Leitsatz (amtlich)

Der auf der Urschrift einer Einspruchsentscheidung angebrachte Vermerk der Kanzlei: "ab am ..." ersetzt nicht den nach § 17 Abs. 4 VwZG i. d. F. vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 19. Mai 1972 (BGBl I 1972, 789, BStBl I 1972, 396) erforderllchen Vermerk: "Zur Post am ..."

 

Normenkette

VwZG a.F. § 17 Abs. 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionskläger (FA) zu Recht die Kosten des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid für 1969 der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) zur Hälfte auferlegt hat.

Die Klägerin hatte in ihrer Einkommensteuererklärung für 1969 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eines ihr gehörigen Grundstücks unter den Aufwendungen für Instandhaltung und Instandsetzung einen Betrag von 14 799,47 DM angegeben, den sie bei dem Ersatz einer Heißluftheizung durch eine Ölheizung aufgewendet hatte. Das FA hatte bei der Einkommensteuerveranlagung 1969 der Klägerin diesen Betrag als Herstellungsaufwand behandelt und nur eine AfA von 3 v. H. zum Abzug zugelassen. Dem Einspruch der Klägerin gab das FA durch Erlaß eines nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheids statt. Durch Einspruchsentscheidung vom 16. März 1971 wurden der Klägerin die Kosten des Einspruchs zu 1/2 nach § 252 AO auferlegt, weil sie die Behandlung der Aufwendungen auf die Heizungsanlage als sofort abzugsfähige Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erst im Einspruchsverfahren geltend gemacht habe. Auf der Urschrift der Einspruchsentscheidung befindet sich eine Verfügung an die Kanzlei, an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eine Reinschrift "auf Vordruck AO Nr. 15" zu fertigen und ein Stempelaufdruck der Kanzlei, der u. a. den Vermerk "ab am 17. März 1971" enthält. Nachdem das FA es auf schriftliche Vorstellungen des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin abgelehnt hatte, die Einspruchsentscheidung zu ändern, erhob die Klägerin am 20. Mai 1971 Klage. Das FG gab der Klage statt und hob die Einspruchsentscheidung auf. Es ist der Auffassung, daß die Klage zulässig ist, weil die Rechtsmittelfrist wegen des Fehlens des Vermerks "zur Post am ..." auf der Urschrift der Einkommensteuerentscheidung nicht in Lauf gesetzt worden sei. Die Klage sei auch sachlich begründet, weil es auch dann zu dem Einspruchsverfahren gekommen wäre, wenn die Klägerin den Abzug der Werbungskosten in einem Betrag sofort geltend gemacht hätte. Denn das FA sei nicht bereit gewesen, wie sich aus dem Steuerbescheid ergebe, die angegebenen Kosten überhaupt als Werbungskosten außerhalb der AfA anzuerkennen. Das FG hat die Revision auf Anregung des FA "wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage" zugelassen.

