Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindungen; Auflösung eines Dienstverhältnisses; Gutschrift einer Entlassungsentschädigung

 

Normenkette

EStG 1974 § 3 Nr. 9; EStG 1975 § 3 Nr. 9; EStG §§ 11, 52 Abs. 1; KSchG § 13 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beschäftigte seit dem 1.Juli 1973 den Angestellten X. Das Grundgehalt des X betrug 4 500 DM monatlich. Mit Schreiben vom 22.Februar 1974 kündigte der Kläger das Anstellungsverhältnis fristlos. X hat seine Tätigkeit für den Kläger am Tage der Kündigung eingestellt und sie später nicht wieder aufgenommen. Auf die Klage des X stellte das Arbeitsgericht fest, daß das Dienstverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst sei, sondern bis zum 30.Juni 1975 fortbestehe. Der Kläger wurde verurteilt, für die Zeit bis Juni 1974 den Betrag von …. DM an X zu bezahlen.

Durch Vergleich vom 5.November 1974 lösten der Kläger und X das Dienstverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zum 31.Oktober 1974. Der Vergleich wurde auf Wunsch des X zunächst auflösend bedingt geschlossen und erst am 3.Juni 1975 vom Arbeitsgericht protokolliert. In dem Vergleich verpflichtete sich der Kläger, an X wegen des Verlustes seines Arbeitsplatzes gemäß §§ 9 und 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) eine Abfindung in Höhe von 50 000 DM netto zu zahlen. Hierauf sollte eine im Hinblick auf die Verurteilung bereits geleistete Zahlung von 10 000 DM angerechnet werden.

Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung wurde festgestellt, daß dieser den restlichen Abfindungsbetrag in Höhe von 40 000 DM erst im Juli 1975 an X ausgezahlt hatte. Wegen des Zuflusses dieses Teilbetrags der Abfindung erst im Juli 1975 vertrat der Prüfer die Auffassung, daß im Streitfall nicht § 3 Nr.9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der bis zum 31.Dezember 1974 geltenden Fassung ―im folgenden: EStG a.F.―, sondern § 3 Nr.9 EStG 1975 anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift sei nur ein Teilbetrag von 14 000 DM steuerfrei. Bei dem Restbetrag in Höhe von 36 000 DM handle es sich um steuerpflichtigen Arbeitslohn für die Zeit vom 1.März bis 31.Oktober 1974.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) folgte der Auffassung des Prüfers und nahm den Kläger durch formlosen Haftungsbescheid vom 4.Januar 1977 für nicht abgeführte Lohn- und Kirchenlohnsteuer 1975 in Anspruch. Der Kläger hat nach Abschluß der Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkannt.

Mit dem Einwand, im Streitfall finde § 3 Nr.9 EStG a.F. Anwendung, weil X die Verfügungsmacht über den restlichen Abfindungsbetrag von 40 000 DM bereits am 5.November 1974 durch die Gutschrift dieses Betrages in den Büchern des Klägers erhalten habe, drang der Kläger ―auch im Einspruchsverfahren― nicht durch.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Im Streitfall könne § 3 Nr.9 EStG a.F. nur auf den bereits in 1974 gezahlten Betrag von 10 000 DM angewendet werden. Für Abfindungen, die nach dem 31.Dezember 1974 zuflössen, komme § 3 Nr.9 EStG 1975 zur Anwendung (§ 52 Abs.1 EStG 1975). Da die restlichen 40 000 DM erst im Kalenderjahr 1975 gezahlt worden seien und X über diesen Betrag vorher nicht habe verfügen können, liege der Zufluß in 1975. Insoweit sei entscheidend, daß der Restbetrag der Abfindung im Jahr 1974 allenfalls in den Büchern des Klägers dem X gutgeschrieben worden sei und es sich dabei um eine noch nicht fällige Forderung gehandelt habe. Das FA habe mithin zu Recht nur 14 000 DM als steuerfreie Abfindung angesehen.

Der Kläger rügt mit der Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 3 Nr.9 und § 11 EStG. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß die Abfindung in vollem Umfang steuerfrei belassen wird. Hilfsweise stellt der Kläger den Antrag, die auf die Abfindung entfallende Lohnsteuer auf … DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger haftet nicht für die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer auf die Abfindung, da es sich bei dieser nicht um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelt.

1. Voraussetzungen und Umfang der Steuerbefreiung von Abfindungen anläßlich der Auflösung eines Dienstverhältnisses sind in § 3 Nr.9 EStG in der bis zum 31.Dezember 1974 und in der danach geltenden Fassung des EStG unterschiedlich geregelt. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß § 3 Nr.9 EStG 1975 erstmals auf Abfindungen anzuwenden ist, die dem Arbeitnehmer nach dem 31.Dezember 1974 zufließen (§ 52 Abs.1 EStG 1975). Unerheblich ist, wann das Dienstverhältnis aufgelöst oder die Abfindung vereinbart worden ist (Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 19.Aufl., § 3 EStG Anm.43).

