Leitsatz (amtlich)

Ist die Klage an das richtige Gericht am richtigen Ort gerichtet, so darf sich der Prozeßbevollmächtigte im übrigen darauf verlassen, daß seine Angestellten die Anschrift richtig aus den Akten übernommen haben, es sei denn, daß die Anschrift offensichtlich unzureichend erscheint.

 

Normenkette

FGO § 56

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) stellte beim Revisionsbeklagten (FA) den Antrag, die Lohnsummensteuer 1961 herabzusetzen. Das FA lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Einspruchsentscheidung wurde am 9. Dezember 1968 zur Post gegeben. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt den Hinweis, gegen die Entscheidung könne binnen eines Monats seit Bekanntgabe beim FG Düsseldorf, Grafenberger Allee 125, Klage erhoben werden. Am 9. Januar 1969 fertigte die Angestellte B. der Prozeßbevollmächtigten der Steuerpflichtigen die Klageschrift, auf die sie die folgende Anschrift setzte: "An das Finanzgericht Düsseldorf, 4 Düsseldorf, Postfach." Zwei Prokuristen der Prozeßbevolmächtigten der Steuerpflichtigen unterzeichneten die Klageschrift. Die Angestellte B. warf den Briefumschlag, der die Klageschrift enthielt und der die gleiche Anschrift wie die Klage trug, noch am Abend desselben Tags in einen Briefkasten der Deutschen Bundespost.

Das FG Düsseldorf unterhielt jedoch kein Postfach. Der Ermittlungsdienst der Post vermerkte auf dem Briefumschlag die frühere Anschrift des FG Düsseldorf in der Gartenstraße. Der für diesen Bezirk zuständige Briefträger reichte den Brief mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt verzogen, 11.1." zurück. Am 14. Januar 1969 traf die Klageschrift wieder bei der Prozeßbevollmächtigten der Steuerpflichtigen ein. Eine in gleicher Weise unrichtig adressierte, von den beiden Prokuristen unterzeichnete und mit Poststempel vom 10. Januar 1969 versehene Zweitschrift der Klage ging beim FG am 14. Januar 1969 ein.

Die Erstschrift der Klage ging am 16. Januar 1969 beim FG ein. Die Steuerpflichtige bat gleichzeitig um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das FG, dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1970 S. 398 veröffentlicht ist, hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klagefrist sei am Montag, den 13. Januar 1969, abgelaufen. Die Erstschrift und die Zweitschrift der Klage seien daher verspätet eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil die Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen die Klagefrist schuldhaft versäumt habe und dieses Verschulden der Steuerpflichtigen zuzurechnen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Steuerpflichtigen. Die Steuerpflichtige rügt Verletzung der Vorschriften der § 86 AO, § 56 FGO. Sie meint, das FG verlange von den Prokuristen zuviel, wenn es fordere, die Prokuristen hätten die Anschrift des FG in der Klageschrift mit der Rechtsbehelfsbelehrung vergleichen müssen. Den Prokuristen habe eine vollständige Anschrift vorgelegen. Diese Anschrift sei auch nicht abwegig gewesen, denn die meisten Behörden in Düsseldorf verfügten über ein Postfach. Außerdem trage die Rückseite der von dem FG Düsseldorf verwendeten Briefumschläge neben der Straßenangabe den Vermerk "Abholfach" (Fotokopie ist der Revisionsbegründung beigefügt). Unter diesen Umständen hätten die Prokuristen darauf vertrauen dürfen, daß es sich bei der in der Klageschrift angegebenen Anschrift um eine in Düsseldorf übliche Anschrift handle.

Die Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen trifft kein Verschulden daran, daß die Klageschrift zu spät beim FG eingegangen ist. Es ist richtig, daß ein Prozeßbevollmächtigter bei der Unterzeichnung der Klage- oder einer Rechtsmittelschrift deren Inhalt zu überprüfen hat. Er muß z. B. darauf achten, daß die Revisionsschrift an das FG (§ 120 FGO) und nicht an den BFH gerichtet ist (BFH-Beschlüsse I R 148/69 vom 15. April 1970, BFH 98, 536, BStBl II 1970, 498; VII R 21-22/67 vom 27. März 1968, BFH 92, 307, BStBl II 1968, 535). Nach der Rechtsprechung des BGH muß sich der Prozeßbevollmächtigte bei Einlegung eines Rechtsmittels davon überzeugen, daß alle wesentlichen Erfordernisse erfüllt sind, insbesondere auch, ob das Rechtsmittel für die richtige Partei eingelegt ist (BGH-Beschluß VI ZB 21/69 vom 28. Januar 1970, Versicherungsrecht 1970 S. 421; BGH-Urteil III ZR 327/54 vom 26. Juni 1956, Versicherungsrecht 1956 S. 590), ferner, ob die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht (und nicht an das Landgericht) gerichtet ist (BGH-Beschluß IV ZB 111/50 vom 20. Dezember 1950, NJW 1951, 153). Damit ist aber nicht gesagt, daß der Prozeßbevollmächtigte jede Einzelheit der Klage- oder Rechtsmittelschrift überprüfen müsse. Es hieße die Anforderungen an seine Sortgfaltspflicht überspannen, wenn man von ihm verlangte, daß er auch die Anschrift des Gerichts, an das das Schriftstück gerichtet ist, im einzelnen nachprüft. In diesem Punkt darf er sich darauf verlassen, daß seine Angestellte die Anschrift richtig aus den Akten übernommen hat, es sei denn, daß die Anschrift offensichtlich unzureichend erscheint. Im Fall des BGH-Beschlusses VIII ZB 22/64 vom 14. Oktober 1964 (Versicherungsrecht 1964 S. 1247), auf den sich die Steuerpflichtige beruft, lautete die Anschrift des Berufungsgerichts in der Berufungsschrift M-Straße 3 statt M-Platz 3. Dazu hat der BGH entschieden: Dieses Versehen gehe auf die sonst zuverlässige Bürokraft des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zurück, für das diese nicht einzustehen habe.

Ähnlich liegt die Sache im Streitfall. Die Klageschrift war an das richtige Gericht, das FG Düsseldorf in 4 Düsseldorf, adressiert. Da - wie gerichtsbekannt ist - die Behörden und Gerichte häufig Postfächer unterhalten, hatten die Prokuristen der Prozeßbevollmächtigten der Steuerpflichtigen keinen Anlaß, die Richtigkeit dieser Anschrift zu bezweifeln und nach den Akten zu überprüfen.

2. Das Verschulden lag im Streitfall, wie die Steuerpflichtige richtig bemerkt, bei der Angestellten B., die die Klageschrift fertigte. Dieses Verschulden ist der Prozeßbevollmächtigten und der Steuerpflichtigen nach ständiger Rechtsprechung nicht zuzurechnen, wenn die Angestellte sorgfältig ausgewählt und ausreichend unterwiesen worden ist. Dazu genügt es, wenn die Steuerpflichtige ihre Behauptungen glaubhaft macht (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO), es habe eine Anordnung bestanden, daß für die Korrespondenz die in den Akten befindlichen Anschriftenangaben zu beachten seien, und bei der Angestellten B. habe es sich um eine in vielen Jahren bewährte und zuverlässige Kraft gehandelt. Gelingt diese Glaubhaftmachung bei der erneuten Verhandlung vor dem FG, so ist der Steuerpflichtigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und über die Klage sachlich zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69413

BStBl II 1971, 332

BFHE 1971, 343

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