Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer NZB bei Vorlage der gesonderten Beschwerdebegründung nach Ergehen des Nichtabhilfebeschlusses beim BFH

 

Leitsatz (NV)

Zu der Frage, ob die gesonderte nachträg liche Begründung einer Nichtzulassungs beschwerde auch beim BFH fristwahrend angebracht werden kann, wenn das FG zuvor in offener Frist bereits entschieden hat, der Beschwerde nicht abzuhelfen, ohne die Begründung abzuwarten.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 3 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) begehrt eine Investitionszulage für eine Platzbefestigung zur Lagerung der von ihr produzierten ... -Steine. Antrag und Klage blieben ohne Erfolg.

Wegen der Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Finanzgerichts (FG) hat die Klägerin ohne Begründung Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat. Die Klägerin hat jedoch innerhalb der Beschwerdefrist nachträglich beim Bundes finanzhof (BFH) eine Beschwerdebegründung vorgelegt, in der sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz geltend macht (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und vorträgt:

Vom BFH sei die Grundsatzfrage zu entscheiden, ob bei einem Produktionsbetrieb für ... -Steine ein Abstellplatz in seiner besonderen Funktion eine zulagefähige Betriebsvorrichtung oder eine sonstige Baulichkeit darstelle. Das angefochtene Urteil weiche zudem von den Entscheidungen des BFH vom 23. März 1990 III R 63/87 (BFHE 161, 240, BStBl II 1990, 751) und vom 25. August 1989 III R 17/84 (BFHE 158, 283, BStBl II 1990, 79) ab. Bei Anwendung der Rechtsgrundsätze dieser Entscheidungen des BFH sei der Abstellplatz der Klägerin als Betriebsvorrichtung zu qualifizieren.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, da die Beschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 115 Abs. 3 FGO beim FG eingelegt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Die Beschwerde ist nach Ansicht des beschließenden Senats allerdings fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO beträgt die Frist für die Beschwerde einen Monat nach Zustellung des Urteils des FG. In der Beschwerdeschrift sind die Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO geltend zu machen. Ist das nicht geschehen, kann die Beschwerdebegründung jedoch innerhalb der vorgenannten Frist nachgeholt werden (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rdnr. 55, m. w. N.). Ebenso wie die Beschwerde nach § 115 Abs. 3 Satz 2 FGO bei dem Gericht einzulegen ist, dessen Entscheidung angefochten werden soll, ist in diesem Fall auch die gesonderte Begründung grundsätzlich bei dem FG einzureichen. Dies ist hier nicht geschehen. Auch die vom BFH an das FG weitergeleitete Beschwerdebegründung der Klägerin ist dort nicht rechtzeitig eingegangen.

Hat das FG jedoch -- wie im Streitfall -- bereits entschieden, der Beschwerde nicht abzuhelfen, kann die gesonderte nachträg liche Beschwerdebegründung nach Auffassung des beschließenden Senats auch beim BFH fristwahrend angebracht werden. Denn die Vorschrift des § 115 Abs. 3 Satz 2 FGO hat in erster Linie den Zweck sicherzustellen, daß das FG möglichst unverzüglich die ihm nach § 130 Abs. 1 FGO obliegende Entscheidung treffen kann.

Allerdings hat der II. Senat des BFH in dem Beschluß vom 29. Januar 1986 II R 5/86 (BFHE 145, 499, BStBl II 1986, 301) -- wenn auch in einer die Entscheidung nicht tragenden Bemerkung -- ausgesprochen, daß sich an der Notwendigkeit, die Beschwerdebegründung beim FG einzulegen, nicht dadurch etwas ändere, daß dieses Gericht -- etwa wegen vorhergehender Einlegung einer Revision oder nach einer Nichtabhilfeentscheidung in offener Frist -- dem Rechtsmittelführer mitgeteilt habe, es habe die Akten dem BFH vorgelegt. Auch in einem solchen Fall erfordere die gesetzliche Förmlichkeitsregelung über die Nichtzulassungsbeschwerde die Einreichung der Beschwerdebegründung bzw. der Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten werden solle.

Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in dem Beschluß vom 5. Februar 1981 7 B 13.80 (Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 60 VwGO Nr. 118) eine Nichtzulassungsbeschwerde, deren gesonderte Begründung entgegen der Vorschrift des § 132 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) a. F. innerhalb der Beschwerdefrist nicht bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten werden sollte, sondern unmittelbar beim BVerfG eingereicht worden war, als nicht ordnungsgemäß erhoben und deswegen als unzulässig angesehen, obgleich das Berufungsgericht mit seiner Nichtabhilfeentscheidung den Ablauf der Beschwerde(begründungs)frist nicht abgewartet hatte.

