Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslösung der Buchführungspflicht bei einem Land- und Forstwirt nach der Reichsabgabenordnung

 

Leitsatz (NV)

Die unter der Rechtslage der Reichsabgabenordnung (- AO -) zur Auslösung der Buchführungspflicht notwendige Feststellung, daß die in § 161 Abs. 1 Ziff. 1 Buchstabe e AO bezeichnete Voraussetzung vorliegt (vgl. § 1 Abs. 1 der Verordnung über landwirtschaftliche Buchführung vom 5. Juli 1935 - LwBuchfV -, RGBl I, 908), galt i. S. v. § 1 Abs. 4 LwBuchfV als getroffen, wenn sie dem Steuerpflichtigen oder einer sonst berechtigten Person bekanntgeworden ist. Bekanntgabemängel hinsichtlich der Zustellung des Steuerbescheids führten demnach nicht zwingend dazu, daß die Feststellung gem. § 1 Abs. 4 LwBuchfV nicht als getroffen galt.

 

Normenkette

AO § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e; LwBuchfV § 1 Abs. 1, 4; EGAO § 19

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1978, ob der Gewinn aus einem landwirtschaftlichen Betrieb nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Schätzung oder gemäß § 13 a EStG nach Durchschnittsätzen zu ermitteln ist.

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger ist Landwirt. Er bewirtschaftet einen Pachtbetrieb mit 45,98 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die Einkommensteuererklärungen 1971 bis 1977 wurden jeweils lediglich vom Kläger unterzeichnet. Dieser war ausweislich der Einkommensteuererklärungen nur bei Anfertigung der Einkommensteuererklärung 1973 von einem Steuerbevollmächtigten unterstützt. Bei Anfertigung der Einkommensteuererklärung 1975 hat die Hofverwalterin M mitgewirkt.

Das FA hatte sämtliche Zusammenveranlagungsbescheide an ,,Herrn und Frau XX" gerichtet und stets nur eine Ausfertigung der Bescheide an die Kläger übersandt. In einer dem Bescheid 1971 vom 15. August 1974 beigefügten Anlage wurden die Kläger auf die Verpflichtung zur Buchführung hingewiesen, weil ihr durchschnittlicher Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft mehr als 12 000 DM betrage. Im Einkommensteuerbescheid 1971 sind als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft 16 084 DM berücksichtigt worden.

Der Kläger ist der Aufforderung zur Einrichtung einer Buchführung nicht nachgekommen. Das FA schätzte deshalb gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) auch die für das Streitjahr 1978 maßgeblichen Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft und erließ am 13. August 1980 Einkommensteuerfestsetzungen 1978, die es jedem der Kläger in einer gesonderten Ausfertigung übersandte.

Die nach erfolglos gebliebenem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt das FA nicht für berechtigt, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft gemäß § 162 AO 1977 nach amtlichen Richtsätzen zu schätzen. Der landwirtschaftliche Gewinn sei vielmehr nach Maßgabe des § 13 a EStG in der jeweils geltenden Fassung zu ermitteln, weil für die Wirtschaftsjahre 1977/78 und 1978/79 keine Buchführungspflicht bestanden habe.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die Nichtanwendung bzw. unrichtige Anwendung der Grundsätze über die Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten sowie die Nichtanwendung der Regeln über die erweiterte Bestandskraft durch Verwirkung der Rechtsbehelfsbefugnis.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Kläger ist mit seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb dadurch buchführungspflichtig geworden, daß er vom Einkommensteuerbescheid 1971 und der Anlage hierzu Kenntnis genommen hat. Die Buchführungspflicht ist dann im zeitlichen Geltungsbereich der AO 1977 bestehengeblieben (vgl. § 19 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 - EGAO 1977 -, BGBl I, 3341, I 1977, 667, BStBl I, 694).

a) Ein Land- und Forstwirt war nach § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e AO verpflichtet, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, wenn er einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 12 000 DM gehabt hat. In § 1 Abs. 1 der aufgrund des § 12 der AO (i. d. F. des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - vom 16. Oktober 1934, RGBl I, 925) ergangenen LwBuchfV (zur Fortgeltung vgl. Art. 123 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - und Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 2 AO Tz. 22, m. w. N.) war u. a. bestimmt, daß die Buchführungspflicht nach § 161 AO mit dem Wirtschaftsjahr beginnt, das auf den Zeitpunkt folgt, an dem erstmalig bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer festgestellt worden ist, daß die in § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e AO bezeichnete Voraussetzung vorliegt. Gemäß § 1 Abs. 4 LwBuchfV galt eine derartige Feststellung dann als getroffen, wenn der Bescheid, der die Feststellung enthielt, entweder dem steuerpflichtigen Landwirt oder einer anderen zur Empfangnahme berechtigten Person bekanntgegeben worden ist.

Die Feststellung i. S. von § 1 Abs. 1 LwBuchfV gilt auch dann gemäß § 1 Abs. 4 LwBuchfV als getroffen, wenn der Einkommensteuerbescheid, der die Feststellung enthielt, den zusammenveranlagten Landwirtseheleuten als Steuerpflichtigen wegen eines Zustellungsmangels formell zwar nicht wirksam i. S. von § 91 Abs. 1 Satz 1 AO bekanntgegeben wurde, die Feststellung aber dem Landwirt selbst gleichwohl tatsächlich bekanntgeworden ist, weil er von ihr durch die Zusendung Kenntnis nehmen konnte (vgl. Senatsurteil vom 9. April 1987 IV R 308/84, BFH/NV 1987, 622).

