Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreie Entlassungsabfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG vor 1975

 

Leitsatz (NV)

Wurde aufgrund einer Kündigungsschutzklage in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich das Arbeitsverhältnis einvernehmlich vorzeitig aufgelöst, so waren bei ordentlicher Kündigung Entgelte, die auf die Zeit vor Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist fielen, nach dem Abfindungsbegriff des § 3 Nr. 9 EStG vor 1975 nicht steuerfrei.

 

Normenkette

EStG vor 1975 § 3 Nr. 9

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Arbeitgeber des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) kündigte das mit diesem im Jahr 1965 eingegangene Arbeitsverhältnis im Juni 1973 zum 31. Dezember 1973. Eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht wurde durch gerichtlichen Vergleich vom 3. August 1973 beigelegt. In diesem wurde vereinbart, ,,daß der Kläger aufgrund fristgerechter Kündigung . . . aus betriebsorganisatorischen Gründen zum 31. August 1973 einvernehmlich ausscheidet" und daß ihm am Tage seines Ausscheidens eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in Höhe von 64 000 DM zu zahlen sei. Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) durch eine Kontrollmitteilung von der Zahlung des Abfindungsbetrages Kenntnis erlangt hatte, erfaßte er die 64 000 DM im berichtigten Einkommensteuerbescheid 1973.

Der Einspruch hatte teilweise Erfolg. Das FA beließ 27 000 DM steuerfrei. Es ging in Anlehnung an die Bezüge von Januar bis August 1973 davon aus, daß ein Teilbetrag von 37 000 DM auf die Monate September bis Dezember 1973 entfalle. Da das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist jedenfalls bis Ende 1973 bestanden hätte, stellten die 37 000 DM normale Gehaltsbezüge dar, die nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 1973 geltenden Fassung (EStG) fielen.

Die Klage, mit der der Kläger die Steuerfreiheit auch dieses Betrages geltend gemacht hatte, führte zum Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) begründete dies einmal mit der Sozialwidrigkeit der Kündigung. Schließlich sei sie nicht durch Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt gewesen (§ 1 Abs. 2 KSchG). Wegen der arbeitsrechtlich wirksamen vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe es sich bei den Zahlungen für die Zeit nach dem 31. August 1973 nicht mehr um Arbeitsentgelt, sondern um eine steuerfreie Abfindung gehandelt. Letztere setze nur voraus, daß sie ,,dem Grunde nach" auf §§ 9, 10 KSchG zurückzuführen sei, d. h. daß eine Kündigung des Arbeitgebers vorgelegen haben müsse, während die Festsetzung des Auflösungszeitpunktes durch das Gericht nach § 9 Abs. 2 KSchG einkommensteuerlich nur als Maßstab für die Festsetzung der Höhe der Abfindung und damit auf der Rechtsfolgenseite einzuordnen sei. Bei Abschluß eines Vergleichs sei nach § 3 Nr. 9 EStG nicht auch eine Prüfung darüber erforderlich, ob für den - fiktiven - Fall, daß es zum Vergleich nicht gekommen wäre, vom Arbeitsgericht zum selben Auflösungszeitpunkt eine Abfindung hätte festgesetzt werden können. Der Entstehungsgeschichte des § 3 Nr. 9 EStG sei zwar zu entnehmen, daß die Steuerfreiheit für Abfindungen aufgrund von Vergleichen unter denselben Voraussetzungen eingeräumt werden sollte, wie für solche aufgrund von Gerichtsurteilen. Es gebe jedoch keine Anhaltspunkte für einen gesetzgeberischen Willen, daß bei Vergleichen für Zwecke der Steuer - anders als arbeitsrechtlich - das Arbeitsverhältnis erst zum Zeitpunkt des Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist enden solle. § 9 Abs. 2 KSchG gelte nur für die Auflösung durch Gerichtsurteil, nicht durch Vergleich. Da § 3 Nr. 9 EStG die Streitfrage nicht ausdrücklich anspreche, könne nicht angenommen werden, daß das Steuerrecht insofern vom Arbeitsrecht abweichen wolle. Hierfür spreche auch die sozialpolitische Zielsetzung der Vorschrift. Andernfalls wäre - entsprechend den längeren Kündigungsfristen - ein immer kleinerer Teil der Abfindung steuerfrei, je länger ein Arbeitnehmer im Unternehmen tätig gewesen war. Dieses Ergebnis trete gemäß § 9 Abs. 2 KSchG zwar auch bei der obligatorischen Festlegung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitsgerichtliches Urteil ein. Die Entstehungsgeschichte des § 3 Nr. 9 EStG spreche jedoch dafür, diesen Widerspruch zur sozialen Zielsetzung der Vorschrift auf den gesetzlich festgelegten Fall zu beschränken. Allerdings habe der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 13. Oktober 1978 VI R 91/77 (BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155) die Auffassung vertreten, daß Abfindungen aufgrund eines Vergleichs nach § 3 Nr. 9 EStG vor 1975 - anders als nach der Neufassung der Vorschrift - nicht steuerfrei seien, wenn sie für einen vor dem ordentlichen Kündigungstermin liegenden Zeitraum bezahlt wurden. Andererseits sei derselben Entscheidung zu entnehmen, daß unter einer Auflösung des Dienstverhältnisses nur eine solche im zivilrechtlichen Sinne zu verstehen sei. Die Maßgeblichkeit des bürgerlich-rechtlichen Abfindungsbegriffs müsse auch für § 3 Nr. 9 EStG in der anzuwendenden Fassung gelten. Die Änderung ab 1975 habe nämlich im wesentlichen nur bezweckt, die tatbestandliche Voraussetzung der sozialen Ungerechtfertigkeit zu beseitigen, an deren Stelle die vom Arbeitgeber veranlaßte Auflösung des Arbeitsverhältnisses getreten sei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es führt aus, das angefochtene Urteil habe den Abfindungsbegriff des § 3 Nr. 9 EStG verkannt und stehe im Widerspruch zum Urteil in BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155. Der Gesetzgeber habe den arbeitsrechtlichen Abfindungsbegriff erst in § 3 Nr. 9 EStG 1975 bewußt aufgegeben. Für das Streitjahr müsse die Steuerbefreiung versagt werden, wenn - wie hier - Zahlungen für einen Zeitraum gezahlt würden, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem das Arbeitsverhältnis durch arbeitsgerichtliche Entscheidung frühestens hätte aufgelöst werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Nach § 3 Nr. 9 EStG sind steuerfrei Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis aufgrund der §§ 9, 10 KSchG. Das gleiche gilt für Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis, die in einem Vergleich festgelegt worden sind, wenn die Abfindung unter Berücksichtigung der §§ 9, 10 KSchG dem Grunde nach berechtigt ist und - grundsätzlich - 12 Monatsverdienste nicht übersteigt.