Dem könnte der beschließende Senat indes nicht folgen. Ob er damit von dem vorgenannten Beschluß des BVerfG abweichen würde (vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe), erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Erörterung. Allerdings könnte eine Abweichung nur vorliegen, wenn das BVerwG die hier maßgebliche Rechtsfrage entschieden und nicht etwa unerörtert gelassen hätte. Eine Rechtsfrage ist entschieden, wenn zu der Rechtsfrage -- sei es ausdrücklich, sei es konkludent -- ein Rechtssatz aufgestellt worden ist. Schweigt eine Entscheidung zu der Rechtsfrage, ob eine Regel (hier: daß -- auch -- die Beschwerdebegründung bei dem Gericht einzureichen ist, dessen Entscheidung angefochten werden soll) Ausnahmen zuläßt, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß damit die Frage der Ausnahmefähigkeit (im verneinenden Sinn) entschieden worden ist.

Indes können diese Fragen offenbleiben. Denn die Beschwerde der Klägerin muß in jedem Fall als unzulässig verworfen werden, da die Beschwerdebegründung ihrem Inhalt nach nicht den gesetzlichen Anforderungen (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) genügt.

2. Die grundsätzliche Bedeutung ist nicht dargelegt. Es fehlt insbesondere an Hinweisen darauf, daß die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage etwa in der Rechtsprechung der FG oder in der Literatur umstritten und deshalb klärungsbedürftig ist. Auch nimmt die Klägerin nicht dazu Stellung, daß und warum die zu dieser Frage schon vorliegende Rechtsprechung des BFH keine ausreichende rechtsgrundsätzliche Klärung gebracht hat oder aus welchen Gründen die in der bisherigen Rechtsprechung des BFH erarbeiteten Grundsätze einer erneuten Überprüfung bedürfen. Die Klägerin legt vielmehr lediglich in der Art einer Revisionsbegründung dar, daß unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BFH zu Betriebsvorrichtungen und bei zutreffender Würdigung der geschilderten Produktionsabläufe in ihrem Betrieb der Abstellplatz für ... -Steine als Betriebsvorrichtung zu qualifizieren wäre.

3. Wird als Zulassungsgrund Divergenz i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO geltend gemacht, so muß in der Beschwerdeschrift nicht nur -- wie in der Beschwerdeschrift geschehen -- die Entscheidung des BFH, von der das Urteil des FG abweichen soll, bezeichnet werden; es muß darüber hinaus aus der Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz der BFH-Entscheidung im Widerspruch stehen kann. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers voneinander abweichenden Rechtssätze sind dabei in nachvollziehbarer Weise gegenüberzustellen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. März 1995 II B 127/94, BFH/NV 1995, 909).

An dieser Bezeichnung und Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechtssätze fehlt es hier. Die Klägerin führt lediglich aus, daß das FG -- ihrer Ansicht nach -- bei seiner Würdigung der tatsäch lichen Verhältnisse die Rechtsprechungsgrundsätze der von ihr referierten Entscheidungen des BFH verkannt habe. Ob die Würdigung des Sachverhalts durch die Vorinstanz als zutreffend angesehen werden kann, ist für eine ordnungsgemäße Darlegung einer Abweichung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO jedoch ohne Bedeutung.

Eine Divergenz wird in der Beschwerdeschrift daher auch nicht bezeichnet, wenn ausgeführt wird, das FG habe verlangt, eine Betriebsvorrichtung müsse bei Einstellung des Gewerbebetriebes für den Grundeigentümer wertlos werden und dürfe von anderen Betrieben nicht genutzt werden können. Die Beschwerde behauptet selbst nicht, daß der BFH ausdrücklich oder stillschweigend einen davon abweichenden Rechtssatz aufgestellt habe. Vielmehr macht sie lediglich geltend, die vorgenannten, vom FG aufgestellten Voraussetzungen seien als Abgrenzungskriterium ungeeignet. Ihr Vorbringen läuft also auch in diesem Punkt darauf hinaus, daß das FG unrichtig entschieden habe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422341

BFH/NV 1997, 877

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge