steuer unabhängig.
Er verletzt seine ihm ggü. dem Steuergläubiger obliegenden Pflichten auch dann, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt ist, zu tilgen. Dies gilt auch für Steuerforderungen, mit denen der Geschäftsführer rechnen muss bzw. deren Entstehung absehbar ist.
So hat der BFH (BFH v. 21.2.1989, VII R 165/85, BStBl II 1989, 491) entschieden, dass der Inhaber eines offenen Zolllagers die Pflicht hat sicherzustellen, dass die Steuer im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet wird. Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, muss er dafür sorgen, dass am Fälligkeitstag die Mittel zur Entrichtung der Steuer vorhanden sind. Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit Entnahmen aus einem Zolllager ergibt sich auch daraus, dass infolge der Überführung der Waren in den freien Verkehr die Sachhaftung gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AO erlischt, aber infolge der (nur) monatlichen Abrechnung der Entnahmen aus dem Zolllager dessen Kreditfunktion bestehen bleibt. Dementsprechend kam der Senat zu dem Ergebnis, dass der Lagerinhaber zwar nicht generell von Entnahmen aus dem Zolllager abzusehen, aber bei Eintritt der Fälligkeit ohne Rücksicht auf Forderungen anderer Gläubiger die Abgaben an den Steuergläubiger abzuführen hatte.
Keine gesteigerte Sorgfaltspflicht bei Pflichtverletzung im Umsatzsteuerecht
Keine gesteigerte Sorgfaltspflicht hat der BFH dagegen bzgl. der Frage der Pflichtverletzung im Umsatzsteuerrecht gesehen (BFH v. 5.2.1985, VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2). So kann der gesetzliche Vertreter auch in Zeiten der Krise, unbeschadet gesellschafts- und/oder insolvenzrechtlicher Regelungen, deren Verletzung eine steuerliche Haftung nicht begründen könnte, nicht verpflichtet sein, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann. Er bleibt auch in Krisenzeiten in seinen unternehmerischen Dispositionen und in der Vertragsgestaltung frei (z.B. BFH v. 28.11.2002, VII R 41/01, BStBl II 2003, 337).
Nähe zum Umsatzsteuerrecht
Der BFH vertritt im Streitfall die Auffassung, dass eine gesteigerte Sorgfaltspflicht bzgl. der Entnahme von Bier aus einem Steuerlager nicht besteht. Der Vorgang und die Umstände weisen eine größere Nähe zum Umsatzsteuerrecht auf.
So komme der unternehmerischen Freiheit bei der Herstellung von Bier im Vergleich zur Nutzung eines Zolllagers insofern eine größere Tragweite zu, als bei der Bierproduktion häufig die Brauerei als Herstellungsbetrieb selbst – wie im Streitfall – Inhaber des Biersteuerlagers ist, während bei der zollrechtlichen Einlagerung von Nichtunionswaren nicht selten ein von einem Dritten betriebenes und als Zolllager zugelassenes Warenlager genutzt wird. Würde die Auslagerung von Bier in einer finanziell angespannten Situation als objektive Pflichtverletzung angesehen und infolgedessen der Geschäftsführer des Inhabers des Biersteuerlagers in Haftung genommen werden, käme dies im Ergebnis einer Betriebseinstellung gleich, zumal der Betrieb eines Steuerlagers der Regelfall ist und eine bedingte Steuerschuld wie im früheren Mineralölsteuerrecht - auf das sich das FA im Revisionsverfahren bezieht - im Biersteuerrecht nicht mehr existiert.
Pflichtverletzung bei Fälligkeit
Zudem ist die Biersteuer eine Verbrauchsteuer, die typischerweise auf Überwälzung an den Endverbraucher angelegt ist. Da die Person des Steuerschuldners und des Belastungsträgers auseinanderfallen und nur wenige Personen als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden müssen, erscheint es sachgerecht, für die Frage der Pflichtverletzung auf die Fälligkeit und nicht bereits auf die Entstehung der Steuer abzustellen. Dem Steuerschuldner müssen auch die Möglichkeit und die Zeit bleiben, die der Verbrauchsteuer unterliegenden und zu besteuernden Waren zu verkaufen und die Verbrauchsteuern über den Kaufpreis an den Endverbraucher weiterzugeben. Verlangte man vom Unternehmer, gleich im Zeitpunkt der Steuerentstehung die Mittel für die Entrichtung der Steuer vorzuhalten, liefe dies dem Sinn und Zweck der Überwälzbarkeit der Verbrauchsteuern zuwider.
