Rz. 1394

[Autor/Stand] Die Öffnung der Grenzen in Europa hat nicht nur Erleichterungen im Reiseverkehr gebracht, sondern auch zu neuen Betrugsmöglichkeiten geführt. Umsatzsteuerhinterziehungen im EU-Binnenmarkt führen zu enormen Steuerausfällen. Die Täter nutzen im Wege sog. Umsatzsteuerkarusselle die Umsatzsteuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen (§ 6a UStG) aus, indem sie die zum Nettopreis aus einem EU-Staat erworbenen Waren beim Verkauf im Inland zu einem Bruttopreis anbieten, der unter dem marktüblichen Preis seriöser Konkurrenten liegt, und erzielen zugleich einen Gewinn durch die nicht abgeführte Umsatzsteuer. Eine Geltendmachung von Steueransprüchen und die Verfolgung der Abnehmer scheitern meist, da sie sich beizeiten abgesetzt haben (sog. Missing Trader).

 

Rz. 1395

[Autor/Stand] Zur Eindämmung des Umsatzsteuerbetrugs hat der Gesetzgeber seit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz 2002[3], über das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz bis hin zum Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019)[4] eine Reihe von Gesetzesänderungen vorgenommen (z.B. §§ 25f, 27b, 18 Abs. 2, §§ 18f, 13b, § 14b Abs. 1, § 26a Abs. 1, 2 UStG)[5]. In straf- und bußgeldrechtlicher Hinsicht sind vor allem die Einführung des – mittlerweile aufgehobenen – Verbrechenstatbestands des § 370a AO (vgl. jetzt § 370 Abs. 3 AO n.F.) und der Sondertatbestände der §§ 26a, 26c UStG zur Schädigung des Umsatzsteueraufkommens zu nennen. Ferner hat der Gesetzgeber durch das JStG 2010[6] mit Wirkung zum 14.12.2010 das bis dato in § 370 Abs. 6 Satz 3 und 4 AO geregelte Gegenseitigkeitserfordernis abgeschafft[7]. Damit ist seither eine Hinterziehung der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland, die nach dem 13.12.2010 begangen wird, auch ohne Verbürgung der gegenseitigen Strafverfolgung in Deutschland steuerstrafrechtlich verfolgbar (s. dazu Rz. 557, 1411). Mit Wirkung zum 1.1.2020 hat der Gesetzgeber durch das JStG 2019[8] vom 12.12.2019 nunmehr mit § 25f UStG die Rspr. des EuGH über die Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung in eine nationale Gesetzesnorm aufgenommen. Nach § 25f UStG ist u.a. der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs i.S.d. § 370 AO oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens i.S.d. §§ 26a, 26c UStG einbezogen war. Die Norm gilt allerdings nicht für bis zum 31.12.2019 getätigte Umsätze (§ 27 Abs. 3 UStG). Für diese ist zur Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung weiterhin der Rückgriff auf die "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH erforderlich (s. dazu Rz. 1400 ff.). § 25f UStG gilt nach seinem offenen Wortlaut sowohl für reine Inlandsfälle als auch für Fälle mit Grenzüberschreitung[9].

Mit dieser "strafrechtlichen Aufrüstung" ist der Gesetzgeber zuweilen jedoch deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Zum einen musste § 370a AO wegen der unbestimmten Tatbestandsfassung als verfassungswidrig angesehen werden (so auch die Bedenken des BGH[10], der eine Anwendung der Vorschrift bei gewerbsmäßiger Umsatzsteuerhinterziehung über den prozessualen Ausweg gem. § 154a StPO umging); zum anderen stellen die – gleichfalls zu weit gefassten und verfassungsrechtlich bedenklichen[11] – Tatbestände der §§ 26b, 26c UStG a.F.[12] – nunmehr aufgegangen in § 26a Abs. 1, § 26c UStG n.F. – einen Systembruch im Steuerstrafrecht dar. Reiß forderte daher zu Recht bereits eine Streichung der §§ 26b, 26c UStG a.F.[13].

Die gesetzgeberischen Möglichkeiten sind damit weitgehend ausgeschöpft und haben ersichtlich nicht den erhofften Erfolg gebracht. Eine Systemänderung (etwa nach dem Mittlerschen Steuerbefreiungsmodell oder dem Reverse-Charge-Modell des BMF) erscheint nahezu ausgeschlossen, da sie nur EU-gemeinschaftlich umgesetzt werden kann. Als einzig gangbarer Weg erscheinen zurzeit daher verbesserte Aufklärungs- und Verfolgungsmaßnahmen[14].

 

Rz. 1396

[Autor/Stand] Von einem Karussellgeschäft[16] spricht man, wenn mehrere Unternehmer in mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten innergemeinschaftliche Lieferketten aufbauen, um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu kommen. Die entstehende Umsatzsteuer wird entweder nicht angemeldet oder nicht bezahlt. Beginn und Ende einer Lieferkette sind zumeist in demselben EU-Mitgliedstaat. Diese kreisförmige Warenbewegung hat zu dem Begriff Karussellgeschäft geführt. Diese Karussellgeschäfte werden vorwiegend im innergemeinschaftlichen Handel mit hochpreisigen Kfz[17], Mobiltelefonen[18] und Computerteilen[19] durchgeführt[20].

 

Rz. 1397

[Autor/Stand] Die Struktur ...

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