rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristbeginn und Wiedereinsetzung bei doppelter Zustellung

 

Leitsatz (amtlich)

Über die Frage der Versäumung der Klagefrist und über die Wiedereinsetzung kann durch Zwischenurteil entschieden werden, sei es gemäß § 97 oder § 99 Abs. 2 FGO oder § 155 FGO i.V.m. § 303 ZPO.

Eine im Zusammenhang mit einer tatsächlichen Verständigung zu verschiedenen Streitpunkten in Einspruchsverfahren erteilte Vollmacht kann dahin ausgelegt werden, dass sie sich auf die Vertretung in den dieselben Sachverhalte betreffenden Einspruchsverfahren erstreckt.

Zwingend muss der bevollmächtigten Steuerberatungsgesellschaft gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG nur zugestellt werden, wenn es sich unmissverständlich um eine die Einspruchsverfahren umfassende Empfangsvollmacht handelt.

Bei wirksamer doppelter oder mehrfacher Zustellung beginnt der Lauf der Rechtsmittel- oder Klagefrist mit der ersten Zustellung.

Das Verschulden an der Fristversäumnis entfällt nicht schon wegen der Blindheit des Adressaten.

Auch die mangelnde Kenntnis oder Erkundigung des zweiten Empfängers betreffend die vorangehende Zustellung entschuldigt nicht.

Eine Wiedereinsetzung kommt in Betracht bei Erklärungen oder Begleitschreiben des Absenders, durch die der Irrtum erweckt wird, dass erst die zweite Zustellung wirksam und für den Fristbeginn maßgeblich sei; die zustellende Behörde hätte den Empfängerirrtum durch den Hinweis auf die doppelte Zustellung vermeiden können.

 

Normenkette

AO § 80 Abs. 3 Sätze 1, 3, § 122 Abs. 5, § 366; FGO §§ 47, 56; GG Art. 2, 20, 103; VwZG § 7 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Tatbestand

I.

Durch das Zwischenurteil ist zu klären, ob die Klage zulässig ist, nachdem die Einspruchsentscheidungen doppelt zugestellt wurden und die Klage nicht binnen eines Monats nach der ersten, sondern erst binnen eines Monats nach der zweiten Zustellung erhoben worden ist.

1. Die Einsprüche waren mit Schreiben der jetzigen Prozessbevollmächtigten (Steuerberatungsgesellschaft) eingelegt und begründet worden (Rechtsbehelfs-Akte -Rb-A- Bd. I Bl. 3 ff).

2. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss einer tatsächlichen Verständigung über verschiedene Streitpunkte in einer Besprechung der Beteiligten im Hause des Beklagten (des Finanzamts -FA-) am 6. Juli 2001 (Rb-A Bd. I Bl. 179, Finanzgerichts-Akte -FG-A- Bl. 125) erteilte der blinde Kläger seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten am 6. Juli 2001 (Rb-A Bd. I Bl. 165, FG-A Bl. 141):

"Steuerberatungsvollmacht

Der ... Steuerberatungsgesellschaft ... wird hiermit Vollmacht erteilt, ab sofort und bis auf Widerruf gegenüber der Finanzverwaltung, insbesondere dem Finanzamt Hamburg-... Herrn ... entsprechend § 80 Abgabenordnung steuerlich zu vertreten, insbesondere im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen in den von der Steuerfahndung aufgegriffenen Steuerfällen der Jahre 1989 bis 1995 sowie ... der anschließenden Jahre."

3. Mit Postzustellungsurkunden vom 29. August 2005 wurde die Einspruchsentscheidung Einkommensteuer 1993 vom 26. August 2005 (Rb-A Bd. III Bl. 135, FG-A Bl. 50) dem Kläger (Rb-A Bd. III Bl. 171) und die Einspruchsentscheidung Einkommensteuer 1995-1996 vom 26. August 2005 (Rb-A Bd. III Bl. 151, FG-A Bl. 65) den Klägern zugestellt (Rb-A Bd. III Bl. 170). Den Einspruchsentscheidungen war jeweils ein persönlich adressiertes Begleitschreiben beigefügt, in dem es heißt (Rb-A Bd. III Bl. 150, 168):

"... hiermit übersende ich Ihnen nachrichtlich zur Kenntnis die Einspruchsentscheidung ... an Ihren steuerlichen Berater ... in Kopie."

4. Im Adressfeld der Einspruchsentscheidungen war die Steuerberatungsgesellschaft und jetzige Prozessbevollmächtigte aufgeführt. Dieser wurden beide Einspruchsentscheidungen mit Postzustellungsurkunde vom 30. August 2005 zugestellt (Rb-A Bd. III Bl. 172, FG-A Bl. 82).

5. Die Monatsfristen liefen nach der Zustellung an die Kläger ab am Donnerstag 29. September und nach der Zustellung an die Prozessbevollmächtigte am Freitag 30. September 2005. Erst am letztgenannten Tag ging die Klage per Fax ein (FG-A Bl. 1).

II.

Das FA trägt vor (FG-A Bl. 117, 140):

Nach dem Inhalt der erteilten Vollmacht habe es keine Zustellvollmacht von den Klägern gehabt. Deswegen habe es an diese persönlich zugestellt und sei keine wirksame Bekanntgabe an die Steuerberatungsgesellschaft möglich gewesen.

III.

Der Berichterstatter hat am 1. und 22. August 2006 mit den Beteiligten Sach- und Rechtsfragen erörtert (FG-A Bl. 116, 144).

Dabei hat er am 1. August 2006 auf die an die Kläger persönlich bewirkten Zustellungen und auf die danach abgelaufene Monatsfrist hingewiesen (FG-A Bl. 117). Wiedereinsetzung ist weder in den seitdem verstrichenen zwei Wochen noch danach beantragt worden.

In der Sitzung vom 22. August 2006 haben die Beteiligten sich nach weiteren Hinweisen damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter allein an Stelle des Senats im Wege des Zwischenurteils über die Zulässigkeit der Klage entscheidet. Nach Verkündung dieses Zwischenurteils in der Sitzung haben...

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