Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Führt die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG dazu, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer nach Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie unterliegen?

2. Unterliegen entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten besteht?

 

Normenkette

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, Art. 2 Nr. 1, Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 6. EG-RL (= EWGRL 388/77)

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Trägerin einer Universität mit Klinik ist, bezog Reinigungsleistungen von ihrer Organ-GmbH, die sie für die steuerfreie Kliniktätigkeit und den hoheitlichen Ausbildungsbetrieb verwendete. Das FA zog die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistung nicht in Zweifel, ging aber im Umfang der Verwendung der Reinigungsleistung für Hoheitszwecke von einer Entnahmebesteuerung aus. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.10.2019, 5 K 309/17, Haufe-Index 13768031, EFG 2020, 881). Im Revisionsverfahren richtete der BFH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, das zum EuGH-Urteil Finanzamt T (EuGH, Urteil vom 1.12.2022, C-269/20, EU:C:2022:944, Haufe-Index 15473567) führte.

 

Entscheidung

Im Anschluss an das EuGH-Urteil richtete der BFH ein zweites Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

 

Hinweis

1. Der BFH richtet in einem Revisionsverfahren erstmals ein zweites Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Die erst seit einigen Jahren bestehenden Besonderheiten der Aktenführung beim BFH, die dazu führen, dass ein Revisionsverfahren, das nach einer Verfahrensaussetzung wieder aufgenommen wird, ein neues Az. erhält (hier: V R 20/22 im Anschluss an V R 40/19), ändern nichts daran, dass über dieselbe Revision zu entscheiden ist.

2. Mit seinem ersten Vorabentscheidungsersuchen wollte der BFH in Erfahrung bringen, ob § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit seiner Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die in der Organschaft zusammengefassten Unternehmen den unionsrechtlichen Anforderungen entspricht und ob eine Hoheitsverwendung zu einer Entnahmebesteuerung führt.

Der EuGH (EuGH, Urteil vom 1.12.2022, C-269/20, Finanzamt T, EU:C:2022:944, Haufe-Index 15473567) hat die Steuerschuldnerschaft des Organträgers unter bestimmten Voraussetzungen, die der BFH als gewahrt ansieht (BFH, Urteil vom 18.1.2023, XI R 29/22 (XI R 16/18), Haufe-Index 15637127), bejaht und die Entnahmebesteuerung verneint. Letzteres erfolgte in einer Weise, die neben weiteren Begründungselementen des EuGH daran zweifeln lässt, ob Innenumsätze zwischen Organträger und Organgesellschaft entsprechend der bislang h.M. weiterhin als nichtsteuerbar angesehen werden.

3. Diese Zweifel führen zu dem hier vorliegenden zweiten Vorabentscheidungsersuchen, das beim EuGH als Rechtssache Finanzamt T II, C-184/23 geführt wird und mit dem der BFH um die Beantwortung der im Leitsatz gestellten Fragen bittet.

Die Gestaltungsberatung mag dieses Vorabentscheidungsersuchen bedauern, es rechtfertigt sich aber aus den vielfältigen Interpretationsmöglichen, die sich aus den EuGH-Urteilen Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (EuGH, Urteil vom 1.12.2022, C-141/20, EU:C:2022:943, BFH/NV 2023, 253, Haufe-Index 15473565) und Finanzamt T (EuGH, Urteil vom 1.12.2022, C-269/20, EU:C:2022:944, Haufe-Index 15473567) in Bezug auf die Steuerbarkeit von Innenumsätzen ergeben.

4. Im Kern will der BFH in Erfahrung bringen, ob es für die Annahme einer Nichtsteuerbarkeit von Umsätzen zwischen Organträger und Organgesellschaft (Umsätze zwischen den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe) einen sachlichen Grund gibt.

Der BFH prüft dies anhand der Ziele, die mit der Mehrwertsteuergruppe i.S.v. Art. 4 Abs. 4 UA 2 der 6. RL (Art. 11 MwStSystRL) verfolgt werden. Dabei handelt es sich nach der (bisherigen) EuGH-Rechtsprechung um die Verwaltungsvereinfachung und die Verhinderung einer künstlichen Unternehmensaufspaltung. Diese Ziele rechtfertigen eine Nichtsteuerbarkeit jedenfalls bei Innenumsätzen an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Gruppenmitglieder eigentlich nicht.

Ob dies tatsächlich so ist oder ob andere Gesichtspunkte eine Nichtsteuerbarkeit begründen können, hat nunmehr der EuGH zu entscheiden. Dabei könnte der EuGH in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung auch darauf abstellen, dass es mehreren Unternehmen ermöglicht werden soll, wie ein Einheitsunternehmen bestehend aus Stammhaus und Betriebsstätte behandelt zu werden. Ausführungen des EuG...

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