0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist nach Art. 70 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) zum 1.1.2005 in Kraft getreten. Sie ersetzt den bisherigen § 91a BSHG, der mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450) eingefügt worden war. § 92 weist gegenüber § 91a BSGH lediglich eine redaktionelle Änderung auf (vgl. BT-Drs. 15/1514 S. 67), weshalb die zu § 91a BSHG ergangene Rechtsprechung zur Auslegung der geltenden Regelung uneingeschränkt herangezogen werden kann. Der Vorschrift des § 91a BSHG ging bis zum 30.6.1983 die Regelung des § 1538 Abs. 1 RVO voraus, die sich auf die Befugnis zur Feststellung von Leistungen aus der RVO beschränkte. Das in den Jahren 2003/2004 geltende GSiG sah eine entsprechende Regelung nicht vor (vgl. zur Anwendbarkeit des § 95 für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab dem Vierten Kapitel des SGB XII unten Rz. 3).

Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ist mit § 5 Abs. 3 SGB II eine vergleichbare Vorschrift vorhanden. Diese wird durch die Vorschrift des § 12a Satz 1 SGB II flankiert, wonach Leistungsberechtigte verpflichtet sind, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Eine entsprechende, den allgemeinen Nachranggrundsatz konkretisierende Regelung kennt das SGB XII nicht.

Weiterhin sehen § 97 SGB VIII und § 27i BVG entsprechende Befugnisse zur Feststellung von Sozialleistungen für die Träger der Jugendhilfe bzw. der Kriegsopferfürsorge vor.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Dem Feststellungsverfahren nach § 95 liegt der Fall zugrunde, dass ein Anspruch des Leistungsberechtigten auf eine andere – an sich vorrangige – Sozialleistung in Betracht kommt. Dann kann der Sozialhilfeträger diesen Anspruch nach § 95 im eigenen Namen für den Leistungsberechtigten geltend machen sowie Rechtsmittel einlegen, soweit ihm ein Erstattungsrecht zusteht. Der Norm kommen damit zwei Funktionen zu: Einerseits erweitert sie die Möglichkeiten der Sozialhilfeträger zur Sicherung und Durchsetzung ihrer Erstattungsansprüche gegen andere Leistungsträger und dient damit ebenso wie §§ 93, 94 der Wiederherstellung des Nachrangs, hier in Bezug auf vorrangige Sozialleistungen. Andererseits kann über das Feststellungsverfahren Bedürftigkeit des Leistungsberechtigten vermieden bzw. behoben werden, dann nämlich, wenn der Anspruch auf die andere, vorrangige Sozialleistung mit Erfolg in einem Umfang geltend gemacht werden kann, der den Erstattungsanspruch übersteigt. § 95 Satz 1 regelt die Voraussetzungen der Feststellung sowie das Verfahren. Satz 2 enthält eine Sonderbestimmung für Fristen, wovon wiederum Satz 3 eine Gegenausnahme macht.

2 Rechtspraxis

2.1 Voraussetzungen

 

Rz. 3

Die Feststellung der Sozialleistung setzt voraus, dass dem Leistungsberechtigten ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung und dem Sozialhilfeträger genau wegen dieses Anspruchs ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Leistungsträger zusteht. Mit "anderer Sozialleistung" sind zunächst alle Sozialleistungen i. S. v. § 11 SGB I gemeint, die im Einzelnen in §§ 18 bis 29 SGB I aufgeführt sind (vgl. BSG, Urteil v. 22.4.1998, B 9 VG 6/96 R, BSGE 82 S. 112):

  • Leistungen der Ausbildungsförderung nach § 18 SGB I,
  • Leistungen aus den 5 Sozialversicherungsbereichen nach §§ 19 bis 23 SGB I (Arbeitsförderung, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung); vgl. zum Verhältnis letzterer zur stationären Eingliederungshilfe Schweigler, SGb 2014 S. 307),
  • Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19a SGB I,
  • Versorgungsleistungen bei Gesundheitsschäden nach § 24 SGB I,
  • Kindergeld und Erziehungsgeld nach § 25 SGB I,
  • Wohngeld nach § 26 SGB I,
  • Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 27 SGB I,
  • Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach § 29 SGB I.

Darüber hinaus sind auch die in § 68 SGB I aufgeführten „besonderen Teile“ des Gesetzbuches erfasst (vgl. Armbruster, in juris-PK SGB XII, § 95 Rz. 62; Münder, in: LPK-SGB XII, § 62 Rz. 2). Für eine einschränkende Auslegung, welche die in § 68 SGB I genannten „besonderen Teile“ ausklammert (so wohl H. Schellhorn, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, § 95 Rz. 10) bietet die Gesetzesbegründung zu § 91a BSHG (BT-Drs. 9/95. S. 15, 31) keine Anhaltspunkte. Eine Sozialleistung in diesem Sinne beinhaltet eine Dienst-, Sach- oder Geldleistung, womit der Wortlaut der Norm eine Befugnis zur Geltendmachung von Gestaltungsrechten (z. B. die Erklärung eines Beitritts zur freiwilligen Krankenversicherung) nicht hergibt (vgl. BSG, Urteil v. 19.12.1991, 12 RK 24/90, Rz. 26, juris).

Berechtigt durch § 95 werden die Träger der Sozialhilfe i. S. d. § 3. Zu den Leistungen der Sozialhilfe gehören auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel, ...

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