Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollmachtsnachweis bei Bezugnahme auf die Vollmachtsurkunde in einem anderen Verfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Die Verweisung auf eine in einem anderen Verfahren vorgelegte Prozeßvollmacht statt der -- grundsätzlich im Original zu den Akten des konkreten Rechtsstreits zu nehmenden -- Vollmacht ist ausnahmsweise zulässig, wenn dem Gericht eine Einsicht in die Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich ist und sich aus ihr auch die Bevollmächtigung für dieses Verfahren ergibt.

2. Die Einsicht ist trotz fehlender Angabe des Aktenzeichens des verwiesenen Verfahrens ohne weiteres möglich, wenn der zu den Akten genommenen Übersicht über Parallelverfahren des Klägers und seinen übrigen Angaben zweifelsfrei zu entnehmen ist, unter welchem Aktenzeichen die Vollmacht bei einem Parallelsenat zu finden ist.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3 S. 1, § 155; ZPO § 80 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Prozeßvertreter (P) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) in dessen Namen Klage gegen den -- u. a. hinsichtlich des Kinderfreibetrags vorläufigen -- Einkommensteuerbescheid 1991 mit dem Begehren, pro Kind einen hälftigen Kinderfreibetrag von 1 800 DM zu gewähren und bei Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit einen im Gesetz nicht vorgesehenen Freibetrag in Höhe von 200 DM zu berücksichtigen. Zum Nachweis seiner Bevollmächtigung verwies P auf die "bereits in Sachen Klage 1990/92" vorgelegte Vollmachtsurkunde.

Mit der -- auch dem Kläger persönlich zur Kenntnis übersandten -- Eingangsverfügung wurde P u. a. gebeten innerhalb eines Monats die Urschrift einer von dem Kläger persönlich unterzeichneten, auf ihn -- P -- lautenden Prozeßvollmacht zu den Akten zu reichen, aus der sich ergebe, daß er mit der Führung des konkreten Verfahrens beauftragt worden sei. Nachdem P hierauf nicht reagiert hatte, setzte ihm der Vorsitzende Richter am Finanzgericht gemäß §62 Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist für die Beibringung der angeforderten Vollmachtsurkunde. Der Fristsetzung beigefügt war ein schriftlicher Hinweis auf die Rechtsauffassung des Finanzgerichts (FG) zu den Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Bevollmächtigungsnachweises. Durchschriften beider Schreiben wurden auch dem Kläger zur Kenntnis gegeben.

Daraufhin wiederholte P -- fristgerecht -- seinen bereits in der Klageschrift gegebenen Hinweis auf die " ... i. S. Klage 1990/92" beigebrachte Vollmachtsurkunde.

Das FG wies die Klage wegen Nichtvorlage einer wirksamen Prozeßvollmacht als unzulässig ab; die Kosten des Verfahrens wurden P als vollmachtlosem Vertreter auferlegt.

Zur Begründung führte das FG aus, die im Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. Juli 1991 VIII B 88/89 (BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848) genannten Voraussetzungen für den Nachweis der Bevollmächtigung lägen nicht vor: Dem FG sei ein Zugriff auf die Klageakten eines anderen Senats nicht ohne weiteres möglich, und außerdem ergebe sich aus den in Bezug genommenen Urkunden der Verfahren 1 A 2 ... /96 und 1 A 3 ... /96 nicht, daß P auch zur Durchführung des hier fraglichen Klageverfahrens bevollmächtigt sei.

Mit seiner -- vom FG zugelassenen -- Revision rügt der Kläger Verletzung der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§76 Abs. 2 und 62 Abs. 3 FGO. P hat -- aufgefordert durch die Geschäftsstelle des erkennenden Senats -- eine undatierte, mit Namen des Klägers unterzeichnete und ihn -- P -- als Bevollmächtigten ausweisende Vollmachtsurkunde eingereicht, nach deren formularmäßig verfaßtem Text er u. a. dazu bevollmächtigt wird, den Unterzeichner in seinen Steuerangelegenheiten " ... vor allen Gerichten ... zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe einzulegen, ... Verwaltungsakte und gerichtliche Entscheidungen zu prüfen und gegen diese alle erforderlichen Rechtsbehelfe ... einzulegen". Die Vollmachtsurkunde ist einem auf ihre Nachreichung hinweisenden Begleitschreiben beigeheftet, in dem das Aktenzeichen, die Beteiligten und der Betreff des vorliegenden Verfahrens angegeben sind.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

