Rz. 57

Für die Frage, ob an einen Bevollmächtigten bekanntzugeben ist, ist zu unterscheiden, ob es sich um eine allgemeine Vollmacht (Vertretungsvollmacht) oder eine speziell für Bekanntgaben geltende Empfangsvollmacht handelt.

Nach Abs. 1 S. 3 liegt es im Ermessen der Verwaltung, ob ein Verwaltungsakt an den allgemein Bevollmächtigten bekannt gegeben werden soll. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist regelmäßig sowohl eine Bekanntgabe an den Stpfl. selbst als auch an den Bevollmächtigten ermessensfehlerfrei. Allerdings soll gem. § 122 Abs. 1 S. 4 AO an den Bevollmächtigten bekannt gegeben werden, wenn eine schriftliche oder elektronische Vollmacht vorliegt und der Bevollmächtigte nicht gem. § 80 Abs. 7 AO zurückgewiesen ist. Insoweit liegt ein intendiertes Ermessen vor. Die Regelung entspricht § 80 Abs. 1 S. 3 AO.[1] Das intendierte Ermessen besteht aber nur, wenn die im Gesetz genannten Voraussetzungen (schriftliche oder elektronische Vollmacht; keine Zurückweisung des Bevollmächtigten) erfüllt sind. Ist dies nicht der Fall, weil z. B. keine schriftliche oder elektronische Vollmacht vorliegt, kann die Finanzverwaltung ihr Ermessen frei ausüben. Auch dann kann aber eine sog. Ermessensreduktion auf Null vorliegen, wenn eindeutig und unmissverständlich ein Bekanntgabeadressat durch den Stpfl. bestellt worden ist.[2]

 

Rz. 58

§ 122 Abs. 1 AO gilt für alle Arten von Verwaltungsakten, einschließlich Steuerbescheiden, Zwangsgeldandrohungen und Zwangsgeldfestsetzungen.[3] Die Behörde soll im Verwaltungsverfahren als einem Massenverfahren die Möglichkeit haben, ihr Bekanntgabeverfahren nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls einzurichten. Allein die Tatsache, dass die Behörde den Verwaltungsakt wirksam an einen Bevollmächtigten hätte bekannt geben können, macht die Bekanntgabe an den Stpfl. nicht ermessensfehlerhaft, wenn Abs. 1 S. 4 berücksichtigt worden ist.

Auch wenn eine Vollmacht vorgelegt worden ist und die weiteren Voraussetzungen des Abs. 1 S. 4 erfüllt sind, besteht kein Zwang, ausschließlich an den Bevollmächtigten bekanntzugeben; vielmehr hat auch insoweit die Behörde im Rahmen ihres Ermessensspielraums zu entscheiden (zur Bekanntgabevollmacht vgl. Rz. 59). Zwar ist regelmäßig an den Bevollmächtigten bekanntzugeben, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 S. 4 vorliegen. Davon kann die Finanzverwaltung aber abweichen, wenn besondere Umstände vorliegen.[4] Diese Umstände sind bei der Ermessensausübung mit einzubeziehen und zu würdigen.[5]

Sind mehrere Bevollmächtigte vorhanden, genügt die Bekanntgabe an einen von ihnen.[6]

 

Rz. 59

Voraussetzung einer Bekanntgabe an einen Bevollmächtigten ist u. a., dass der Finanzbehörde eine Vollmacht vorliegt; das bloße Auftreten des Bevollmächtigten im Verfahren genügt nicht, sofern dadurch keine Anscheins- oder Duldungsvollmacht begründet wird. Ob eine Vollmacht vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln.[7] Die Finanzbehörde braucht grundsätzlich keine Ermittlungen darüber anzustellen, ob der Adressat eine Person für die Entgegennahme der an ihn gerichteten Verwaltungsakte bevollmächtigt hat. Auch wenn ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe bei der Steuererklärung eines Stpfl. mitgewirkt hat, bedeutet diese Mitwirkung allein noch nicht, dass er auch für die Entgegennahme der an den Stpfl. gerichteten Schriftstücke bevollmächtigt ist.[8] Im Zweifel ist an den Stpfl. bekannt zu geben.[9]

Liegt eine Vollmacht vor, ist sie aber nicht eindeutig, so ist sie aus Sicht des Empfängers auszulegen, also so, wie die Finanzbehörde, der sie vorgelegt wird, sie verstehen konnte.[10]

 

Rz. 60

Liegt eine wirksame allgemeine (Vertretungs-)Vollmacht vor, steht es danach im Ermessen der Finanzbehörde, ob an den Bevollmächtigten bekannt gegeben werden soll. Dieses Ermessen ist pflichtgemäß auszuüben; dafür hat die Rspr. bestimmte Regeln aufgestellt. Bei der Ermessensentscheidung muss die Finanzbehörde prüfen, ob die Bekanntgabe an den Bevollmächtigten oder den Stpfl. selbst mehr dem mutmaßlichen Interesse des Stpfl. entspricht. BFH v. 29.7.1987, I R 367, 379/83, BStBl II 1988, 242 geht davon aus, dass die Behörde bei Fehlen einer schriftlichen oder elektronischen Vollmacht, die auch die Bekanntgabe umfasst, die Bekanntgabe an den Stpfl. persönlich vorzunehmen habe, wenn nicht die besonderen Umstände des Einzelfalls das Interesse des Stpfl. an einer Bekanntgabe an den Bevollmächtigten eindeutig erkennen lassen. Dieses Urteil ist vor der Änderung des § 122 Abs. 1 S. 4 AO ergangen und berücksichtigt damit nicht das intendierte Ermessen. Regelmäßig ist bei einer Vertretungsvollmacht nunmehr an den Bevollmächtigten bekannt zu geben.

 

Rz. 61

Bevollmächtigter kann auch der Vollmachtnehmer einer sog. Vorsorgevollmacht sein. Durch Vorlage dieser Vollmacht beim FA ist der Vermächtnisnehmer zur Vertretung gegenüber die Behörden ermächtigt. Diesem Personenkreis sind grds. die in der Vorsorgevollmacht bestimmten Bescheide zu übersenden.[11]

 

Rz. 62

Ist der Behörde nicht ausdrücklich ein Bevollmächtigter benan...

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