„ [2] Satz 1 findet keine Anwendung, ...”

 

Rz. 501

[Autor/Stand] Regelungsstruktur. Satz 2 ist als Ausnahmeregelung zu Satz 1 konzipiert und schließt bei Vorliegen seiner Tatbestandsvoraussetzungen die Anwendung des Satzes 1 aus. Das bedeutet, dass die Anwendung von Satz 1 unter dem Vorbehalt steht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 nicht erfüllt sind. Dabei enthält Satz 2 (getrennt durch das "oder") zwei eigenständige Ausnahmetatbestände (Alternativen):

  • Satz 2 Alt. 1 enthält den sog. Gegenbeweis in Form eines Principal Purpose Tests (PPT).
  • Satz 2 Alt. 2 enthält die sog. Börsenausnahme.

Es ist zu beachten, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 Alt. 1 (PPT; nicht aber der Alt. 2, vgl. Rz. 510, 516) nur erfüllt sind, wenn die Körperschaft deren Vorliegen "nachweist"; das "nachweist" ist selbst materielle Tatbestandsvoraussetzung und statuiert eine subjektive Beweislast (Beweisführungslast, vgl. Rz. 517). Die übrigen Voraussetzungen des Satzes 2 Alt. 1 (= kein steuerlicher Hauptzweck) sind daher keine von Amts wegen zu berücksichtigende negative Tatbestandsmerkale für die Versagung nach Satz 1: Weist die Körperschaft das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 Alt. 1 – aus welchen Gründen auch immer – nicht nach, findet Satz 1 uneingeschränkt Anwendung, auch wenn die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 Alt. 1 (kein steuerlicher Hauptzweck) materiell vorliegen. Satz 1 trägt insoweit die Rechtsfolge der Versagung der Entlastung eigenständig. Die Börsenausnahe des Satzes 2 Alt. 2 ist hingegen ein von Amts wegen zu berücksichtigendes negatives Tatbestandsmerkmal; zur Beweislast (Feststellungslast) hinsichtlich der Börsenausnahme s. Rz. 628. S. zur Bedeutung des "soweit" und des "wenn"Rz. 510.

 

Rz. 502

[Autor/Stand] Zeitliche Anwendung. In der praktischen Anwendung des PPT ist zu beachten, dass dieser im Freistellungsverfahren bereits vor dem Zeitpunkt geführt wird, in dem die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 1 erfüllt werden (d.h. vor Entstehen des Entlastungsanspruchs bei Zufluss der Kapitalerträge, vgl. Rz. 611). Befindet man sich hingegen im Erstattungsverfahren, so ist bei der Anwendung des Satzes 2 die Rechtsfolge des Satzes 1 bereits eingetreten, nämlich im Zeitpunkt des Entstehens des Entlastungsanspruchs. Werden in diesem Fall die Voraussetzungen des Satzes 2 Alt. 1 nachgewiesen, so findet Satz 1 rückwirkend keine Anwendung mehr und der Entlastungsanspruch lebt rückwirkend wieder auf, d.h. er wurde nie nach Satz 1 versagt. Eine Wirkung ex nunc (in die Zukunft) wäre nicht sachgerecht, da bei erfolgreichem Führen des Gegenbeweises feststeht, dass für den Zeitpunkt des Entstehens des Entlastungsanspruchs kein Missbrauch vorlag.

 

Rz. 503

[Autor/Stand] Rechtsfolge: Keine Anwendung des Satzes 1. Die Rechtsfolge des Satzes 2 ist, dass Satz 1 "keine Anwendung" findet. Die Anwendung des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG bedeutet, dass die FinVerw oder ein Gericht dessen Rechtsfolgen für einen Sachverhalt, der tatbestandlich unter Satz 1 fällt, real durchsetzt, d.h. die Entlastung von der Kapitalertragsteuer oder dem Steuerabzug nach § 50a EStG versagt. Die Rechtsfolge des Satzes 2 ("Satz 1 findet keine Anwendung") ordnet hingegen an, dass die FinVerw oder ein Gericht, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 1 für sich betrachtet erfüllt sind, die Entlastung von der Kapitalertragsteuer oder dem Steuerabzug nach § 50a EStG nicht nach Satz 1 versagen darf, "soweit" (vgl. Rz. 510 ff.) die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 Alt. 1 (PPT) und "wenn" (vgl. Rz. 585) die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 Alt. 2 (Börsenklausel) vorliegen. Satz 2 setzt dabei denklogisch voraus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind. Satz 1 und Satz 2 stehen daher in einem Stufenverhältnis, das sich auch im Prüfungsschema zu § 50d Abs. 3 EStG widerspiegelt (vgl. Rz. 72).

[Autor/Stand] Autor: Schönfeld/Erdem, Stand: 01.03.2022
[Autor/Stand] Autor: Schönfeld/Erdem, Stand: 01.03.2022
[Autor/Stand] Autor: Schönfeld/Erdem, Stand: 01.03.2022

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