a) Durchbrechung der Bestandskraft

Die Änderungsvorschrift wegen neuer Tatsachen (§ 173 AO) betrifft in erster Linie die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Tatsache handelt, die nachträglich bekannt geworden ist und deshalb die Durchbrechung der Bestandskraft rechtfertigt.

Änderungssperre: Allerdings kann das FA auch bei Vorliegen der Voraussetzungen an einer Bescheidänderung zu Lasten des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sein. Eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen ist nur möglich, wenn der Steuerpflichtige die nachträgliche Bekanntgabe nicht grob schuldhaft verursacht hat. Die Änderungssperre (§ 173 Abs. 2 AO) erlaubt nach einer Außenprüfung die Bescheidänderung nur unter bestimmten Voraussetzungen.

b) Nachträglich bekannt gewordene neue Tatsachen

Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1AO erfordert, dass eine Tatsache nachträglich bekannt wird. Wenn eine Tatsache dem FA bereits beim Erlass eines vorangegangenen Änderungsbescheids bekannt war, ermöglicht § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich keine auf diese Tatsache gestützte weitere Änderung des Bescheids. Beachten Sie: Etwas anderes gilt jedoch u.a., wenn es sich bei dem vorangegangenen Änderungsbescheid um eine auf § 165 Abs. 2 AO gestützte Änderung im vollmaschinellen Verfahren aufgrund einer automatisierten Überprüfung sämtlicher ergangener Steuerbescheide zur Umsetzung einer geänderten BFH-Rspr. handelte (BFH v. 28.5.2020 – X B 19/20, BFH/NV 2020, 1044 = AO-StB 2020, 314 [Steinhauff]).

Der FinBeh. gilt nur der Inhalt der Akten als bekannt, die in der zuständigen Dienststelle für den zu veranlagenden Steuerpflichtigen geführt werden. Wählen Ehegatten, die zuvor zusammenveranlagt wurden, die Einzelveranlagung, gelten auch Tatsachen als bekannt, die sich aus den Akten zusammenveranlagter Ehegatten ergeben, wenn insoweit dieselbe Dienststelle zuständig ist (BFH v. 26.5.2020 – IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233 = AO-StB 2020, 345 [Steinhauff]).

Eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegt auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige seinen Steuererklärungen Bescheinigungen des Versorgungswerks über die insgesamt entrichteten Mitgliedsbeiträge eines Jahres beigefügt hat, sich aus diesen Bescheinigungen und den sonstigen dem FA vorliegenden Informationen aber nicht die Höhe des vom Steuerpflichtigen letztendlich selbst getragenen Beitrags zu seiner Altersvorsorge ergibt (FG Düsseldorf v. 28.1.2020 – 10 K 546/19 E, EFG 2020, 698).

Die Änderung eines Steuerbescheids gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass dem FA eine bereits vorhandene Tatsache erst nachträglich bekannt wird. Soweit allerdings Hilfstatsachen, die den Schluss auf eine innere Haupttatsache (im Streitfall die Einkünfteerzielungsabsicht) zulassen, betroffen sind, kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Entstehung der Tatsache, sondern allein auf das Bekanntwerden nach Erlass des Steuerbescheids an (FG Nds. v. 25.2.2020 – 9 K 112/18, EFG 2020, 1077).

Die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass eine Tatsache nachträglich, nämlich nach abschließender Zeichnung des Eingabewertbogens oder der Zeichnung der abschließenden Verfügung, bekannt geworden ist und zu erwarten war, dass das FA bei rechtzeitiger Kenntnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (FG BW, Außensenate Freiburg v. 26.2.2020 – 2 K 1774/17 EFG 2020, 1424, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 1/21).

Neue Tatsachen können die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 AO nur rechtfertigen, wenn sie rechtserheblich sind. Ein erstmalig nach einem endgültigen Bescheid gestelltes Empfängerbenennungsverlangen und eine darauf erfolgende ggf. unzureichende Antwort des Steuerpflichtigen sind keine neue Tatsache und daher als solche niemals geeignet, eine Änderungsbefugnis nach § 173 AO zu begründen (FG Köln v. 1.10.2020 – 13 K 3220/17, EFG 2021, 1267).

c) Grobes Verschulden

Der Steuerpflichtige hat ein Verschulden seines steuerlichen Beraters zu vertreten, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient. Ein steuerlicher Berater handelt grob fahrlässig i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die in der Anlage N-Gre ausdrücklich gestellte Frage nach steuerfreien Kinderzulagen bei einem in der Schweiz tätigen Grenzgänger nicht beantwortet, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung und Aufarbeitung des steuerrelevanten Sachverhalts aus den (monatlichen) Gehaltsmitteilungen des Steuerpflichtigen erkennen konnte, dass in dem in der Jahreslohnbescheinigung ausgewiesenen Arbeitslohn steuerfreie Kinderzulagen enthalten waren (BFH v. 28.4.2020 – VI R 24/17, BFH/NV 2020, 1249).

Die Änderung eines nach Versäumung der Einspruchsfrist formell bestandskräftig gewordenen ESt-Bescheids kann ein Steuerpflichtiger zu seinen Gunsten nur erreichen, wenn ihm entweder wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann oder wenn ihn am verspäteten Bekanntwerden der für ihn günstigen Tatsachen oder Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kein grobes Verschulden trifft. Ei...

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