Fehler hinsichtlich der notwendigen Zustellung des Steuerbescheids an zusammenveranlagte Ehegatten berühren die wirksame Bekanntgabe der Feststellung, die den Beginn der Buchführungspflicht auslöst, an den Landwirt selbst nicht (vgl. zur Bekanntgabe einer Betriebsprüfungsanordnung das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Februar 1978 VII R 51/77, BFHE 124, 408, BStBl II 1978, 416).

Gemäß § 91 Abs. 1 AO war der Einkommensteuerbescheid mit der Zeichnung durch den zuständigen Beamten wirksam entstanden und die darin enthaltene Feststellung für den Beginn der Buchführungspflicht in dem Augenblick wirksam getroffen, in dem sie dem betreffenden Landwirt durch Zusendung bekanntgeworden ist (vgl. BFH/NV 1987, 622, m. w. N.). Hierfür spricht der Zweck des § 1 Abs. 1 und 4 LwBuchfV, der den für den Beginn der Buchführung lückenhaften § 161 AO (zur Lückenhaftigkeit vgl. z. B. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 161 AO Rdnr. 12) diesbezüglich ergänzen sollte (zur Ergänzungsfunktion s. § 12 Abs. 1 Satz 1 AO i. d. F. von § 21 StAnpG). Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 17. März 1977 IV R 116/73, BFHE 121, 461, BStBl II 1978, 76; vom 31. März 1977 IV R 159/76, BFHE 121, 476, BStBl II 1977, 549) war die Feststellung i. S. v. § 1 Abs. 1 LwBuchfV das einzige Tatbestandsmerkmal für die Auslösung der Buchführungspflicht, das beim steuerlich nicht beratenen Steuerpflichtigen nach Treu und Glauben nur insoweit eine gewisse Ergänzung erfuhr, als hier der Steuerpflichtige noch ausdrücklich auf die Auslösung der Buchführungspflicht aufmerksam gemacht werden mußte (vgl. dazu schon den Runderlaß des Reichsministers der Finanzen vom 5. Juli 1935 S 2140 - 50 III, RStBl 1935, 953, Abschn. II Abs. 5 Satz 2). Dabei hatte die Feststellung in dem bekanntzugebenden Steuerbescheid (§ 1 Abs. 4 LwBuchfV) ebenso wie der ggf. erforderliche Hinweis den Sinn, den Steuerpflichtigen abgestuft nach seiner vermuteten steuerlichen Erfahrenheit nicht einer öffentlich-rechtlichen Pflicht auszusetzen, ohne ihn vorher darauf aufmerksam zu machen. Dieser Funktion genügte es aber, wenn der Landwirt von der Feststellung und ggf. dem gesonderten Hinweis auf den Beginn der Buchführungspflicht tatsächlich Kenntnis genommen hat. Dafür war es ausreichend, wenn die Feststellung bzw. der Hinweis in den Machtbereich des Steuerpflichtigen gelangt ist, so daß er davon Kenntnis nehmen konnte. Für die Auslegung des Senats spricht im übrigen auch die Interpretation der LwBuchfV durch den Verordnungsgeber in dem bereits erwähnten Runderlaß vom 5. Juli 1935. Hiernach sollte als Zeitpunkt, an dem eine Feststellung gemäß § 1 Abs. 1 LwBuchfV getroffen ist, ,,grundsätzlich" der Zeitpunkt gelten, an dem der Bescheid, der die Feststellung enthält, dem Land- und Forstwirt oder seinem Vertreter ,,bekanntgeworden" ist (Abschn. II Abs. 2 Satz 2 des Runderlasses).

b) Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Kläger selbst hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, daß er von dem Einkommensteuerbescheid 1971 bzw. dem beigefügten Hinweis keine Kenntnis genommen habe. Jedenfalls ist der Bescheid und die Anlage hierzu in seinen Machtbereich gelangt, so daß er davon Kenntnis nehmen konnte. Der Auslösung der Buchführungspflicht steht auch nicht entgegen, daß das FA in der Anlage zum Einkommensteuerbescheid 1971 den Beginn der Buchführungspflicht mit dem 1. Juli 1974 angenommen hat, obwohl dieser Zeitpunkt infolge einer Verzögerung beim Ergehen des Einkommensteuerbescheids 1971 bereits verstrichen war. Der Senat verweist diesbezüglich zur Begründung auf seine Ausführungen im Urteil vom 17. Oktober 1985 IV R 187/83 (BFHE 144, 400, BStBl II 1986, 39) zu § 141 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977, die hier entsprechend herangezogen werden können.

Im übrigen wäre die Buchführungspflicht auch durch die Einkommensteuerfestsetzung 1973 ausgelöst worden. Eines gesonderten Hinweises auf die Buchführungspflicht hätte es dabei nicht bedurft, weil der Kläger ausweislich der Einkommensteuererklärung 1973 steuerlich fachkundig beraten war.

Danach mußten die für das Streitjahr maßgeblichen Gewinne durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt werden. Da dies nicht geschehen ist, war das FG gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zur Schätzung der Gewinne berechtigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415641

BFH/NV 1988, 757

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