P hat seine Bevollmächtigung zur Führung des Revisionsverfahrens ordnungsgemäß nachgewiesen. Die auf Anforderung der Geschäftsstelle nachgereichte Vollmachtsurkunde, ausweislich derer er u. a. befugt ist, in Steuerangelegenheiten des Klägers " ... gerichtliche Entscheidungen zu prüfen und gegen diese alle erforderlichen Rechtsbehelfe ( ... , Revision ... ) ... einzulegen", genügt in Verbindung mit dem ihr vorgehefteten Begleitschreiben den Anforderungen des §62 Abs. 3 FGO. Wegen der Begründung wird auf das Senatsurteil vom 27. Februar 1998 VI R 88/97 (BFHE 185, 126) Bezug genommen.

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

a) Der BFH hat aus den Vorschriften der §§62 Abs. 3 Satz 1, 155 FGO i. V. m. §80 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hergeleitet, daß die Vollmachtsurkunde grundsätzlich zu den Prozeßakten des jeweiligen Verfahrens zu reichen ist. Er hat jedoch die Bezugnahme auf eine in einem anderen Verfahren beigebrachte Prozeßvollmacht ausnahmsweise als Nachweis der Bevollmächtigung genügen lassen, wenn dem (erkennenden) Gericht eine Einsicht in diese Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich ist und aus ihr hervorgeht, daß sie auch für das Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt, bestimmt ist (so erstmals in BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848, 850, unter 3., m. w. N.; vgl. ferner BFH-Beschlüsse vom 17. Juni 1993 VI S 3/93, BFH/NV 1993, 618, und vom 16. Dezember 1994 III B 24/94, BFH/NV 1995, 889, sowie BFH-Urteile vom 10. April 1990 V R 49/85, BFH/NV 1991, 178; vom 13. November 1991 I R 58/89, BFHE 166, 518, BStBl II 1992, 496, und vom 23. Juli 1997 X R 125/96, BFH/ NV 1998, 58).

b) Entgegen der Auffassung des FG war ihm die Einsicht in die dem 1. Senat vorliegende Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich. Obwohl P weder Aktenzeichen noch Steuerart der in Bezug genommenen Klagen angegeben hat, konnte das FG ohne zusätzlichen Zeit- und Suchaufwand feststellen, um welche Verfahren es sich bei den "Sachen Klage 1990/92" handelte. Denn der Prozeßakte des Klageverfahrens ist eine schon bei der Aktenanlegung erstellte Gesamtübersicht (sog. "Personen-Suche") vorgeheftet, aus der sich zweifelsfrei ergibt, daß der Kläger für die Kalenderjahre 1990 und 1992 Rechtsstreite geführt hat, die beim 1. Senat des FG unter den Aktenzeichen 1 A 2 ... /96 und 1 A 3 ... /96 anhängig waren. Daß die Einsicht in diese Akten mit irgendwelchen Schwierigkeiten oder Anstrengungen verbunden war, ist weder im Urteil ausgeführt noch sonst aus den Umständen des Falles ersichtlich.

c) Soweit das FG die Klageabweisung außerdem mit der Auffassung begründet, der in Bezug genommenen Vollmachtsurkunde sei nicht zu entnehmen, daß sie auch für das vorliegende Klageverfahren bestimmt sei, reichen seine tatsächlichen Feststellungen nicht für eine abschließende Entscheidung aus. Denn es hat den Inhalt der Vollmachtsurkunde nur auszugsweise und nicht vollständig festgestellt. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Berücksichtigung der Grundsätze des Senatsurteils vom 27. Februar 1998 VI R 88/97 BFHE 185, 126 zu prüfen haben, ob die zu den Verfahren 1 A 2 ... /96 und 1 A 3 ... /96 (Einkommensteuer 1990 und 1992) übersandte Prozeßvollmacht auch Nachweis über die Befugnis des P erbringt, wegen Einkommensteuer 1991 Klage zu erheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67587

BFH/NV 1998, 1364

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