Entscheidungsstichwort (Thema)

Erprobung von Medikamenten in der Arztpraxis von der ärztlichen Berufstätigkeit nicht abgrenzbar

 

Leitsatz (NV)

Ein freiberuflich tätiger Facharzt kann für Nebeneinkünfte, der er von pharmazeutischen Firmen für die Erprobung von Medikamenten an Patienten erhält, die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG a.F. nicht erhalten, weil die Erprobung im Rahmen der ärztlichen Berufstätigkeit erfolgt und daher von ihr nicht abgrenzbar ist.

 

Normenkette

EStG (bis 1980 geltende Fassungen) § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (HNO). Er betreibt eine Facharzt-Praxis. In den Erklärungen zur gesonderten Feststellung der Einkünfte für die Streitjahre 1977 und 1978 erklärte der Kläger u.a. die Honorare, die von Arzneimittelherstellern im Zusammenhang mit der Erprobung von zwei Medikamenten bezahlt worden sind, als Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F. Diese Einkünfte betrugen 1977 12 990 DM und 1978 10 640 DM. Bereits in den Jahren 1975 und 1976 waren pharmazeutische Werke an den Kläger mit der Bitte herangetreten, Medikamente, die bereits vom Bundesgesundheitsamt zugelassen und im Handel waren, auf ihre Auswirkungen zu testen.

Der Kläger hatte zunächst die Testmethode zu entwickeln, d. h. festzustellen, auf welche Weise man bei Schwerhörigen oder unter Gleichgewichtsstörungen leidenden Patienten die Wirkungsweise von Medikamenten prüfen könne. Von den Herstellern wurde dem Kläger die Zahl der zu untersuchenden Patienten sowie der Anteil der männlichen und weiblichen Patienten aufgegeben. Der Kläger erstellte vereinbarungsgemäß die Erhebungsbögen.

Die Medikamente erprobte der Kläger an seinen Patienten im Rahmen der Heilbehandlung. Sofern der Kläger an Patienten diese Medikamente ausgab, wollte er damit gleichzeitig die Leiden der Patienten lindern. Ein Teil der Patienten (beim Doppelblindversuch) wußte nicht, daß sie Gegenstand eines Versuches waren.

Die Ergebnisse seiner Testreihen hatte der Kläger auch in medizinischen Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Auch dafür wurde der Kläger von den Medikamentenherstellern honoriert.Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG a. F. für die genannten Honorare mit der Begründung ab, diese Einnahmen seien von den Einnahmen aus freiberuflicher Arztpraxis i.S. des § 18 Abs. 1 EStG nicht abgrenzbar.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrte der Kläger weiterhin die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG a. F. Er führte aus, daß er zwar im Rahmen der Testreihen zur Erprobung der beiden Medikamente auch seine Patienten untersucht und behandelt habe. Das Schwergewicht habe aber auf der Entwicklung der Testmethode, dem vorangegangenen Studium der internationalen Fachliteratur und der Auswertung der Versuchsreihen gelegen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 34 Abs. 4 EStG a. F.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das FG hat verkannt, daß die Einkünfte, die der Kläger von den Arzneimittelherstellern für die Erprobung von zwei Medikamenten an Patienten seiner Fachpraxis erhalten hat, von den Einkünften aus seiner Berufstätigkeit als freiberuflicher Arzt nicht abgrenzbar sind.

1. § 34 Abs. 4 EStG a.F. gewährt Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus selbständiger Arbeit, die aus einer Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezogen werden, für Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit bis zu 50 v. H. der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und/oder aus der Berufstätigkeit die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG. Voraussetzung ist, daß die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und/oder aus der Berufstätigkeit die übrigen Einkünfte überwiegen, die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind. Daraus ergibt sich, daß nach § 34 Abs. 4 EStG a. F. Einkünfte aus einer Berufsarbeit, die einer Berufstätigkeit der im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten praktischen freien Berufe zuzuordnen ist, genausowenig begünstigt werden können, wie die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Dasselbe gilt auch für Einkünfte aus praktischen freien Berufen, die den im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgezählten Berufen ähnlich sind. Deshalb erfordert die Abgrenzung der begünstigten Nebeneinkünfte gegenüber den nicht begünstigten Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit, daß die Nebeneinkünfte nicht aus einer freiberuflichen Tätigkeit bezogen werden, die zu den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten, in § 34 Abs. 4 EStG a.F. als Berufstätigkeit bezeichneten typischen freien Berufen oder zu einem ähnlichen Beruf gehören. Die begünstigungsfähigen Nebeneinkünfte dürfen für sich keine Einkünfte aus einer typischen praktischen Berufstätigkeit im Sinne des Katalogs des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG darstellen, weil § 34 Abs. 4 EStG a.F. die allein begünstigungsfähigen wissenschaftlichen, künstlerischen und schriftstellerischen Tätigkeiten bewußt gerade in Gegensatz zu den laufenden praktischen Berufsarbeiten der im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Berufe gesetzt hat. Dieses Merkmal der begünstigungsfähigen Einkünfte muß folgerichtig bei selbständig Tätigen und nichtselbständig Tätigen in gleicher Weise gegeben sein. Diese Auslegung des § 34 Abs. 4 EStG a.F. hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgleichheit der typischen freien Berufe als sachgerecht beurteilt und verfassungsrechtlich nicht beanstandet (vgl. Beschluß vom 3. Januar 1973 1 BvR 508/72, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 4 - ab 1955 -, Rechtsspruch 43).

