Höhe der Säumniszuschlag ab 2019 verfassungsgemäß?

Gegen die Höhe des Säumniszuschlags bestehen auch für die Zeiträume ab 2019 keine ernstlichen Bedenken, so der X. Senat des BFH. Allerdings hat dies kurz danach der VIII. Senat des BFH anders beurteilt.

Blick in die aktuelle Rechtslage

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 EUR teilbaren Betrag (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).

Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben (§ 240 Abs. 3 Satz 1 AO), diese Drei-Tages-Frist gilt nicht bei Zahlungen nach § 224 Abs. 2 Nr. 1 AO (insbesondere Scheckzahlung).

Der Gesetzgeber hat rückwirkend ab 2019 den Zinssatz für Zinsen nach § 233a AO von vormals 0,5% pro Monate (jährlich: 6%) auf 0,15% pro Monat (jährlich: 1,8%) reduziert. Der Gesetzgeber kam damit einer Umsetzungsverpflichtung des BVerfG (Beschlüsse v. 8.7.2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, BGBl I 2021, 4303) nach.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es auch einer Senkung der Höhe des Säumniszuschlags bedarf.

Sachverhalt: Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge, die nach dem 31.12.2018 entstanden sind

Auf Antrag des Antragstellers erließ das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag 2020 sowie zu den Einkommensteuer-Vorauszahlungen nebst Solidaritätszuschlag des vierten Quartals 2021 in Höhe von insgesamt 2.482 EUR.

Gegen den Abrechnungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Zur Begründung machte er geltend, zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen nach dem 31.12.2018 seien beim BFH mehrere Revisionsverfahren anhängig. Das FA stellte daraufhin das Einspruchsverfahren ruhend, lehnte allerdings den Antrag auf AdV mit Bescheid vom 4.1.2023 ab.

Der Antragsteller hat daraufhin beim FG die AdV des angefochte­nen Abrechnungsbescheids beantragt.

FG München lehnt AdV ab

Das FG München hat den Antrag auf AdV mit Beschluss v. 28.3.2023 abgelehnt (1 V 72/23). Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

Entscheidung: X. Senat des BFH lehnt AdV ebenfalls ab

Die zulässige Beschwerde hat der X. Senat des BFH als unbegründet abgewiesen. Die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ist nur dann zulässig, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Der beschließende X. Senat des BFH geht von der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe des Säumniszuschlags aus. Für ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bleibe kein Raum.

Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschlagshöhe wird vom BFH unterschiedlich beurteilt

Der VII. Senat des BFH hat mit Urteilen v. 23.8.2022 (VII R 21/21, BStBl II 2023, S. 304) und v. 15.11.2022 (VII R 55/20, BStBl II 2023, S. 621) entschieden, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Säumniszuschlags keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Eine AdV wurde abgelehnt.

Auch im Hauptsachenverfahren hat der VII. Senat des BFH keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Säumniszuschlags während der Zeit des strukturell niedrigen Zinsniveaus gesehen (BFH, Urteil v. 15.11.2022, VII R 55/20, BStBl II 2023, S. 621). Die Entscheidung erging aber für die Streitjahre 2015 und 2016.

Hingegen äußerten der III., V. und VIII. Senat des BFH im AdV-Verfahren Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge, soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind (BFH, Beschlüsse v. 23.5.2022, V B 4/22 (AdV), v. 11.11.2022,  VIII B 64/22 (AdV), und v. 28.12.2022, III B 48/22 (AdV) ).

X. Senat des BFH geht von einer Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge ab 2019 aus

Nach Auffassung des X. Senat des BFH bestehen keine Zweifel an der Höhe des Säumniszuschlags – auch ab 2019 nicht. Er schließt sich den Urteilsgründen des VII. Senats des BFH an und überträgt diese im AdV-Verfahren auch auf die Zeiträume ab 2019.

Den offensichtlichen Meinungsstreit zwischen den unterschiedlichen Senaten des BFH löst der X. Senat elegant. Er vertritt die Auffassung, dass durch die Hauptsachenentscheidung des BFH v. 15.11.2022 in der Rechtssache VII R 55/20 die im AdV-Verfahren abweichend ergangenen Entscheidungen des III., V. und VIII. Senats überholt seien.

Hinweis: Keine abschließende Beantwortung der strittigen Rechtsfrage

Einer Anrufung des GrS des BFH wegen dieser Rechtsfrage bedurfte es nicht, da im AdV-Verfahren keine abschließende Beantwortung der strittigen Rechtsfrage erfolgt (BFH, Beschluss v. 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV)).

Einer grundsätzlichen Klärung bedarf es dennoch, weil kurz nach Ergehen des Beschlusses des X. Senats der VIII. Senat des BFH mit Beschluss v. 22.9.2023 (VIII B 64/22 (AdV)) erneut ernstliche Zweifel an der Höhe der nach dem 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge geäußert hat. Diesen Widerspruch zur Auffassung des VII. und X. Senats des BFH gilt es, grundsätzlich aufzuklären. Gegenwärtig scheint es bei der ADV von Säumniszuschlägen auf den BFH-Entscheidungssenat anzukommen.

BFH, Beschluss v. 13.9.2023, X B 52/23 (AdV); veröffentlicht am 26.10.2023

Alle am 26.10.2023 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen

Schlagworte zum Thema:  Säumniszuschlag, Grundgesetz