Das FA beantragt mit der Revision, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Es wird Verletzung der §§ 91, 247 AO, 1 Abs. 3, 9, 17 VwZG, 47 FGO und 1 und 2 StAnpG gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Es gehe dem FA nur um die Frage, ob die Klage zulässig gewesen sei. Das habe das FG zu Unrecht bejaht. Unstreitig habe die Klägerin die Klage gegen die am 17. März 1971 abgesandte und wahrscheinlich am 18. oder 19. März, spätestens aber am 3. April 1971 zugegangene Einspruchsentscheidung erst am 20. Mai 1971, also nach Ablauf eines Monats, erhoben. Die Zulässigkeit der Klage hänge demnach allein von der Entscheidung der Frage ab, ob durch die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung die Klagefrist des § 47 FGO in Lauf gesetzt worden sei. Das sei zu bejahen. § 247 AO schreibe nur die schriftliche Bekanntmachung vor. Da nach § 91 Satz 3 AO Zustellung nur erforderlich sei, wo sie ausdrücklich vorgesehen sei, erfordere der klare Gesetzeswortlaut keine Zustellung der Einspruchsentscheidung. Hiervon gingen auch Nr. 3 Abs. 2 Buchst. b der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz (AVVwZG) vom 13. Dezember 1966 (BStBl I 1966, 969) und der Erlaß des BdF vom 4. Januar 1966 (BstBl I 1966, 56) aus, der eine Zustellung der Einspruchsentscheidung in Umsatzsteuer- und Beförderungsteuersachen anordnet. Die Auffassung des FG, § 247 AO könne sinnvoll nur so verstanden werden, daß eine Bekanntgabe in Form der Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz verlangt werde, verstoße gegen den klaren Gesetzeswortlaut; sie sei auch nicht zutreffend. Es könne sich allenfalls um eine verdeckte Regelungslücke handeln, die aber deswegen nicht vorliege, weil von einem sinnwidrigen Ergebnis nicht gesprochen werden könne. Der BFH sei allerdings in den beiden Urteilen vom 14. November 1969 I R 9/68 (BFHE 94, 202, BStBl II 1969, 151) und vom 9. September 1970 I R 113/69 (BFHE 100, 179, BStBl II 1971, 9) davon ausgegangen, daß unter "Bekanntgabe" der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf die wirksame Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zu verstehen sei. In den beiden Fällen sei anscheinend die Frage, ob eine Zustellung gesetzlich erforderlich sei, unter den Beteiligten nicht streitig gewesen. Schon deshalb komme den beiden Urteilen keine entscheidende Bedeutung zu, da sie die Frage nicht abschließend behandelten. Wenn man der Meinung des FA folge, komme es für die Zulässigkeit der Klage noch darauf an, ob das FA im vorliegenden Fall die Zustellung angeordnet habe. Das sei zu verneinen. Es habe deshalb eine schriftliche Bekanntgabe i. S. des § 91 AO genügt. Aber selbst wenn man davon ausgehe, daß das FA die Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz freiwillig angeordnet habe, könne die mißglückte Zustellung unmöglich dazu führen, die Rechtsfolgen eintreten zu lassen, die § 9 VwZG an die Verletzung zwingender Vorschriften knüpft.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß im Streitfall für die Zustellung der Einspruchsentscheidung die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zu beachten sind.

1. Es ist zwar richtig, daß § 247 Satz 1 AO nur von einer schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf spricht. Es ist weiter richtig, daß nach § 91 Abs. 1 Satz 3 AO eine Zustellung nur erforderlich ist, wo sie ausdrücklich vorgesehen ist. § 1 Abs. 3 VwZG bestimmt aber, daß zugestellt wird, soweit dies durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung vorgeschrieben ist. Dazu erklärt Nr. 3 Abs. 2 Buchst. b AVVwZG, daß eine solche behördliche Anordnung vor allem u. a. bei Einspruchs- und Beschwerdeentscheidungen in Frage komme. Eine derartige behördliche Anordnung, die zur Anwendung des Verwaltungszustellungsgesetzes führt, ist z. B. der Erlaß des BdF vom 4. Januar 1966 (a. a. O.), der für Entscheidungen über außergerichtliche Rechtsbehelfe in Umsatz- und Beförderungsteuersachen die Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz anordnet. Eine solche allgemeine behördliche Anordnung für das Land Nordrhein-Westfalen auch für Einspruchsentscheidungen in Einkommensteuersachen läßt sich nicht eindeutig feststellen. Auf sie könnte allerdings der Runderlaß des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1957 (vgl. die im Ministerialblatt Nordrhein-Westfalen 1965 S. 1716 abgedruckte Fassung) hindeuten, die allgemeine Verwaltungsvorschriften zum Landeszustellungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 1957 (Gesetzund Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1957 S. 213) enthält und in Tz. I 2 Abs. 3 letzter Satz und in Buchst. b erklärt, daß eine behördliche Anordnung, die die Zustellung vorschreibt, vor allem bei Einspruchs- und Beschwerdeentscheidungen in Betracht kommen wird. Auch die Tatsache, daß in den beiden Fällen, die den Entscheidungen I R 9/68 und I R 113/69 zugrunde lagen, die Einspruchsentscheidungen unstreitig nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt worden sind, könnte dafür sprechen. Der Senat braucht jedoch über diese Frage nicht endgültig zu entscheiden. Er braucht auch nicht darüber zu entscheiden, ob sich, wie in den Urteilen I R 9/68 und I R 113/69 ausgeführt wird, aus § 47 i. V. m. § 73 FGO ergibt, daß unter "schriftlicher Bekanntgabe" i. S. des § 247 AO nur eine Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz verstanden werden kann. Denn auch wenn man diese Frage verneint, ist das Verwaltungszustellungsgesetz im Streitfall deswegen anzuwenden, weil das FA entgegen seiner Auffassung die Zustellung nach § 17 VwZG i. d. F. vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 19. Mai 1972 (BGBl I 1972, 789, BStBl I 1972, 396) angeordnet hat.