2. Zufließen bedeutet nach der für das gesamte Einkommensteuerrecht maßgeblichen Auslegung des Begriffs, daß der Empfänger der Leistung über sie wirtschaftlich verfügen kann oder verfügt hat (zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 30.Oktober 1980 IV R 97/78, BFHE 132, 410, BStBl II 1981, 305; vgl. auch Urteil vom 9.April 1968 IV 267/64, BFHE 92, 221, BStBl II 1968, 525 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs ―RFH―). Dies ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolges. Dem Eintritt des Leistungserfolges steht es gleich, wenn der Empfänger der Leistung in der Lage ist, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen. In Anwendung dieser Grundsätze ist seit jeher anerkannt, daß die Gutschrift eines Betrages in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluß beim Berechtigten bewirken kann, wenn damit die wirtschaftliche Verfügungsmacht verbunden ist. Der BFH hat wiederholt entschieden, daß in der Gutschrift eines Lohnanspruchs in den Büchern des Arbeitgebers ein Zufluß im Sinne von § 11 EStG liegen kann. Dabei wurde wegen der Frage, wann eine Gutschrift zum Ausdruck bringt, daß der Arbeitnehmer über den Betrag verfügen kann, im allgemeinen darauf abgestellt, in wessen Interesse lediglich eine Gutschrift statt einer Auszahlung erfolgt ist (vgl. Urteil vom 29.November 1956 IV 287/55 U, BFHE 64, 151, BStBl III 1957, 58; Herrmann/Heuer, a.a.O., § 11 EStG Anm.15 unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung des BFH).

3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und war daher aufzuheben. Das FG hat abweichend von den vorstehend dargelegten Rechtsgrundsätzen der Gutschrift der Restabfindung in Höhe von 40 000 DM in den Büchern des Klägers keine weitere Bedeutung beigemessen und den Zufluß der Abfindung im Kalenderjahr 1975 ausschließlich damit begründet, daß die Forderung des X im Jahre 1974 noch nicht zur Zahlung fällig gewesen sei. Diese Beurteilung berücksichtigt nicht, daß der Zeitpunkt für die Entrichtung der 40 000 DM ausschließlich im Interesse des X hinausgeschoben wurde. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger die gesamte Abfindung nicht sofort bei Vergleichsabschluß im Jahre 1974 bezahlt hätte, wenn der Vergleich nicht auflösend bedingt geschlossen worden wäre. Unter diesen Umständen kommt der Gutschrift für die Annahme des Zuflusses eine entscheidende Bedeutung zu.

4. Die Sache ist spruchreif. Da die 40 000 DM bereits 1974 zugeflossen sind, ist im Streitfall § 3 Nr.9 EStG a.F. anzuwenden. Danach sind steuerfrei Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis aufgrund der §§ 9 und 10 KSchG. Das gleiche gilt für die Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis, die in einem Vergleich festgelegt worden sind, wenn die Abfindung unter Berücksichtigung der §§ 9 und 10 KSchG dem Grunde nach berechtigt ist.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr.9 EStG a.F. auch im Falle einer außerordentlichen aber wegen Fehlens eines wichtigen Grundes unwirksamen Kündigung (§ 13 Abs.1 KSchG) anwendbar (Urteile vom 13.Juni 1969 VI R 207/67, BFHE 97, 2,BStBl II 1970, 4 sowie vom 6.Oktober 1978 VI R 157/76, BFHE 126, 201, BStBl II 1979, 43). Nach dieser Rechtsprechung kann bei einer Abfindung wegen unwirksamer außerordentlicher Kündigung, die in einem Vergleich vereinbart ist, eine Steuerbefreiung unter den gleichen Voraussetzungen und in dem gleichen Ausmaß erfolgen wie bei einer Abfindung, die durch ein Urteil des Arbeitsgerichts festgesetzt worden ist. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die Abfindung in voller Höhe steuerfrei. Gemäß § 13 Abs.1 KSchG i.V.m. § 9 Abs.2 sowie §§ 10 und 12 KSchG hätte im Streitfall das Arbeitsgericht bei streitiger Entscheidung das Dienstverhältnis zum 22.Februar 1974 aufgelöst und den Kläger zur Zahlung einer angemessenen Abfindung verurteilt. Denn nach der Verpflichtung eines anderen Angestellten bereits im Februar 1974 wäre eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar gewesen. Bei entsprechender Anwendung von § 9 Abs.2 KSchG hätte das Gericht für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festsetzen müssen, zu dem die außerordentliche Kündigung, ihre Wirksamkeit unterstellt, wirksam geworden wäre (BFHE 97, 2 f., 7, BStBl II 1970, 4). Dem steht nicht entgegen, daß die Arbeitsvertragsparteien in dem Vergleich den 31.Oktober 1974 als Auflösungszeitpunkt festgelegt haben. Nach der Rechtsprechung des VI.Senats in BFHE 97, 2, 8, BStBl II 1970, 4 sowie in BFHE 126, 201, BStBl II 1979, 43, der sich der erkennende Senat anschließt, kommt es ―auch bei vergleichsweiser Festlegung eines anderen Zeitpunkts durch die Arbeitsvertragsparteien ―allein darauf an, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsgericht das Dienstverhältnis nach § 9 Abs.2 KSchG hätte auflösen können. Dabei wird nicht verkannt, daß einiges auch für die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanz spricht. Der Senat hält es jedoch aus Gründen der Rechtskontinuität für nicht vertretbar, wegen einiger "Altfälle" erst acht Jahre nach Außerkrafttreten des § 3 Nr.9 EStG a.F. eine Änderung der Rechtsprechung zu vollziehen, die ―auch aus wirtschaftlicher Sicht (vgl. hierzu BFHE 126, 201, BStBl II 1979, 43)― nicht zwingend geboten ist. Nach § 10 Abs.1 KSchG ist als Abfindung grundsätzlich ein Betrag bis zu 12 Monatsverdiensten festzusetzen. Im Streitfall liegt der Gesamtbetrag der Abfindung unter diesem Höchstbetrag.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1421937

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