Rz. 128

Hinsichtlich der Einordnung von Wahlrechten und Anträgen als rückwirkendes Ereignis und ihre Wirkungen auf die Bestandskraft ist zwischen dem nur formellen und dem materiellen Charakter des Wahlrechts bzw. des Antrags zu unterscheiden.[1] Grundsätzlich entfalten Antrags- und Wahlrechte nur formelle Wirkung. Hat ein Antrags- oder Wahlrecht nur formelle Wirkung, wird durch deren Ausübung der steuerlich relevante Sachverhalt nicht verändert. Der Stpfl. macht lediglich von seinem durch das Gesetz eingeräumten Recht Gebrauch, zwischen zwei verschiedenen Rechtsfolgen zu wählen. Damit entfaltet ein erstmals gestellter oder geänderter neuer Antrag keine rückwirkende Kraft i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.[2] Wirkt das Antrags- oder Wahlrecht für mehrere Jahre, wie die Verteilung größeren Erhaltungsaufwands nach §§ 11a, 11b EStG, kann es nicht mehr ausgeübt werden, wenn für den ersten Veranlagungszeitraum Bestandskraft eingetreten ist.[3]

Dies gilt allerdings nur für die Frage, ob der Antrag selbst rückwirkende Kraft entfaltet. Ist dagegen der Antrag wirksam gestellt bzw. ein Wahlrecht wirksam ausgeübt worden, sind die Folgen für eine andere Steuerfestsetzung, z. B. aufgrund des Bilanzzusammenhangs bei Ausübung eines Bilanzierungswahlrechts, nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu bestimmen. Das bedeutet, dass ein wirksam ausgeübtes Wahlrecht bzw. ein wirksam gestellter Antrag ein rückwirkendes Ereignis für eine andere Steuerfestsetzung sein kann (hierzu Rz. 148).

 

Rz. 129

Ein solches Wahlrecht oder Antragsrecht kann nur dann erstmals ausgeübt oder geändert werden, wenn die Frist für seine Ausübung noch nicht abgelaufen ist bzw. wenn es nicht fristgebunden ist, und wenn der Steuerbescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist. Die Wirkung des Wahlrechts bzw. Antragsrechts ist also davon abhängig, dass noch keine Bestandskraft eingetreten ist. Das Wahlrecht oder Antragsrecht kann daher ausgeübt werden, wenn Einspruch eingelegt oder Klage erhoben ist, wenn Rechtsbehelfs-, Klag- oder Revisionsfristen noch nicht abgelaufen sind oder wenn der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO steht.[4]

Daraus folgt, dass Antrags- und Wahlrechte noch ausgeübt werden können, wenn ein finanzgerichtliches Urteil ergangen, die Revisionsfrist aber noch nicht abgelaufen ist. Vor Ablauf der Revisionsfrist wird das Urteil nicht rechtskräftig und damit der Steuerbescheid nicht bestandskräftig, so dass Wahl- und Antragsrechte noch ausgeübt werden können.

Ist partielle Bestandskraft eingetreten, wie bei einer Teiländerung nach § 351 Abs. 1 AO oder einer Teil-Einspruchsentscheidung, darf die durch das Antrags- oder Wahlrecht bewirkte Änderung der Steuerfestsetzung den Änderungsrahmen nach § 351 Abs. 1 AO nicht überschreiten.[5]

Andererseits folgt hieraus, dass eine erstmalige Ausübung oder die Änderung einer Ausübung des Antrags- oder Wahlrechts nicht möglich ist, wenn Bestandskraft eingetreten ist. Allein der Umstand, dass sich die wirtschaftliche Grundlage geändert hat, auf deren Basis der Stpfl. die Entscheidung über die Ausübung des Wahl- oder Antragsrechts getroffen hat, rechtfertigt nicht die Durchbrechung der Bestandskraft des Steuerbescheids. Der Stpfl. trägt insoweit das Risiko einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bzw. einer Fehleinschätzung der Folgen der Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts.[6]

 

Rz. 130

Wird ein Steuerbescheid nach § 172ff. AO geändert, kann das Wahlrecht neu ausgeübt bzw. der Antrag gestellt oder geändert werden. Allerdings müssen sich die Auswirkungen des Wahlrechts bzw. des Antrags innerhalb des Änderungsrahmens nach § 177 AO bzw. des § 351 Abs. 1 AO halten. Da die Ausübung oder Änderung des Wahlrechts oder Antrags selbst nicht zur Durchbrechung der Bestandskraft berechtigen, müssen sich die Auswirkungen in dem Rahmen halten, den die Anwendung der Änderungsvorschrift vorgibt. Das gilt auch, wenn durch einen steuererhöhenden Änderungsbescheid ein neuer steuerlich relevanter Sachverhalt erstmals erfasst wird und auf dessen Grundlage erstmals die Möglichkeit bzw. wirtschaftliche Notwendigkeit zur Ausübung eines Wahl- oder Antragsrechts entstanden sind. Auch dann müssen sich die Auswirkungen des Antrags- oder Wahlrechts aber innerhalb des Änderungsrahmens nach §§ 177, 351 AO halten.[7]

Die Rechtsprechung hat in einigen Urteilen als Grundlage hierfür § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO angenommen, den Antrag also als rückwirkendes Ereignis angesehen. Dabei hat der BFH diese Vorschrift z. T. nur entsprechend herangezogen und auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verwiesen.[8]

Jedoch ist die Rechtsfolge, dass sich die Änderung durch den neuen Antrag im Rahmen des § 177 AO bzw. des § 351 Abs. 1 AO halten müsse, und die Anwendung des § 175 S. 1 Abs. 1 Nr. 2 AO unvereinbar. Wenn der Änderungstatbestand des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO erfüllt ist, kann die Änderung in vollem Umfang ohne Berücksichtigung eines Änderungsrahmens erfolgen. Allerdings lagen dem BFH (a. a. O.) im wesentlichen Fälle...

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