Rz. 144b

Der im Rahmen der europarechtlichen Diskussion über die Zulässigkeit der Besteuerung von stillen Reserven in "auswandernden" Wirtschaftsgütern oder (Teil-)Betrieben entstandene Begriff "Funktionsverlagerung" bezeichnet einen Vorgang, mit dem eine in einem bestimmten Staat ausgeübte (Geschäfts-)Tätigkeit in einen anderen Staat verlagert wird und dadurch Besteuerungssubstrat verloren zu gehen droht. Für die steuerliche Beurteilung ist es wichtig zu unterscheiden, ob dieser "Verlust von Besteuerungssubstrat" in der Vergangenheit bereits entstandene Wertsteigerungen in Form stiller Reserven einzelner Wirtschaftsgüter betrifft oder ob zukünftige Gewinnaussichten in Form eines Firmen- oder Geschäftswerts erfasst werden sollen.

Die "Auswanderung" in das übrige EU-Gebiet spielt dabei aufgrund der europarechtlichen Restriktionen im Bereich der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit eine besondere Rolle[1].

Die Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 AStG in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen[2] definiert in § 1 Abs. 1 S. 1 FVerlV[3] die zu verlagernde "Funktion" als "eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden". Sie ist nach § 1 Abs. 1 S. 2 FVerlV "ein organischer Teil eines Unternehmens, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss".

Eine Funktionsverlagerung liegt nach § 1 Abs. 2 FVerlV i. d. R. vor, "wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahestehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird."[4].

Erforderlich ist somit die Übertragung der Funktion auf einen fremden Rechtsträger, der dem verlagernden Unternehmen i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG nahesteht. Die Ausgliederung einer Funktion in eine eigene Betriebsstätte im Ausland erfüllt diese Voraussetzung nicht, wohl aber eine spätere Einbringung der Betriebsstätte in einen selbstständigen Rechtsträger, wenn die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen und insbesondere die Inlandsbesteuerung des verlagernden Unternehmens dadurch tangiert wird.

Im Rahmen einer Funktionsverlagerung werden nicht nur einzelne Wirtschaftsgüter (§ 1 Abs. 7 FVerlV, sondern Organisationseinheiten übertragen, die einen Teilbetrieb im steuerlichen Sinn darstellen können aber nicht müssen (§ 1 Abs. 1 S. FVerlV. Wird ein Teilbetrieb "verlagert", so sind grundsätzlich auch die Voraussetzungen einer (entgeltlichen) Betriebsveräußerung gegeben, weil ein (Teil-)Betrieb auf einen anderen Rechtsträger (Personen- oder Kapitalgesellschaft) gegen Entgelt, das auch in der Gewährung von Gesellschaftsrechten bestehen kann[5], übertragen wird. Soweit § 16 Abs. 1 EStG danach anwendbar ist, werden dessen Rechtsfolgen allerdings durch die speziellere Regelung des AStG ergänzt (§ 1 Abs. 1 S. 3 AStG), was insbesondere die Wertermittlung des Transferpakets (§ 3 Abs. 2 FVerlV) angeht.

[2] FVerlV v. 12.8.2008, BGBl I 2008, 1680, beruhend auf § 1 Abs. 3 S. 13 AStG i. d. F. des Gesetzes v. 14.8.2007, BGBl I 2007, 1912; anzuwenden nach § 12 FVerlV ab 1.1.2008.
[3] Siehe Funktionsverlagerungsverordnung v. 12.8 2008, BGBl I 2008, 1680, zuletzt geändert durch Art. 24 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809.
[4] Zur Historie der Regelung zur Funktionsverlagerung und zum derzeitigen Meinungsstand Frotscher, FR 2008, 49; Jahndorf, FR 2008, 101, jeweils m. w. N.

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