Leitsatz (amtlich)

Wenn im Grunde genommen für eine völlige Erstattung von Abgaben aus Billigkeitsgründen Rechtsgründe maßgebend waren und beide Beteiligte den Rechtsstreit wegen der Erhebung der Abgaben dann in der Hauptsache für erledigt erklären, entspricht es im Sinne des § 138 Abs. 1 FGO billigem Ermessen, die Verfahrenskosten der Behörde aufzuerlegen.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin ließ im Juni 1969 Pflaumenmus zum freien Verkehr abfertigen. Die Zollstelle behandelte die Ware als Fruchtmus mit einem Zuckergehalt von mehr als 30 Gewichtshundertteilen und erhob neben dem Zoll auch einen Abschöpfungsbetrag. Mit ihrem Einspruch gegen den Abgabenbescheid machte die Klägerin vergeblich geltend, die Erhebung der Abschöpfung sei nicht zu vereinbaren mit der Verordnung Nr. 865/68 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - VO (EWG) 865/68 - vom 28. Juni 1968 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 153/8); nach dieser VO solle nur der den Verarbeitungserzeugnissen zugesetzte Zucker belastet werden. Nach der Klage stimmte das HZA ihrer Bitte zu, das Verfahren ruhen zu lassen, bis in einem beim FG schwebenden Musterverfahren die Frage der Rechtswidrigkeit der Abschöpfung geklärt sei. Nachdem der Rechtsstreit in dem Musterverfahren dadurch beendet worden war, daß der Abschöpfungsbetrag aus Billigkeitsgründen erstattet wurde, erstattete das beklagte HZA der Klägerin den auf Grund des Abgabenbescheides erhobenen Abschöpfungsbetrag ebenfalls aus Billigkeitsgründen. Beide Verfahrensbeteiligte erklärten sodann den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Durch Beschluß vom 7. Dezember 1970 entschied das FG, daß die Kosten des Verfahrens der Klägerin zur Last fallen. Zur Begründung führte es aus: Da sich die Hauptsache nicht durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Bescheides, sondern durch eine Billigkeitsmaßnahme erledigt habe, sei über die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. In einem gleichliegenden Fall habe es entschieden, daß an der Rechtmäßigkeit der vom deutschen Gesetzgeber auf Grund der VO (EWG) 865/68 getroffenen tariflichen Regelung keine ernstlichen Zweifel bestünden. Die Klage wäre daher wahrscheinlich erfolglos geblieben. Deshalb entspreche es billigem Ermessen, die Kosten des Rechtsstreites der Klägerin aufzuerlegen. Es könne nicht berücksichtigt werden, daß die Abschöpfung im Billigkeitswege erstattet worden sei, da diese Art der Erledigung über die hier maßgebende Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nichts aussage.

Gegen den Beschluß hat die Klägerin mit folgender Begründung Beschwerde erhoben: Die Klage habe Aussicht auf Erfolg gehabt. Schon nach dem Wortlaut der VO (EWG) 865/68 sei die Refraktometer-Methode und damit die Erhebung einer Abschöpfung nur anwendbar, wenn dem Erzeugnis überhaupt Zucker zugesetzt worden sei. Das sei aber hier unstreitig nicht der Fall gewesen. Nach dem Zweck der VO habe eine Abschöpfung nur auf den zugesetzten "Bestandteil Zucker" erhoben werden sollen und dürfen. Nur insoweit habe die Zuckermarktordnung vor "Einbrüchen" über Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse geschützt werden sollen. Die vom BdF veranlaßte Billigkeitsmaßnahme sage zwar nicht ausdrücklich, aber doch mittelbar etwas über die Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes aus. Sie bekunde die Einsicht des Ministeriums, daß es in einem Rechtsstreit hätte unterliegen müssen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß nach der Erledigung der Hauptsache durch die Erstattung des Abschöpfungsbetrages aus Billigkeitsgründen über die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 1 FGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden war. Es hat jedoch den bisherigen Sach- und Streitstand nur teilweise berücksichtigt, indem es nur auf seine in einem gleichliegenden Fall getroffene Entscheidung verwies, daß an der Rechtmäßigkeit der vom deutschen Gesetzgeber auf Grund der VO (EWG) 865/68 getroffenen tariflichen Regelung keine ernstlichen Zweifel bestünden. Zum Sach- und Streitstand gehört entgegen der Auffassung des FG auch die Tatsache, daß die Verwaltung wie in dem beim FG anhängigen Fall noch während des gerichtlichen Verfahrens, in dem sie ihren Abschöpfungsbescheid verteidigte, den im Bescheid festgesetzten Betrag vollständig erstattete und daß dafür offensichtlich nur sachliche Gründe maßgebend waren. Als Billigkeitsmaßnahme enthält die Erstattung zwar nicht formell, wohl aber materiell eine Aussage zur Frage der Rechtswidrigkeit des Abschöpfungsbescheides. Sie offenbart, daß die Verwaltung selbst Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abschöpfungsbescheides bekommen hatte. Anlaß dazu bot die VO (EWG) 865/68 besonders deshalb, weil sie im Art. 2 Abs. 1 die Erhebung einer Abschöpfung ausdrücklich nur auf den Gehalt an "zugesetzten" Zuckerarten vorsieht und daß diese Einschränkung auch den Ausführungen in den Absätzen 3 und 4 ihrer Begründung entspricht. Angesichts dieser grundlegenden Bestimmung kann man durchaus zu dem Ergebnis kommen, daß die ihr nachfolgende Bestimmung des Art. 2 Abs. 3, 2. Unterabsatz, wonach als Gehalt an zugesetzten Zuckerarten der Wert "gilt", der sich aus der Anwendung des Refraktometers nach der in Anhang III beschriebenen Methode ergibt, eine nur untergeordnete technische Bedeutung hat, nicht etwa einen Zuckerzusatz rechtlich fingieren und damit die grundlegende Bestimmung des Art. 2 Abs. 1 ausdehnen soll.