Danach setzt die Steuerfreiheit einmal voraus, daß die Abfindung aufgrund einer sozialwidrigen Kündigung gewährt worden ist. Darüber hinaus bleiben in einem gerichtlichen Vergleich nach vorausgegangener fristgemäßer ordentlicher Kündigung vereinbarte Abfindungen nur insoweit steuerfrei, als sie den Betrag übersteigen, den der Arbeitnehmer vom Zeitpunkt der einvernehmlichen früheren Beendigung des Dienstverhältnisses bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist hätte verdienen können. Diese Auslegung des § 3 Nr. 9 EStG entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 14. April 1967 VI R 304/66, BFHE 88, 459, BStBl III 1967, 431; in BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; vom 11. Januar 1980 VI R 165/77, BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205, und vom 18. Dezember 1981 III R 133/78, BFHE 135, 66, BStBl II 1982, 305), an der der Senat festhält. Sie beruht darauf, daß § 3 Nr. 9 EStG - anders als in der Fassung nach 1974 - vom Abfindungsbegriff der §§ 9, 10 KSchG ausging. Danach konnten Abfindungen, die in einem Vergleich vereinbart waren, nur unter den gleichen Voraussetzungen und in dem gleichen Ausmaß steuerfrei sein wie Abfindungen, die durch ein Urteil des Arbeitsgerichts festgesetzt worden sind (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1978 VI R 157/76, BFHE 126, 201, BStBl II 1979, 43). Da das Arbeitsgericht bei vorausgegangener ordentlicher Kündigung, wenn diese sozialwidrig und deshalb unwirksam war, bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses dieses zu dem Zeitpunkt aufzulösen hat, zu dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte (§ 9 Abs. 2 KSchG), war dieser Zeitpunkt auch bei einem durch Vergleich beendeten Dienstverhältnis für die Frage, ob Abfindungen aufgrund kündigungsschutzrechlicher Vorschriften geleistet und deshalb steuerfrei seien, als maßgebend anzusehen.

Im Streitfall ist das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 1973 gekündigt worden. Trotz der einvernehmlich früheren Beendigung des Dienstverhältnisses zum 31. August 1973 konnte das auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1973 entfallende Entgelt nach vorstehenden Grundsätzen nicht als steuerfrei behandelt werden.

2. Das FG hatte nach seiner abweichenden Auffassung keine Veranlassung zu prüfen, ob für den streitigen Abfindungsbetrag die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG i. V. m. § 24 Nr. 1 a EStG zu gewähren ist. Es wird insbesondere festzustellen haben, ob die 37 000 DM nur dem Ausgleich der im Streitjahr entgangenen Gehaltsansprüche dienten oder ob damit weitere durch die Vertragsauflösung entstandene Nachteile abgegolten werden sollten, die nicht nur das Streitjahr 1973 betrafen (BFHE 135, 66, BStBl II 1982, 305).

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 156

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