Entscheidungsstichwort (Thema)

Schweigen als Erklärung über die Erledigung der Hauptsache; Kostenentscheidung bei Erledigung der Hauptsache in einem Erlaßverfahren durch Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides

 

Leitsatz (NV)

1. Hat sich ein Steuerpflichtiger, dessen Klage in vollem Umfang Erfolg gehabt hatte, weder zur Revisionseinlegung des FA noch zu dessen späterer Erledigterklärung geäußert, so kann aus diesem Verhalten jedenfalls nicht auf ein eindeutiges Festhalten am ursprünglichen Klageantrag - auch noch nach Erledigung der Hauptsache - geschlossen werden.

2. Wird dem Begehren eines Steuerpflichtigen in einem Rechtsstreit wegen Erlasses aus sachlichen Gründen (nach § 227 AO 1977) im Ergebnis dadurch entsprochen, daß das FA den ursprünglichen, bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid aus Rechtsgründen (gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977) ändert, ist der Rechtsgedanke des § 138 Abs. 2 Satz 1 (grundsätzliche Kostentragung durch die Behörde) auch im Rahmen der Entscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO anzuwenden.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 227, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; FGO § 138 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Streitig war, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) verpflichtet war, einen Teil der von den Klägern und Revisionsbeklagten (Kläger) einbehaltenen Lohn- und Kirchensteuern wegen einer nach Bestandskraft des Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids

1981 geltend gemachten Körperbehinderung des Klägers nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.

Das FA entsprach dem Begehren der Kläger (nach einem Hinweis der Geschäftsstelle des erkennenden Senats auf dessen Urteil vom 13. Dezember 1985 III R 204/81, BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245) im Ergebnis. Es änderte den ursprünglichen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 und erhöhte den Steuererstattungsbetrag entsprechend. Das FA erklärte außerdem mit Schriftsatz vom 7. April 1986 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Die Kläger gaben daraufhin trotz Aufforderung keine Erklärung ab. Sie hatten sich zuvor auch nicht zur Revision des FA geäußert.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache als erledigt anzusehen.

Das FA hat dies ausdrücklich erklärt. Dem Schweigen der Kläger ist im Streitfall ebenfalls die Bedeutung einer Erklärung über die Erledigung des Rechtsstreits beizumessen (siehe hierzu die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Juli 1979 IV R 13/79, BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705, und vom 27. April 1982 VIII R 36/70, BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 406). Die Kläger haben mit dem Erlaß des Änderungsbescheides ihr Klageziel im Ergebnis endgültig erreicht. Sie hatten zuvor nach dem Ergehen des Urteils des Finanzgerichts (FG) kein Interesse am weiteren Fortgang des Rechtsstreits mehr gezeigt. Das wird besonders dadurch deutlich, daß sie sich zur Revision des FA nicht mehr geäußert und insbesondere auch keinen Antrag zur Sache gestellt hatten. So erscheint es nur folgerichtig, daß sie auch zur Erledigterklärung des FA keine Stellungnahme mehr abgaben.

Aus diesem Verhalten kann jedenfalls nicht auf ein eindeutiges Festhalten am ursprünglichen Klageantrag geschlossen werden - mit der Folge, daß die Klage unter Aufhebung des FG-Urteils mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unzulässig abzuweisen wäre - (siehe dazu den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378).

Eine Hauptsacheerledigung durch übereinstimmende Erklärungen ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich und zulässig (Beschluß des BFH vom 12. Dezember 1984 I R 78/83, BFHE 143, 8, BStBl II 1985, 258).

2. Das Urteil des FG vom 19. Dezember 1983 ist gegenstandslos geworden (siehe hierzu auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 138 FGO Tz. 30 am Ende).

3. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat das FA zu tragen. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus § 138 Abs. 2 FGO, da das FA nicht den angefochtenen Bescheid geändert hat, mit dem der begehrte Erlaß abgelehnt worden war, sondern den ursprünglichen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid. Doch ist es hier gerechtfertigt, den Rechtsgedanken des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO - auch im Rahmen einer Entscheidung des § 138 Abs. 1 FGO - entsprechend anzuwenden. Für den umgekehrten Fall der Klaglosstellung durch einen Erlaß aus sachlichen Gründen - statt durch eine Änderung des angefochtenen Bescheides - hat dies der BFH bereits mehrfach bejaht (siehe z. B. den Beschluß vom 21. Juni 1972 VII B 153/70, BFHE 106, 20, BStBl II 1972, 707). Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß die entsprechende Anwendung des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO danach erst recht geboten ist, wenn dem Begehren des Steuerpflichtigen - wie im Streitfall - durch eine Rechts- statt durch eine Ermessensentscheidung entsprochen wurde.

Für eine Kostentragung der Kläger gemäß § 137 Satz 1 FGO, der schon nach bisheriger Rechtsprechung auch bei Entscheidungen nach § 138 Abs. 1 FGO zu berücksichtigen war (siehe insbesondere den Beschluß des BFH vom 14. Dezember 1967 V B 12/66, BFHE 91, 23, BStBl II 1968, 203), ergeben sich keine Anhaltspunkte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414606

BFH/NV 1986, 760

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