EuGH-Vorlage zur Organschaft

Unterliegen entgeltliche Leistungen zwischen zu einem Steuerpflichtigen zusammengefassten Personen als Innenumsätze jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist?

Hintergrund: Dienstleistungen für den wirtschaftlichen und den hoheitlichen Bereich

Die X (eine Stiftung öffentlichen Rechts) ist Trägerin einer Universität, die einen Bereich Universitätsmedizin unterhält. Sie ist Organträgerin der U-GmbH. Diese erbringt Dienstleistungen (Reinigung) sowohl für den wirtschaftlichen Bereich der X (Krankenhaus) als auch für den hoheitlichen Bereich (Unterrichtsräume für Studierende). Der Anteil des hoheitlichen Bereichs beträgt 7,6% der Gesamtfläche.

Das FA ging davon aus, bei den Betrieben der X handele es sich um ein einheitliches Unternehmen. Die von der U-GmbH für die X erbrachten Reinigungsleistungen seien Umsätze, die innerhalb der zwischen der X und der U-GmbH bestehenden Organschaft erbracht wurden und damit nichtsteuerbar seien (Innenumsätze). Die für den hoheitlichen Bereich erbrachten Reinigungsleistungen dienten jedoch einer unternehmensfremden Tätigkeit und lösten eine unentgeltliche Wertabgabe (Dienstleistungsentnahme) nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG bei der X aus.

Das FG gab der Klage statt. Die Organschaft beschränke sich nicht auf den unternehmerischen Bereich, sondern umfasse auch den hoheitlichen Bereich. Auch insoweit handele es sich um nicht steuerbare Innenumsätze. Die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Wertabgabe lägen jedoch nicht vor, weil der hoheitliche Tätigkeitsbereich eines Unternehmens nicht zu den unternehmensfremden Zwecken i.S.v. § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG gehöre.

Entscheidung: Zweite EuGH-Vorlage zur Steuerbarkeit von Innenleistungen  

Der BFH legt die Frage dem EuGH vor, ob entgeltliche Leistungen zwischen den verbundenen Personen (Innenumsätze) jedenfalls dann steuerbar sind, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Erstes Vorabentscheidungsersuchen 

Durch das erste Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH v. 7.5.2020, V R 40/19 (BFH/NV 2020, S. 839) legte der BFH die Problematik vor, ob die nationale Regelung zur Organschaft überhaupt unionsrechtskonform ist und ob es zu einer Entnahmebesteuerung kommt. Dabei hatte der BFH zugrunde gelegt, dass Innenumsätze nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen und daher nicht steuerbar sind. Dies entsprach seiner ständigen Rechtsprechung (z.B. BFH v. 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, S. 600, Rz. 17). Der EuGH entschied die vorgelegten Fragen dahingehend, dass die nationale Regelung zur Organschaft dem Grunde nach unionsrechtskonform ist und es im Streitfall zu keiner Entnahmebesteuerung kommt (EuGH-Urteil Finanzamt T v. 1.2.2022, C-269/20 (EU:C:2022:944).

Erneutes Vorabentscheidungsersuchen zu Innenumsätzen

Im Nachgang zu dem EuGH-Urteil Finanzamt T und auf das weitere Urteil Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie v. 1.12.2022, C-141/20 (EU:C:2022:943) stellt sich für den Streitfall nunmehr die Frage, ob Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen und damit steuerbar sind. Diese Problematik legt der BFH nunmehr in dem erneuten Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vor.

Steuerbarkeit von Innenumsätzen

Aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ergibt sich keine eindeutige Antwort zur Steuerbarkeit von Innenumsätzen. Die Annahme der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze nach der nationalen Rechtsprechung geht auf die Bedeutung der Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor der Einführung des Vorsteuerabzugs durch die Harmonisierung des Mehrwertsteuerrechts zurück. Damals war Kernstück der im nationalen Recht geregelten Organschaft die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze zwischen dem Organträger und den Organgesellschaften und zwischen den Organgesellschaften, um eine Steuerkumulation durch die Allphasen-Bruttobesteuerung ohne Vorsteuerabzug zu vermeiden (BFH v. 17.7.1952, V 17/52 S, BStBl III 1952, S. 234). Dieser Sachgrund für die Nichtbesteuerung der Innenumsätze ist durch Einführung des neuen Systems mit Vorsteuerabzug ab 1968 entfallen.  

Verwaltungsvereinfachung

Das Verfahren vereinfacht sich dadurch, dass aufgrund der Gruppenbildung nicht mehr mehrere Steuererklärungen abzugeben sind, da diese zu einer Steuererklärung zusammengefasst werden. Die Verwaltungsvereinfachung kann sich aber auch auf das materielle Recht beziehen, indem Innenumsätze zwischen den Gruppenmitgliedern als nicht mehr dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegend angesehen werden und auf dieser Grundlage die Erklärungspflicht entfällt. Dies kann dann als nachvollziehbar und vertretbar erscheinen, wenn das den Innenumsatz empfangende Gruppenmitglied zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und sich Steuerschuld und Vorsteuerabzugsrecht im Ergebnis saldieren.

Steuerverluste durch Nichtbesteuerung

Demgegenüber führt eine allgemeine Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen, die auch dann eingreift, wenn das den Innenumsatz empfangende Gruppenmitglied nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, zu Steuerverlusten und im Ergebnis nicht zu einer Verwaltungsvereinfachung, sondern zu einer Nichtbesteuerung. Denn bei einer Organschaft mit Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze unterbleibt von vornherein die Entstehung eines Steueranspruchs, während im anderen Fall (keine Organschaft/ keine Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen) ein Steueranspruch entsteht, der zu keinem Vorsteuerabzug führt.

Die Gefahr von Steuerverlusten, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, lässt die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze als zweifelhaft erscheinen. Denn der EuGH setzt für die Bestimmung des Organträgers zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe voraus, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt (EuGH-Urteil Finanzamt T, EU:C:2022:944, erste Antwort). Damit stellt sich für den EuGH die Frage, ob die bisher vom BFH angenommene Nichtsteuerbarkeit derartiger Innenumsätze zu einer Gefahr von Steuerverlusten führt, zu denen es nach dem EuGH-Urteil Finanzamt T (EU:C:2022:944) eigentlich nicht kommen darf.

Hinweis: Erhebliche Auswirkungen der Nichtbesteuerung

Der EuGH hat somit Stellung dazu zu nehmen, ob eine Verwaltungsvereinfachung zu Steuerverlusten führen darf. Derartigen Steuerverlusten kann erhebliches Gewicht zukommen, da die Organschaft wegen der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen gerade für Steuerpflichtige, denen aufgrund einer Steuerfreiheit kein Recht auf Vorsteuerabzug zusteht (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Versicherungsgesellschaften oder Banken), als Gestaltungsmittel angesehen wird, um das Entstehen einer nichtabziehbaren Vorsteuer zu vermeiden.

BFH EuGH-Vorlage vom 26.01.2023 - V R 20/22 (V R 40/19), V R 20/22, V R 40/19 (veröffentlicht am 23.03.2023)

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Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Organschaft, EuGH