In einem zweiten Schritt soll nach Auffassung der Finanzverwaltung[85] nunmehr obligatorisch ein Principal Purpose Test erfolgen.

Von Finanzverwaltung in diesem Zusammenhang geforderter Motivtest ...: Ohne Beschränkung auf Fälle der Kapitalverkehrsfreiheit[86] soll künftig der Nachweis erbracht werden, dass die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft keine rein künstliche Gestaltung darstellt, deren Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in Drittstaaten oder Gebiete mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren.

... geht über gesetzliche Anforderungen des § 8 Abs. 2 AStG hinaus: Der durch die Finanzverwaltung geforderte Motivtest geht in diesem Zusammenhang über die gesetzlich formulierten Anforderungen in § 8 Abs. 2 AStG[87] hinaus. Schließlich hätte man – ähnlich etwa den Anforderungen in § 50d Abs. 3 S. 2 EStG oder § 138d Abs. 3 AO – einen Principal Purpose Test gesetzlich verankern können. Stattdessen enthält der Gesetzeswortlaut lediglich die Anforderung an eine wirtschaftliche Realität in Gestalt einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit.[88]Fazit: Aus einer rein terminologischen Auslegung heraus schlägt die Auffassung der Finanzverwaltung mithin fehl.

Kein Rückhalt aus unionsrechtlichen Gesichtspunkten: Auch aus unionsrechtlichen Gesichtspunkten findet die Auffassung der Finanzverwaltung keine Rückendeckung. Der EuGH entschied in der Rechtsache Cadbury Schweppes[89], dass eine Hinzurechnungsbesteuerung ausscheidet, wenn die Gründung einer ausländischen Gesellschaft mit einer wirtschaftlichen Realität zusammenhängt. Dies gelte "ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art".[90]Beachten Sie: Ferner gilt hervorzuheben, dass die Kapitalverkehrsfreiheit subsidiär[91] – gegenüber der Niederlassungsfreiheit – anwendbar ist. Nur in den Fällen der Kapitalverkehrsfreiheit[92] ist sodann überhaupt ein Principal Purpose Test auf zweiter Stufe unionsrechtlich geboten.[93]Fazit: Damit ist eine pauschale Forderung nach außersteuerlichen Motiven im Anwendungserlass vom 17.3.2021[94] nicht mit Primärrecht vereinbar.

Wortlaut des Anwendungsschreibens: Schließlich soll auch der Wortlaut des Anwendungsschreibens[95] untersucht werden. So soll der Principal Purpose Test allgemein dann relevant sein, wenn durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in "Drittstaaten oder Gebiete mit niedrigem Besteuerungsniveau" transferiert werden. Die von der Finanzverwaltung gewählte Formulierung der "Gebiete"

  • ist irritierend und
  • kann sich in Bezug auf die zweite Alternative[96] aus teleologischen Gesichtspunkten ebenfalls nur auf Nicht-EU/EWR Länder beziehen. Dies könnten etwa Länder sein, die geografisch zwar in Europa liegen, jedoch nicht der EU/dem EWR angeschlossen sind.[97]

Fazit: Nur durch diese einschränkende Lesart des Anwendungserlasses[98] würde sich mithin ein (primärrechtlich) logischer und systemkonformer Anknüpfungspunkt für den Principal Purpose Test ergeben.

[85] BMF v. 17.3.2021 – IV B 5 - S 1351/19/10002:001 – DOK 2021/0290319, GmbH-StB 2021, 159 (Weiss) = BStBl. I 2021, 342 Tz. II.
[86] Zwar enthalten die Ausführungen des BMF (BMF v. 17.3.2021 – IV B 5 - S 1351/19/10002:001 – DOK 2021/0290319, GmbH-StB 2021, 159 [Weiss] = BStBl. I 2021, 342 Tz. II) einen entsprechenden Verweis auf die zugrunde liegenden Urteile des EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 "X-GmbH", Ubg 2019, 229 Rz. 84; EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 "N Luxembourg 1"; EuGH v. 26.2.2019 – C-118/16 "X Denmark A/S"; EuGH v. 26.2.2019 – C-119/16 "C Danmark I"; EuGH v. 26.2.2019 – C-299/16 "Z Denmark ApS". Allerdings wird keine Einschränkung des Motivtestes auf Fälle der Kapitalverkehrsfreiheit formuliert, sondern der Motivtest für generell anwendbar erklärt.
[87] Auch nach ATADUmsG.
[88] Die künftig erforderliche wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit des ATADUmsG stellt ebenso lediglich auf eine Substanz, nicht hingegen auf einen Principal Purpose Test ab.
[89] EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 – "Cadbury Schweppes", GmbH-StB 2006, 287 (Brinkmeier) = GmbHR 2006, 1049 Rz. 65.
[90] EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 – "Cadbury Schweppes", GmbH-StB 2006, 287 (Brinkmeier) = GmbHR 2006, 1049 Rz. 65.
[91] S. dazu etwa EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 – "Cadbury Schweppes", GmbH-StB 2006, 287 (Brinkmeier) = GmbHR 2006, 1049 Rz. 33; EuGH v. 13.11.2012 – C-35/11 "Test Claimants in the FII Group Litigation" Rz. 34; EuGH v. 3.10.2006 – C-452/04 – "Fidium Finanz AG" Rz. 48 f.; EuGH v. 10.5.2007 – C-492/04 – "Lasertec Gesellschaft für Stanzformen mbH" Rz. 25.
[92] Diese ist mithin nur dann einschlägig, wenn die Beteiligung keinen sicheren Einfluss – von mindestens 10 % – vermittelt. S. dazu EuGH v. 11.9.2014 – C-47/12 – "Kronos International"; EuGH v. 3.10.2013 – C-282/12 "Itelcar".
[93] EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 – "X-GmbH", Ubg 2019, 229 Rz. 84. S. dazu auch Köhler, ISR 2021, 210.

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