Rz. 1411

[Autor/Stand] Von erheblicher Bedeutung für Karussellfälle und EU-grenzüberschreitende Hinterziehungsketten ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Italmoda[2]. Zwar hat der EuGH darin nach seiner Diktion lediglich das bestätigt, was sich ohnehin schon aus der bis dahin ergangen "Missbrauchsrechtsprechung" ergab. Nach ganz überwiegender Auffassung hat die Entscheidung allerdings mehr als nur deklaratorische Wirkung. Vielmehr stellt sie klar, dass für sämtliche Fälle "missbräuchlicher" Erlangung von nach der MwStSystRL[3] zu gewährender Rechte (insb. Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen, Vorsteuerabzug) die gleichen Grundsätze gelten. Diese Rechte sind danach – auch ohne eine entsprechende nationale Regelung – in allen Fällen bereits dann zu versagen, wenn der Unternehmer hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine von einem anderen Unternehmer in der Lieferkette auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung – gleich in welchem Mitgliedstaat – einbezogen war. Insgesamt führt die Entscheidung zu einer erheblichen Verschärfung der Rechtslage.

Der Entscheidung lag dabei nicht ein typischer "Karussell-Sachverhalt" zugrunde, sondern eine Lieferkette mit Unternehmern aus mehreren Mitgliedsstaaten:

Italmoda ist eine Gesellschaft niederländischen Rechts, die in den Streitjahren (1999 und 2000) u.a. mit Datenverarbeitungsmaterial handelte. Dieses Material erwarb sie teils in den Niederlanden, teils in Deutschland. Die Veräußerung erfolgte an in Italien mehrwertsteuerpflichtige Personen. Dabei wurden die in Deutschland erworbenen Waren zwar unter der niederländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erworben, aber direkt nach Italien befördert.

In Bezug auf die aus Deutschland stammenden Gegenstände meldete Italmoda weder in Deutschland die innergemeinschaftliche Lieferung noch in den Niederlanden (aufgrund Verwendung der niederländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer) einen innergemeinschaftlichen Erwerb an. Über die genaue steuerliche Ausgangsbehandlung der in Deutschland (vgl. die deutsche Regelung in § 3d Satz 2 UStG) erworbenen Waren gibt der in den Urteilsgründen der EuGH-Entscheidung stark verkürzt dargestellte Sachverhalt nur unzureichend Aufschluss.[4]

Für die in den Niederlanden erworbenen Waren machte Italmoda dort den Vorsteuerabzug geltend und meldete eine innergemeinschaftliche Lieferung an.

Die Erwerber meldeten allerdings in Italien keine entsprechenden innergemeinschaftlichen Erwerbe an und entrichteten dort auch keine Mehrwertsteuer. Nach Aufdeckung durch die italienischen Behörden wurde den Erwerbern der Vorsteuerabzug versagt und die geschuldete Steuer eingezogen.

In den Niederlanden gingen die zuständigen FinB davon aus, Italmoda sei wissentlich an einem Steuerbetrug beteiligt gewesen, mit dem in Italien Mehrwertsteuer habe hinterzogen werden sollen. Daraufhin versagten die niederländischen FinB Italmoda sowohl die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftlichen Lieferungen als auch das Recht auf Vorsteuerabzug und Erstattung bzgl. der für die Waren aus Deutschland gezahlten Mehrwertsteuer.

Entscheidend für die Vorlage war, dass im niederländischen Recht keine ausdrückliche Regelung zur Vorteilsversagung in derartigen Fällen vorgesehen ist. Der EuGH hatte deshalb insbesondere auch darüber zu entscheiden, ob eine Versagung auch unter direkter Berufung auf die MwStSystRL bzw. die 6. EG-Richtlinie[5] möglich ist.

Der EuGH entschied, dass die nationalen Behörden und Gerichte die in der 6. EG-Richtlinie[6] vorgesehene Rechte zu versagen haben, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass diese in betrügerischer Weise geltend gemacht werden[7]. Dies ergebe sich aus der bisher ergangenen Rspr. zur Vorteilsversagung[8]. Danach sei die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel, das von der 6. Richtlinie anerkannt und gefördert werde[9].

Wer sich missbräuchlich oder betrügerisch auf ein von der 6. Richtlinie vorgesehenes Recht berufe, dem sei dieses unabhängig davon zu versagen, ob es sich um Rechte auf Abzug, auf Befreiung von oder auf Erstattung der auf eine innergemeinschaftliche Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer handelt.

Dabei formulierte der EuGH den Maßstab für die Vorteilsversagung aber ungleich weiter als in früheren Entscheidungen. Von einer missbräuchlichen bzw. betrügerischen Geltendmachung sei – einheitlich für alle Fälle – nicht nur auszugehen, wenn der Stpfl. selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch, wenn er "wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war."

 

Rz. 1412

[Autor/Stand] Entgegen den Ausführungen des EuGH in den Urteilsgründen der Italmoda-Entscheidung...

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