Inzwischen hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil in der Rechtssache 3/71 vom 17. Juni 1971 (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften 1971 S. 577, HFR 1971, 408) entschieden, daß nach Art. 2 der VO (EWG) 865/68 nur diejenigen Verarbeitungserzeugnisse der Abschöpfung unterliegen, denen tatsächlich Zucker zugesetzt worden ist. Das bestätigt die Auffassung der Klägerin, daß die Finanzverwaltung bei Durchführung des Rechtsstreites über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes hätte unterliegen müssen. Obwohl die Verwaltung dem Begehren der Klägerin nicht durch Zurücknahme des angefochtenen Verwaltungsaktes, sondern nur durch völlige Erstattung der Abgaben aus Billigkeitsgründen Rechnung getragen hat, kann ihr nach billigem Ermessen die Auferlegung der Kosten nicht erspart bleiben.

Sie hatte durch die Erhebung der Abschöpfung in die Freiheitssphäre der Klägerin eingegriffen und Anlaß zu der Klage gegeben. Sodann hat sie ihren Eingriff durch völlige Erstattung des Abschöpfungsbetrages materiell rückgängig gemacht. An der Tatsache, daß sie in der Sache selbst vollständig nachgegeben hat, ändert die Aufrechterhaltung des Abschöpfungsbescheides nichts. Denn dieser hat seine Bedeutung als verfahrensrechtliche Grundlage für einen Eingriff verloren. Das äußert sich besonders darin, daß der Klägerin ein Rechtsschutzinteresse an einer Beseitigung des Bescheides seit der Erstattung des Abschöpfungsbetrages nicht mehr zusteht. Da somit die Verwaltung durch die Erstattungsmaßnahme während des Rechtsstreites in der Sache selbst nachgegeben und die Klägerin klaglos gestellt hat, entspricht es billigem Ermessen, ihr allein die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Es kann für die Kostenfolge bei einer Erledigung des Rechtsstreites keinen entscheidenden Unterschied machen, ob dem Antrag des Steuerpflichtigen, den Verwaltungsakt aufzuheben, durch Zurücknahme des Verwaltungsaktes stattgegeben wird, oder ob der Steuerpflichtige dadurch zufrieden- und klaglos gestellt wird, daß der durch den Verwaltungsakt herbeigeführte Eingriff vollständig und endgültig wieder beseitigt und dadurch der Verwaltungsakt wirkungslos gemacht wird. Der Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsaktes muß kostenrechtlich im Ergebnis der Fall gleichgestellt werden, daß der Verwaltungsakt jeglicher rechtlicher Wirkung entkleidet, der Kläger also so gestellt wird, als ob der Verwaltungsakt nicht mehr vorhanden wäre und eine Erledigung im Sinne des § 138 Abs. 2 FGO stattgefunden hätte. Wenn im Grunde genommen für eine völlige Erstattung von Abgaben aus Billigkeitsgründen Rechtsgründe maßgebend waren und beide Beteiligte den Rechtsstreit wegen der Erhebung der Abgaben dann in der Hauptsache für erledigt erklären, entspricht es im Sinne des § 138 Abs. 1 FGO billigem Ermessen, die Verfahrenskosten der Behörde aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69667

BStBl II 1972, 707

BFHE 1972, 20

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