So kann die Entnahme von Bier aus einem Biersteuerlager nur dann eine Pflichtverletzung begründen, wenn bereits in diesem Zeitpunkt feststeht, dass bei Fälligkeit der Steuer keine Mittel zur Verfügung stehen werden. Solange dies jedoch noch ungewiss ist, etwa weil noch Verkäufe durchgeführt werden oder Verhandlungen mit einer kreditgebenden Bank laufen, kann eine Pflichtverletzung bereits bei Entnahme von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus dem Steuerlager noch nicht angenommen werden.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze hat der Kläger seine Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt.
Es widerspricht der unternehmerischen Freiheit des Klägers, wenn er wegen der - bereits im November 2014 - bestehenden finanziellen Schwierigkeiten gezwungen gewesen wäre, von der Entnahme von Bier aus dem Steuerlager abzusehen, um die Steuerentstehung gemäß § 14 Abs. 1 BierStG zu verhindern. Dies hätte dazu geführt, dass die Produktions-GmbH praktisch gezwungen gewesen wäre, ihren Geschäftsbetrieb einzustellen.
Der Kläger war auch nicht verpflichtet, bereits im Zeitpunkt der Entstehung der Biersteuer infolge der Entnahmen aus dem Steuerlager die Mittel für die Entrichtung der Biersteuer aus anderen Einnahmen abzuzweigen und für die spätere Entrichtung der Biersteuer zurückzulegen oder den Anteil aus den Verkaufserlösen, der der Biersteuer entspricht, zweckgebunden zur Entrichtung der Biersteuerschuld zurückzulegen. Er hatte lediglich dafür zu sorgen, dass die Mittel für die Entrichtung der Biersteuer im Fälligkeitszeitpunkt vorhanden sein würden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger Gelegenheit, die Biersteuer auf seine Abnehmer als eigentliche Belastungsträger abzuwälzen und entsprechende Einnahmen zu erzielen.
Im Streitfall hat zudem das HZA die Biersteuer für September und Oktober 2014 gestundet, was dafür spricht, dass auch das HZA davon ausging, dass der Kläger entsprechende Erlöse erwirtschaften und die Steuern entrichten würde.
Zudem dauerten im Dezember 2014 die Kreditverhandlungen mit der Bank noch an, sodass keinesfalls sicher war, dass die Produktions-GmbH die Biersteuer bei Fälligkeit nicht würde entrichten können.
Keine Bevorzugung anderer Gläubiger
Der Kläger hat das HZA auch nicht gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt. Die im Dezember noch vorhandenen Mittel hat er zu einem großen Teil zur Tilgung der Biersteuer verwendet. Die Verbindlichkeiten ggü. der Stadtwerke Y GmbH wurden dagegen nur teilweise getilgt.
Der Kläger hat auch seine Mittelverwendungspflicht nicht verletzt. Kann der Schuldner nicht alle Schulden tilgen, hat er zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen. Ab dem Fälligkeitszeitpunkt sind jedoch keine Zahlungen mehr erfolgt, sodass das HZA im Vergleich zu anderen Gläubigern nicht benachteiligt wurde.
Keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung
Soweit dem Kläger wegen der Nichtentrichtung der Biersteuer eine objektive Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, hat der Kläger diese Pflicht jedenfalls nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt.
Die Feststellung der Voraussetzungen für eine vorsätzliche oder zumindest grob fahrlässige Handlungsweise des Haftungsschuldners ist Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz. Der BFH als Revisionsinstanz kann die Entscheidung des FG nur daraufhin überprüfen, ob das FG den Rechtsbegriff des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit verkannt oder für die Beurteilung wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat. Derartige Fehler sind dem FG nicht unterlaufen.
Anhaltspunkte dafür, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verspätet gestellt wurde, erkannte das FG ebenfalls nicht.
BFH, Urteil v. 29.8.2023, VII R 47/20; veröffentlicht am 16.11.2023
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