Änderung des ermäßigten Steuersatzes bei Betriebsveräußerung

Die Änderung des Wahlrechts auf Inanspruchnahme der ermäßigten Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 34 Abs. 3 EStG kommt im Falle einer partiellen Durchbrechung der Bestandskraft nur in Betracht, wenn die damit verbundenen steuerlichen Folgen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO und § 177 AO gesetzten Rahmen hinausgehen. Dies gilt auch dann, wenn die partielle Durchbrechung der Bestandskraft des Folgebescheids durch einen den Veräußerungsgewinn ändernden Grundlagenbescheid ausgelöst wird.

Hintergrund: Ermäßigter Steuersatz bei Betriebsveräußerung

Auf Antrag kann der Veräußerungsgewinn mit einem ermäßigten Steuersatz versteuert werden (§ 34 Abs. 3 EStG). Voraussetzung für den Antrag ist, dass der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat bzw. sozialversicherungsrechtlich dauernd berufsunfähig ist. Zudem kann der ermäßigte Steuersatz nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden. Fraglich war im Urteilsfall, ob ein Antrag auf ermäßigte Besteuerung zurückgenommen werden kann, um diesen in einem anderen Veranlagungszeitraum erneut auszuüben.

Zurücknahme des Antrags nach Erlass eines geänderten Grundlagenbescheids

Im Urteilsfall entsprach das Finanzamt (FA) zunächst einem Antrag auf Berücksichtigung der Begünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG für den Veranlagungszeitraum 2007. Später erließ das Feststellungsfinanzamt aufgrund einer Außenprüfung einen geänderten Grundlagenbescheid, aus dem sich für den Kläger ein geringerer Veräußerungsgewinn ergab. Das FA erließ sodann 2016 einen geänderten Bescheid über die Einkommensteuer 2007. Dabei wurde u.a. der geminderte Veräußerungsgewinn zugrunde gelegt und die Begünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG weiterhin berücksichtigt. Die Einkommensteuer wurde entsprechend herabgesetzt.

Innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Änderungsbescheid teilten der Kläger dem FA mit, dass er den Antrag für das Jahr 2007 zurücknehme. Stattdessen stellte er den Antrag nun für das Jahr 2014, in welchem ein höherer Gewinn aus der Veräußerung einer anderen Gesellschaft entstanden war und bei dem die steuerliche Auswirkung der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG höher war. Das FA lehnte den Antrag auf Rücknahme der Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG für das Jahr 2007 ab. Die anschließend erhobene Klage hatte nur mit dem Hilfsantrag auf getrennte Veranlagung Erfolg. Im Übrigen wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet ab.

Entscheidung: Kein Anspruch auf Änderung des Wahlrechts

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 2007 in der Weise, dass der Veräußerungsgewinn nicht nach § 34 Abs. 3 EStG ermäßigt besteuert und demzufolge eine höhere Steuer festgesetzt wird.

Änderung möglich, solange Steuerbescheid nicht bestandskräftig

Der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG ist grundsätzlich frei widerruflich. Eine gesetzliche Frist für den Widerruf besteht nicht (BFH, Urteil v. 9.12.2015, X R 56/13, BStBl II 2016, S. 967, Rz. 14 ff.). Der Antrag kann daher grundsätzlich so lange geändert werden, wie der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Die Änderung eines Antragsrechts ist auch dann zulässig, wenn und soweit der Bescheid lediglich partiell noch nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Damit werden grundsätzlich auch diejenigen Fälle erfasst, in denen Änderungsbescheide auf der Grundlage einer selbständigen Änderungsvorschrift – wie hier § 175 Abs. 1 AO – die teilweise Durchbrechung der Bestandskraft bewirken.

Einer Änderung stehen hier § 351 Abs. 1 AO und § 177 AO entgegen

§ 351 Abs. 1 AO begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids jedoch auf den Umfang der Änderung und stellt damit u.a. klar, dass es im Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt. Dieselben Erwägungen gelten im Rahmen des § 177 AO. Zwar kann die zulässige Ausübung eines Wahlrechts oder die zulässige Änderung eines solchen einen materiellen Fehler i.S. des § 177 Abs. 3 AO auslösen. Insoweit erhält der Steuerpflichtige die mit dem Eintritt der Bestandskraft verlorene Befugnis zurück, auf die Höhe des in Frage stehenden Steueranspruchs einzuwirken. Dies gilt aber gemäß § 177 Abs. 1 und 2 AO nur, "soweit die Änderung reicht". Die durch die Änderung des Wahlrechts bewirkte Steueränderung liegt hier jedoch nicht mehr innerhalb des Rahmens des § 351 Abs. 1 AO und des § 177 AO.

Keine eigenen Änderungsvorschrift einschlägig

Für Änderungen, die über den o.g. Änderungsrahmen hinausgehen, bedarf es einer eigenen Änderungsvorschrift. Im Streitfall ist jedoch keine Berichtigungs- oder Änderungsnorm einschlägig, die zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheids 2007 ohne Berücksichtigung der Begünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG führen kann.

  • Die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO durchbricht die Bestandskraft nur insoweit, als ein Folgebescheid an einen Grundlagenbescheid anzupassen ist. Infolgedessen erlaubt die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO keine darüber hinausgehende Korrektur, da das Wahlrecht nicht Gegenstand des Grundlagenbescheids ist.
  • Der Einkommensteuerbescheid kann auch nicht unter Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden. Danach ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG stellt kein rückwirkendes Ereignis dar.

BFH, Urteil v. 20.4.2023, III R 25/22; veröffentlicht am 25.5.2023

Hinweis: Bindungswirkung entfällt nur im Umfang der Durchbrechung

Der BFH hat mit der aktuellen Entscheidung bestätigt, dass eine Änderung des Antrags-/Wahlrechts ausscheidet, wenn ihre Auswirkungen über den Änderungsrahmen des § 351 Abs. 1 AO hinausgehen. Etwas anderes ergab sich im Urteilsfall auch nicht daraus, dass der Grundlagenbescheid eine Anpassung des Folgebescheids gerade auch im Hinblick auf die Höhe des Veräußerungsgewinns verlangte. Zwar hatte der BFH diese Frage in seinem Urteil v. 9.12.2015, X R 56/13, BStBl II 2016, S. 967, (Rz .29) noch ausdrücklich offengelassen. Nach Auffassung des III. Senats ändert aber die Tatsache, dass die Änderung des Veräußerungsgewinns auch Grund für die Änderung des Einkommensteuerbescheids war, nichts an der Anwendbarkeit des § 351 Abs. 1 AO und des § 177 AO. Die Bindungswirkung entfällt auch hier nur im Umfang der Durchbrechung.