Aufrechnung in sog. Bauträgerfällen
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.
Sachverhalt: FA erklärt die Aufrechnung der ihm abgetretenen Werklohnforderungen mit dem USt-Erstattungsanspruch der Antragstellerin
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids, in dem das FA die ihm von Werkleistenden abgetretenen Werklohnforderungen mit einem Erstattungsanspruch aus dem Umsatzsteuerbescheid 2013 aufgerechnet hat.
Die Antragstellerin ist eine GmbH, die im Streitjahr 2013 als Bauträgerin steuerfreie Leistungen erbrachte. Hierfür erteilte sie Aufträge an zahlreiche Bauhandwerker (bauleistende Unternehmer), von denen sie steuerpflichtige Leistungen bezog. Dabei gingen sowohl die Antragstellerin als auch die Bauleistenden vom Übergang der Steuerschuld auf die Antragstellerin nach § 13b UStG (a.F.) aus.
Im Anschluss an die Veröffentlichung des Urteils des BFH vom 22.8.2013 - V R 37/10 (BStBl II 2014, 128) beantragte die Antragstellerin beim FA die Erstattung der von ihr nach diesem Urteil im Streitjahr zu Unrecht auf der Grundlage des § 13b UStG a.F. abgeführten Umsatzsteuer, woraus sich ein Erstattungsanspruch zugunsten der Antragstellerin ergab. Das FA zahlte den Erstattungsantrag jedoch nicht aus, sondern ließ sich von den Bauleistenden ihre Werklohnforderungen gegen die Antragstellerin in Höhe der gegen sie festgesetzten Umsatzsteuer abtreten.
Das FA erklärte die Aufrechnung der ihm abgetretenen Werklohnforderungen mit dem Erstattungsbetrag der Antragstellerin aus Umsatzsteuer 2013. Hierüber beantragte die Antragstellerin einen Abrechnungsbescheid, den das FA erteilte und aus dem sich ergab, dass die an das FA abgetretenen Werklohnforderungen der Bauleistenden gegen den Erstattungsanspruch der Antragstellerin aufgerechnet wurden und das Konto der Antragstellerin anschließend "ausgeglichen" war.
Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid und AdV-Antrag
Die Antragstellerin legte Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) mit der Begründung, dass keine Aufrechnungslage vorgelegen habe. Hierzu berief sie sich u.a. auf Verjährung und machte ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Das FA lehnte den AdV-Antrag ab.
FG gewährt die beantragte AdV nur gegen Sicherheit
Das FG gewährte hingegen mit seinem Beschluss v. 17.2.2022 die beantragte AdV, allerdings gegen Sicherheitsleistung in Höhe des von der Vollziehung ausgesetzten Betrages und ließ die Beschwerde gegen seinen Beschluss zu. Es sei ernstlich zweifelhaft, ob die vom FA erklärte Aufrechnung zum Erlöschen des Umsatzsteuer-Erstattungsanspruchs der Antragstellerin geführt habe. Eine Entscheidungsbefugnis der FG in den sog. Bauträgerfällen sei vom FG Münster bejaht, vom Hessischen FG dagegen verneint worden. Bei divergierenden finanzgerichtlichen Entscheidungen und einer fehlenden höchstrichterlichen Rechtsprechung sei AdV zu gewähren.
Gegen den Beschluss des FG vom 17.2.2022 haben sowohl das FA als auch die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Das FG beschloss hierauf am 4.4.2022, dass den Beschwerden nicht abgeholfen wird und legte die Verfahren dem BFH zur Entscheidung über die Beschwerden vor.
Entscheidung: BFH hält die Beschwerden für begründet
Die Beschwerden des FA und der Antragstellerin gegen den AdV-Beschluss des FG sind nach Auffassung des BFH jeweils zulässig und begründet. Der Beschluss des FG ist daher aufzuheben und die Sache zur weiteren Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids bereits deshalb vorliegen, weil bislang ungeklärt sei, ob die FG in den sogenannten Bauträgerfällen über den Bestand und die Durchsetzbarkeit der ‑ dem FA von Bauleistenden abgetretenen ‑ zivilrechtlichen Werklohnforderungen entscheiden dürften. Hierzu führt der BFH u.a. aus:
- Das FG hat rechtsfehlerhaft unbeachtet gelassen, dass es zu der ‑ von ihm als streitig und ungewiss erachteten ‑ Rechtsfrage zur Entscheidungskompetenz der FG über rechtswegfremde Forderungen bereits eine gefestigte Rechtsprechung des BFH gibt. Diese Rechtsfrage ist daher nicht im Sinne von § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ernstlich zweifelhaft, sondern geklärt.
- Nach dem BFH-Urteil vom 1.8.2017 - VII R 12/16 (BStBl II 2018, 737) entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit grundsätzlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten und damit auch über eine zur Aufrechnung gestellte rechtswegfremde Gegenforderung, es sei denn, diese Entscheidung erwächst nach § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft. In Abtretungsfällen kann es jedoch grundsätzlich nicht zur Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO kommen, da sich diese nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger erstreckt (§ 110 Abs. 1 FGO, § 325 Abs. 1 ZPO), nicht aber auf den Zedenten als den Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars.
- Ist danach am Klageverfahren zwischen dem Zessionar und dem Anspruchsgegner der abtretende bauleistende Unternehmer (Zedent) nicht beteiligt, kommt es ‑ auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 406 BGB ‑ zu keiner Rechtskrafterstreckung. Das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung ist in diesen Fällen auch dann lediglich eine Vorfrage zur Aufrechnung und somit von der Entscheidungsbefugnis der Finanzgerichtsbarkeit gemäß § 17 Abs. 2 GVG umfasst.
- Hieran hält der BFH weiter fest. Denn er hat mit Urteil vom 24.5.2023 - XI R 45/20 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) entschieden, dass es in Abtretungsfällen nicht zu der Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO für den Zedenten komme, da sich die Rechtskraft eines Urteils nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger erstrecke, nicht aber auf am Verfahren nicht beteiligte Dritte, wie im Falle der Abtretung der Zedent als Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars.
- Mit der Aufhebung des die AdV gewährenden Beschlusses entfällt die Anordnung der vom FG festgesetzten Sicherheitsleistung, sodass sich auch die Beschwerde der Antragstellerin im Hinblick auf diesen Umstand insoweit als im Ergebnis begründet erweist.
BFH, Beschluss v. 26.9.2023, V B 23/22 (AdV); veröffentlicht am 12.10.2023
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