Rz. 119

Der Gläubiger der Kapitalerträge (als der Schuldner der KapESt – vgl. Rz. 7ff.) wird nur dann in Anspruch genommen,

  • wenn der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle bzw. die die Kapitalerträge auszahlende Stelle die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig um die KapESt gekürzt hat (Rz. 100 und 121),
  • wenn der Gläubiger weiß, dass der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle bzw. die die Kapitalerträge auszahlende Stelle die einbehaltene KapESt nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat, und dies dem FA nicht unverzüglich (d. h. ohne schuldhaftes Verzögern) mitteilt (Rz. 107 und Rz. 122), oder
  • wenn das die Kapitalerträge auszahlende inländische Kredit- oder inländische Finanzdienstleistungsinstitut die Kapitalerträge zu Unrecht ohne Abzug der KapESt ausgezahlt hat (Rz. 123ff.).
 

Rz. 120

Hat der zum Steuerabzug Verpflichtete (d. h. der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle bzw. die die Kapitalerträge auszahlende Stelle) die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig um die KapESt gekürzt und kann die Veranlagung des Gläubigers der Kapitalerträge zum Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme noch nicht durchgeführt werden (z. B. weil der Vz noch nicht abgelaufen ist), wird das für seine Veranlagung zuständige FA den Gläubiger der Kapitalerträge durch Erteilung eines Nachforderungsbescheids über die nicht erhobene KapESt in Anspruch nehmen. Ein Haftungsbescheid kommt nicht in Betracht, weil der Gläubiger der Kapitalerträge Schuldner der KapESt bzw. ESt ist.

Ein solcher Nachforderungsbescheid ist noch Teil des Steuerabzugsverfahrens. Bei der nachfolgenden Veranlagung des Gläubigers wird dann die aufgrund des Nachforderungsbescheids erhobene KapESt nach § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG auf die bei der Veranlagung festgesetzte ESt bzw. KSt angerechnet.

 

Rz. 121

Der in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 EStG vorgesehene Fall der Inanspruchnahme des Gläubigers der Kapitalerträge liegt vor, wenn der zum Steuerabzug Verpflichtete den Kapitalertrag ungekürzt, also brutto an den Gläubiger auszahlt (Nichtvornahme des Steuerabzugs). Positive Kenntnis oder Kennenmüssen der Nichtvornahme des Steuerabzugs sind nicht Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Gläubigers.

 

Rz. 122

Die in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 EStG vorgesehene Fallgruppe setzt hingegen in Abgrenzung zu dem in Nr. 1 genannten Fall voraus, dass der zum Steuerabzug Verpflichtete die KapESt zwar einbehalten, aber nicht an das für den zum Steuerabzug zuständige FA abgeführt hat und der Gläubiger davon positive Kenntnis hat (Rz. 107). Das Wissen darum, dass es voraussichtlich nicht zur Abführung kommen wird, reicht nicht aus.[1]

 

Rz. 123

Der in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 EStG vorgesehene Fall der Inanspruchnahme des Gläubigers der Kapitalerträge (Rz. 122) betrifft Fälle eines zu Unrecht gestellten Sammelantrags auf Erstattung der vom Steuerabzugsverpflichteten abgeführten KapESt, sofern die Kapitalerträge dem Gläubiger vor dem 1.1.2010 zugeflossen sind. Für nach dem 31.12.2009 zugeflossene Kapitalerträge ist das Sammelantragsverfahren durch ein vereinfachtes Erstattungsverfahren gem. § 44b Abs. 6 EStG ersetzt worden (§ 44b EStG Rz. 74ff.). § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 EStG kommt für nach dem 31.12.2009 zugeflossene Erträge zur Anwendung, wenn mangels Vorliegen aller in § 44b Abs. 6 EStG genannter Voraussetzungen eine Erstattung der abgeführten KapESt an den Gläubiger vorgenommen wird. In den Fällen der Nr. 3 liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 1 gerade nicht vor, weil es zur Abführung der einbehaltenen KapESt an den Fiskus gekommen ist. Die KapESt wurde auch vorschriftsmäßig abgeführt, sodass die Fallgruppe des § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 EStG nicht vorliegt. Da der Gläubiger dem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut jedoch einen Freistellungsauftrag, eine NV-Bescheinigung oder eine Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 EStG eingereicht hat, wird der Kapitalertrag dem Gläubiger "ohne Abzug der KapESt", also brutto in voller Höhe ausbezahlt. Das inländische Kreditinstitut tritt mit der Bruttovergütung gegenüber dem Gläubiger in Vorleistung und verrechnet zu Unrecht die erstattete KapESt gem. § 44b Abs. 6 S. 3 EStG mit der folgenden KapESt-Abführung an das FA. Gerade diese Verrechnung wird in den Fällen der Nr. 3 jedoch zu Unrecht vorgenommen. Die unrechtmäßige Auszahlung der Kapitalerträge ohne Abzug von KapESt kann z. B. darauf zurückzuführen sein, dass der Gläubiger einen zu hohen, über den Sparer-Pauschbetrag gem. § 20 Abs. 9 S. 1 EStG hinausgehenden Freistellungsauftrag erteilt (§ 44a EStG Rz. 20ff.) oder bei der Beantragung der NV-Bescheinigung über seine tatsächlich höheren Einkünfte falsche Angaben gemacht hat. Der Gläubiger hat die Vorleistung daher zu Unrecht erhalten und kann deswegen per Nachforderungsbescheid in Anspruch genommen werden.

 

Rz. 123a

Ein inländisches Kreditinstitut zahlt in den Fällen der Nr. 3 die Kapitalerträge immer dann "ohne Abzug der KapESt" aus, wenn ein Fall des § 44b Abs. 6 EStG vorliegt, dem Gläubiger also Gewinnanteile aus Aktien (Kapita...

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