Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug, Abgrenzung Lieferung/Vermietung eines Gebäudes, Verkauf eines Gebäudes unterhalb der Anschaffungskosten, Vorsteuerabzug nach Veräußerung eines Gebäudes, das vom Erwerber nur teilweise genutzt wird

 

Leitsatz (amtlich)

Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, d. h., wenn er ein Gebäude errichten ließ und es zu einem unter den Baukosten liegenden Preis verkaufte, zum Abzug der gesamten für den Bau des Gebäudes entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer berechtigt ist und nicht nur zum Abzug eines den Gebäudeteilen, die der Erwerber für wirtschaftliche Tätigkeiten nutzt, entsprechenden Teils der Steuer. Dass der Erwerber einen Teil des betreffenden Gebäudes einem Dritten zur unentgeltlichen Nutzung überlässt, ist insoweit irrelevant.

 

Normenkette

EGRL 112/2006

 

Beteiligte

Gemeente Woerden

Staatsecretaris van Financiën

 

Verfahrensgang

Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Beschluss vom 29.05.2015; ABl. EU 2015, Nr. C 262/10)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Vorsteuer ‐ Abzug“

In der Rechtssache C-267/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 29. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juni 2015, in dem Verfahren

Gemeente Woerden

gegen

Staatsecretaris van Financiën

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Richters A. Borg Barthet (Berichterstatter) und der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Gemeente Woerden, vertreten durch R. Brouwer, belastingadviseur,

‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer, M. Bulterman und M. Gijzen als Bevollmächtigte,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Kranenborg und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gemeente Woerden (Gemeinde Woerden, Niederlande) und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) wegen eines Bescheids über die Nacherhebung von Mehrwertsteuer für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. November 2008.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt“.

Rz. 4

Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

Rz. 5

Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer … kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

…“

Rz. 6

Art. 13 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten in Bezug auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.“

Rz. 7

Art. 72 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt als ‚Normalwert‘ der gesamte ...

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