Rz. 1237

[Autor/Stand] Durch den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 Abs. 1 AO) kann die Steuerpflicht nicht umgangen werden. Das gilt auch dann, wenn eine unangemessene Gestaltung zur Verwirklichung des Tatbestands einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird[2]. Zur Abgrenzung zum Scheingeschäft s. Rz. 1230, 1232. Da die Bestimmung wirtschaftlich ungerechtfertigten Steuerminderungen entgegenwirken soll, greift sie nur, wenn auf dem angemessenen Weg eine höhere Steuer zu zahlen wäre als auf dem tatsächlich eingeschlagenen. Auch bei der Einschaltung von Basisgesellschaften (s. Rz. 1244) ist daher die Feststellung eines "Umgehungserfolges" unverzichtbar[3]. Kennzeichnend für Umgehungsgeschäfte ist es, dass die Absicht der Steuerumgehung nur zu verwirklichen ist, wenn die Rechtsfolgen des Umgehungsgeschäfts wirklich gewollt sind[4]. Geschäfte i.S.d. § 42 Abs. 1 AO sind gesetzlich nicht verboten. Sie verstoßen i.d.R. auch nicht gegen die guten Sitten, jedoch wird ihr Erfolg für steuerliche Zwecke nicht gebilligt. Ist die Steuerhinterziehung aber der Hauptzweck des Geschäfts, so sind auch die zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte nach §§ 134, 138 Abs. 1 i.V.m. § 139 BGB nichtig[5]. Die Finanzgerichte sind bei der Anwendung des § 42 AO gehalten, mithilfe dieser Bestimmung vom Gesetz nicht bezweckten und gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigenden, zu Steuerminderbelastungen führenden Gestaltungspraktiken nach Möglichkeit entgegenzuwirken, die sonst zur Verfassungswidrigkeit einer Norm führen[6]. Zur Vereinbarkeit der Begründung des Hinterziehungserfolgs über § 42 AO mit dem Bestimmtheits- und Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG und zur Abgrenzung zur Auslegung s. Rz. 26 ff.

 

Rz. 1238

[Autor/Stand] § 42 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008[8] definiert den Missbrauch i.S.d. Abs. 1 dahin gehend, dass eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Stpfl. oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Das gilt nach Satz 2 nicht, wenn außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Der Sache nach dürfte sich damit inhaltlich an dem früheren Verständnis eines Gestaltungsmissbrauchs nichts geändert haben[9]. In Übereinstimmung mit der Auffassung des EuGH geht es im Kern darum, "rein künstlichen Gebilden" die steuerliche Anerkennung zu versagen (s. Rz. 1244). Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass mit dem "gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil", den der Stpfl. oder ein Dritter erlangt, auch die zu niedrig festgesetzte Steuer, also die Steuerverkürzung, gemeint ist. Die den wirklichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Zurechnung von Vermögenswerten soll ermöglicht und die Irrelevanz einer nur formalen Zurechnung deutlich gemacht werden[10]. § 42 AO dürfte damit im Ergebnis keine geringeren Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs stellen, als dies der EuGH auf europäischer Ebene tut, und kann weiterhin als Ausprägung des auch unionsrechtlich bestehenden Missbrauchsverbots angesehen werden (s. Rz. 1244 f.)[11].

 

Rz. 1239

[Autor/Stand] Aus strafrechtlicher Sicht ist § 42 Abs. 2 Satz 2 AO (ebenso § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG) bedenklich. Denn danach ist ein Missbrauch ausgeschlossen, wenn der Stpfl. außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung nachweist. Ihm wird also die Beweislast für das tatsächliche Vorliegen rechtlich relevanter außersteuerlicher Gründe auferlegt, die einen Missbrauch ausschließen[13]. Das ist für die Fallkonstellationen relevant, in denen aus Sicht eines Dritten eine unangemessene Gestaltung vorliegt, aber immerhin denkbar erscheint, dass ausnahmsweise doch beachtliche Gründe für die gewählte Gestaltung vorliegen könnten. In Bezug auf die Hinzurechnungsbesteuerung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG hat der Stpfl. nachzuweisen, dass eine Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (tatsächlich) einer wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Das scheint für die Begründung eines Hinterziehungserfolges i.S.d. § 370 AO ein eklatanter Verstoß gegen den In-dubio-pro-reo-Grundsatz zu sein, so dass es nicht möglich wäre, die steuerliche Beweislastverteilung im strafrechtlichen Kontext zu übernehmen (s. Rz. 456 ff.)[14]. Diese Bedenken sind aber unbegründet[15]. Das Strafrecht knüpft nur an das steuerliche Ergebnis an, ob ein Hinterziehungserfolg gegeben ist oder nicht[16]. Das aber bestimmt sich allein nach steuerlichen, nicht nach strafrechtlichen Regeln (s. Rz. 27.1, 458). Ist dem Stpfl. steuerrechtlich in zulässiger Weise die Beweislast für für ihn günstige Umstände auferlegt worden, kann sich deshalb das Strafrecht daran anschließen. Denn steuerrechtlich soll dem Betroffenen bei Zweifeln, ob relevante außersteuerliche Gründe vorliegen, der steuerliche Vorteil gerade nicht gewährt werden[17]. Auch hier ist aber zu ...

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