Säumniszuschläge sind verfassungsgemäß

Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken. 

Hintergrund: Säumniszuschläge bei Nichtentrichtung einer Steuer bis zum Ablauf des Fälligkeitstages

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AO). Säumniszuschläge fallen nach dem Gesetz unabhängig davon an, ob eine Steuer zutreffend festgesetzt wird; nach § 240 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 AO bleiben die verwirkten Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Steuer aufgehoben oder geändert wird (s.a. BFH-Urteil vom 18.09.2018 - XI R 36/16, BFHE 262, 297, BStBl II 2019, 87, Rz 32).

Sachverhalt: Finanzamt erlässt 50 % der Säumniszuschläge

Der Kläger wurde im April.2016 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners Z bestellt. Im Juni 2016 meldete das Finanzamt (FA) verschiedene Abgabenforderungen zur Tabelle an, u.a. auch Säumniszuschläge für den Zeitraum März 2015 bis April 2016. Der Kläger bestritt die vom FA angemeldeten Forderungen im Prüfungstermin im Juli 2016. Mit Schreiben vom 7.9.2017 erließ das FA wegen der Insolvenz die Hälfte der zur Insolvenztabelle angemeldeten Säumniszuschläge.

Einspruch und Klage waren erfolglos

Da der Kläger die Forderungsanmeldung weiterhin bestritt, stellte das FA mit Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO vom 13.11.2017 Insolvenzforderungen in Höhe von insgesamt 28.005 EUR fest. Darin waren auch die Säumniszuschläge in Höhe von (nunmehr) insgesamt 576,50 EUR enthalten. Der gegen den Feststellungsbescheid gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Mit der vor dem Finanzgericht (FG) erhobenen Klage beantragte der Kläger, den Feststellungsbescheid so zu ändern, dass keine Säumniszuschläge festgestellt werden. Das FG entschied jedoch, dass die Säumniszuschläge hinsichtlich eines möglichen Zinsanteils weder ganz noch teilweise gegen das Verfassungsrecht verstießen.

Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, Säumniszuschlägen würden in ihrer Funktion als Druckmittel gegenstandslos, wenn der Steuerschuldner aufgrund Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr zur rechtzeitigen Zahlung angehalten werden könne. Deshalb seien dem Steuerschuldner in einem solchen Fall ‑ wie hier geschehen ‑ 50 % der Säumniszuschläge nach  § 227 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Dieser Erlass bewirke rechnerisch eine Verminderung der Säumniszuschläge von 12 % p.a. auf 6 % p.a. und orientiere sich nach der Rechtsprechung des BFH an der Höhe der Zinsen im Falle der Aussetzung der Vollziehung oder der Stundung. Damit würden 50 % der Säumniszuschläge rechnerisch ein fester Zinssatz, nämlich 6 % p.a., zugewiesen. Die Feststellung der Säumniszuschläge in Höhe von 6 % p.a. sei nicht verfassungsgemäß.

Entscheidung: BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen

Die Revision wurde vom BFH unbegründet zurückgewiesen. Der BFH weist auf Folgendes hin:

  • Gegen die Höhe der Säumniszuschläge bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
  • Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BGBl I 2021, 4303, Neue Juristische Wochenschrift – NJW ‑ 2021, 3309) herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.
  • Säumniszuschläge nach § 240 AO lassen sich mit der Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen nach §§ 233a, 238 AO nicht vergleichen. Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben.
  • Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen.
  • Die Ausführungen des BVerfG, mit denen es eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, abgelehnt hat, lassen sich zudem auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO übertragen.
  • Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt ferner nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot.

Praxishinweis: Weiteres Revisionsverfahren anhängig

Wegen der Frage der Verfassungswidrigkeit von nach dem 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschlägen ist beim BFH ein weiteres Revisionsverfahren anhängig (Az. des BFH: VII R 19/21, neues Az. nach Abgabe an den X. Senat: X R 30/21). Die Vorinstanz hat verfassungsrechtliche Bedenken verneint (FG Düsseldorf, Urteil v. 22.4.2021, 12 K 1420/20 AO, EFG 2021 S. 1962). Es bleibt abzuwarten, ob sich der X. Senat des BFH der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH zur Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen anschließt oder das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG aussetzen und die Sache dem BVerfG vorlegen wird.

BFH Urteil vom 15.11.2022 - VII R 55/20 (veröffentlicht am 30.03.2023)

Alle am 30.03.2023 veröffentlichten BFH-Entscheidungen


Schlagworte zum Thema:  Abgabenordnung, Säumniszuschlag, Grundgesetz