2. Danach hängt die Entscheidung, ob die Einkünfte des Klägers, die er von den Arzneimittelfirmen für die Erprobung von zwei Medikamenten an seinen Patienten und für die Veröffentlichung der Testergebnisse bezogen hat, begünstigungsfähige Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG a. F. darstellen, in erster Linie davon ab, ob sie zu den Einkünften des Klägers aus seiner praktischen freien Berufstätigkeit als Arzt gehören oder ob sie einer freiberuflichen, rein wissenschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen sind, die der Kläger außerhalb seines praktischen freien Berufes als Arzt ausgeübt hat.

Wie der Senat im Urteil in BFHE 134, 291, BStBl II 1982, 118, das einen vergleichbaren Fall betraf, ausgeführt hat, rechnen zu den Tätigkeiten, die zum typischen Aufgabenbereich eines Arztes gehören, auch Untersuchungen über die Verträglichkeit von Medikamenten und ihre Überprüfung auf mögliche Nebenwirkungen. Solche Untersuchungen sind regelmäßig veranlaßt bei Therapien, die in der Verabreichung von Medikamenten bestehen. Der Arzt beobachtet in einem solchen Fall die Auswirkungen der Therapie auf den Patienten durch entsprechende Kontrollen.

Daneben sind der praktischen Berufstätigkeit eines Arztes aber auch solche Untersuchungen zuzurechnen, die er im Rahmen einer Medikamentenerprobung an Probanden vornimmt (vgl. rechtskräftiges Urteil des FG Bremen in EFG 1977, 18). Sie gehören heute mit zum Berufsbild des Arztes. Denn auch hier geht es um die Feststellung des Gesundheitszustandes der Probanden und die anschließende weitere Beobachtung.

Im Falle des Klägers ist die untrennbare Verknüpfung der Medikamentenerprobung an Probanden mit der Heilbehandlung von Patienten in seiner Facharztpraxis besonders augenfällig, da die Verabfolgung der zu erprobenden Medikamente nur im Rahmen der Heilbehandlung an Patienten seiner Praxis erfolgte. Gerade deshalb ist es denkgesetzlich nicht möglich, anzunehmen, daß der Kläger seine Tätigkeit für die pharmazeutischen Firmen außerhalb seines praktischen freien Berufes als Arzt ausgeübt hat.

Der Umstand, daß bei den Erprobungen der beiden Medikamente darüber hinaus auch noch zusammenfassende Feststellungen der Untersuchungsergebnisse zu erstellen und zu veröffentlichen waren, ändert nichts daran, daß der Kläger die Grundlagen dieser Arbeit im Rahmen seiner Arztpraxis erstellen mußte. Denn das Zusammenstellen der gewonnenen Untersuchungsdaten und deren Aufzeichnung stellt gegenüber den vorausgegangenen Untersuchungen keine neue selbständige Tätigkeit des Arztes dar.

Das FG hat die Rechtslage vor allem deshalb verkannt, weil es der Veröffentlichung der Testergebnisse zu große Bedeutung beigemessen und dabei die ärztliche Tätigkeit der Erprobung der Medikamente an den Patienten nach einer Testmethode als Grundlage der Arbeit vernachlässigt hat. Daß der Kläger vor allem auch für diese Testuntersuchungen honoriert wurde, ergibt sich sowohl aus seinen eigenen Erklärungen als auch aus der Höhe der Honorare. Der Kläger hat ausgesagt, daß in dem Fall, in dem mangels eines positiven Ergebnisses keine Veröffentlichung erfolgte, vom Honorar lediglich ein Abschlag vorgenommen wurde. Soweit der Kläger auch von den Fachzeitschriften Honorare für die Veröffentlichung erhalten haben sollte, sind sie nicht streitbefangen.

Nach alledem kann dem Kläger für die Honorare, die er von den pharmazeutischen Firmen für seine Arbeiten zur Erprobung zweier Medikamente erhalten hat, die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG a.F. nicht gewährt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414101

BFH/NV 1986, 274

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