2. Das FA hat die Verfügung über die Einspruchsentscheidung auf einem Vordruck FA - AO Nr. 22 abgesetzt. Es hat darin unter c angeordnet, daß die Entscheidung gemäß § 252 AO "nach Vordruck FA - AO Nr. 23" vorzunehmen sei. In dem Vordruck FA - AO Nr. 23, der die Urschrift der Einspruchsentscheidung einschließlich der Gründe enthält, ist unter Nr. 1 die Kanzlei angewiesen, die Reinschrift der Einspruchsentscheidung "auf Vordruck AO Nr. 15" und die Rechtsbehelfsbelehrung "nach Vordruck AO 13 a" zu fertigen. Die Kanzlei hat dazu den Vordruck "AO Nr. 16; EE (Reinschrift/Ausfertigung für AO Nr. 15)-10.68" benutzt. Die darin vorgedruckte Rechtsbehelfsbelehrung enthält die üblichen Hinweise auf die §§ 3, 4 und 17 VwZG. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats, daß die Einspruchsentscheidung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt werden sollte. Dagegen spricht auch nicht die in der Urschrift der Einspruchsentscheidung unter Nr. 4 enthaltene Verfügung, daß die Reinschrift an den Vertreter "mit einfachem Brief" abgesandt werden sollte. Im Zusammenhang mit dem übrigen oben dargelegten Inhalt der Verfügung auf der Urschrift kann darunter nur eine Zustellung i. S. des § 17 VwZG verstanden werden. Das geht auch daraus hervor, daß die Nr. 4 der Verfügung auf dem Vordruck FA - AO Nr. 23 als einzige Alternative zur Zusendung mit einfachem Brief die Zustellung mit Postzustellungsurkunde vorsieht, die "nur in Ausnahmefällen" angeordnet werden soll. Wäre unter "Absendung mit einfachem Brief" nur eine formlose Bekanntgabe nach § 91 AO zu verstehen, so wäre es nicht erklärlich, daß die Zustellung mit einfachem Brief nach § 17 VwZG nicht als weitere Möglichkeit aufgeführt worden ist.

3. Der Senat folgt dem FG in der Auffassung, daß das Fehlen des nach § 17 Abs. 4 VwZG vorgeschriebenen Vermerks "zur Post am" ein unheilbarer Zustellungsmangel i. S. des § 9 Abs. 2 VwZG ist. Dabei ist zu beachten, daß der Vermerk "ab am 17. März 1971", den die Kanzlei angebracht hat, nicht als ein Vermerk i. S. des § 17 Abs. 4 VwZG gewertet werden kann. Nach der Rechtsprechung kann Absendestelle i. S. dieser Vorschrift zwar auch die Finanzkasse sein (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1966 I 199/65, BFHE 87, 233, BStBl III 1967, 134, und vom 14. Mai 1970 IV R 73/69, BFHE 100, 3, BStBl II 1970, 772). Diese Urteile beruhen, wie sich aus ihren Begründungen ergibt, auf der Erwägung, das in der Buchungsordnung vorgesehene Verfahren werde in aller Regel eine Verzögerung der Absendung durch die Poststelle ausschließen. Gerade das ist jedoch bei dem Vermerk der Kanzlei, der nicht einmal erkennen läßt, ob die Kanzlei tatsächlich die Reinschrift direkt an die Poststelle geleitet hat, nicht der Fall. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des FA, daß bei einer auf behördliche Anordnung "freiwillig" vorgenommenen Zustellung die Rechtsfolgen bei Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften nicht angewandt werden könnten. Denn auch bei einer sog. freiwillig vorgenommenen Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz gilt § 9 Abs. 2 VwZG, der im Streitfall wegen des Umstands, daß mit der Zustellung der Einspruchsentscheidung die Frist für die Erhebung der Klage beginnt, eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 9 Abs. 1 VwZG ausschließt. Damit war nach ständiger Rechtsprechung die Frist zur Erhebung der Klage nicht in Lauf gesetzt, so daß die Klage rechtzeitig erhoben und zulässig war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71563

BStBl II 1975, 870

BFHE 1976, 449

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