Rz. 456

[Autor/Stand] Der Strafrichter ermittelt die verkürzte Steuer nach den Beweisgrundsätzen des Strafprozessrechts[2]. Bei der Feststellung, in welcher Höhe Steuerbeträge verkürzt wurden, entscheidet er eigenständig. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) besteht keine Bindung an (rechtskräftige) Entscheidungen der FinB oder des FG (s. § 396 Rz. 10 ff. m.w.N.)[3]. Nach § 396 AO können das Gericht oder im Ermittlungsverfahren die StA das Strafverfahren aber bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens aussetzen, wenn die Beurteilung der Tat davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt worden sind (s. § 396 Rz. 53 ff.). Bloße Zweifel hinsichtlich der Höhe der Steuerverkürzung sollen die Aussetzung nach § 396 AO aber nicht rechtfertigen (s. § 396 Rz. 51).

 

Rz. 457

[Autor/Stand] Aus der Geltung des Strafprozessrechts folgern der BGH und die h.L., dass spezifisch steuer- oder zollrechtliche Beweisvereinfachungen unbeachtlich seien:

"Hinzu kommt, dass § 20 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG für das Strafverfahren unanwendbar ist, da es sich weder um eine ‚Strafvorschrift der Steuergesetze‘ im Sinne von § 369 Abs. 2 AO noch um eine ‚Steuerstrafverfahrensvorschrift‘ im Sinne des § 385 Abs. 1 AO handelt. § 20 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG erklärt die Differenzbesteuerung auch für den Fall anwendbar, dass der Verbleib eines nach § 2 Abs. 3 EnergieStG ermäßigt versteuerten Energieerzeugnisses nicht festgestellt werden kann; denn die (weiterhin) begünstigte Verwendung ist in diesem ungewissen Fall gerade nicht belegt (Middendorp, aaO, § 20 Rz. 9). Damit entspricht die Regelung allgemeinen Grundsätzen des Verbrauchsteuerrechts, wonach die Unaufklärbarkeit des Verbleibs nicht zugunsten der für die Ware verantwortlichen Person und damit zulasten des Fiskus gehen soll und ist im Zusammenhang mit § 161 AO zu sehen. Letztlich bürdet sie demjenigen, der ermäßigt versteuerte Waren in Besitz hat, das Risiko für Fehlmengen auf (Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, S. 231 f.; Soyk in Friedrich/Soyk, aaO, § 20 Rz. 15; Middendorp, aaO). Vor dem Hintergrund, dass § 20 EnergieStG eine Steuerentstehung für Energieerzeugnisse des steuerrechtlich freien Verkehrs vorsieht, die einer besonderen energiesteuerlichen Überwachung nicht mehr unterliegen, ergeben sich dadurch in erster Linie Beweiserleichterungen für die Ermittlungsbehörden, wenn nach § 2 Abs. 3 EnergieStG versteuerte Energieerzeugnisse Gegenstand steuerrechtlicher Ermittlungen sind und der Nachweis einer zweckwidrigen Verwendung nur schwer einwandfrei zu erbringen ist (Falkenberg in EnergieStG –eKommentar, aaO, § 20 Rz. 9 f.). Solche steuerlichen Fiktionen oder Beweisvermutungen zulasten des Steuerpflichtigen, die das abgabenrechtliche Verfahren erleichtern sollen, gelten aber im Strafverfahren nicht (für die generelle Norm der Fehlmengenbesteuerung in § 161 AO: Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand März 2013, § 161 Rz. 6; vgl. zu §17 ZG BGH, Urt. v. 24.6.1987 – 3 StR152/87 Rz. 11 f.; vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1985 – 2 StR64/85, BGHSt 33, 383, 385 ff.; Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 97–100 mwN; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 Rz. 75; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand November 2018, § 385 Rz. 676; teils a.A. Ransiek in Kohlmann, aaO, Stand Oktober 2019, § 370 Rz. 459). Die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG ist deshalb keine ‚Steuerstrafverfahrensvorschrift‘ im Sinne von § 385 Abs. 1 AO. Für das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten gelten, abgesehen von den hier nicht einschlägigen Vorschriften der §§ 386 bis 412 AO, die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich die Strafprozessordnung. Demgemäß entscheidet der Strafrichter nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO), ob ein (Verbrauch-)Steuertatbestand verwirklicht worden und daher eine (Verbrauch-)Steuerschuld entstanden ist (BGH, Urt. v. 24.6.1987 – 3 StR 152/87 Rz. 12; Seer inTipke/Kruse, AO/FGO, Stand Oktober 2017, § 161 Rz. 15). Auf den Tatbestand zur Steuerentstehung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG kann deshalb zwar abgabenrechtlich, nicht aber im Steuerstrafverfahren zurückgegriffen werden."[5]

 

Rz. 458

[Autor/Stand] Das ist nicht überzeugend. Deutlich ist das insb. in den Fällen, in denen formale steuerrechtliche Nachweise gesetzlich als materielle Voraussetzung für die Gewährung eines steuerrechtlichen Vorteils ausgestaltet sind. Dann ist die Frage, ob eine Steuerverkürzung bzw. ein unrechtmäßig erlangter steuerlicher Vorteil gegeben ist, davon abhängig, ob die steuerrechtlich vorgesehenen Nachweise vorliegen. Nicht entscheidend ist, ob materiell der Grund für die Gewährung des steuerrechtlichen Vorteils vorliegt (s. Rz. 444 ff.). Strafprozessuale Grundsätze – insb. der Grundsatz "in dubio pro reo" – finden insoweit gerade keine Anwendung[7].

 

Rz. 459

[Autor/Stand] Auch ...

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