Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegenüber einem Träger der sozialen Pflegeversicherung. Voraussetzungen. Leistungsverpflichtung des vorrangig Leistungsverpflichteten bereits zum Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den nachrangig Leistungsverpflichteten. Leistungsantrag. Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X setzt voraus, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits zum Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den nachrangig verpflichteten Leistungsträger gegenüber dem Leistungsempfänger leistungsverpflichtet war. Dies wiederum setzt einen Leistungsantrag des Leistungsempfängers oder nach § 95 S 1 SGB XII des erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe voraus, sofern ein solcher Leistungsantrag materielle Anspruchsvoraussetzung ist (entgegen BVerwG vom 23.1.2014 - 5 C 8/13 = NJW 2014, 1979).

2. § 95 S 2 SGB XII macht einen materiell notwendigen Leistungsantrag nicht entbehrlich.

 

Orientierungssatz

1. Zu den Leitsätzen vgl auch BSG vom 28.4.1999 - B 9 V 8/98 R = BSGE 84, 61 = SozR 3-1300 § 105 Nr 5 (zu § 105 Abs 1 SGB 10).

2. Im Erstattungsstreit zwischen zwei Leistungsträgern bedarf es der Beiladung des Leistungsempfängers nur, wenn sich die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB 10 auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 1 KR 12/14 R = SozR 4-2500 § 264 Nr 6).

3. § 103 Abs 1 SGB 10 ist nur bei institutionell gleichrangigen Leistungsträgern anwendbar. Dies ist im Verhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Träger der sozialen Pflegeversicherung nicht der Fall.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird endgültig auf € 4.510,83 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Leistungen zur stationären Pflege.

Die Klägerin ist Träger der Sozialhilfe. Die Beklagte ist Trägerin der sozialen Pflegeversicherung. Der bei der Beklagten pflegeversicherte, am 1990 geborene L. M. (nachfolgend: Leistungsempfänger) ist seit April 1995 pflegebedürftig und seit dem 28. August 2000 in der H., einem Heim für Mehrfachbehinderte in H., stationär untergebracht. Der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern (Landessozialamt), heute Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg trug als Träger der überörtlichen Sozialhilfe seitdem die Kosten für Betreuung und Pflege im Rahmen der Eingliederungshilfe (Bescheid vom 8. August 2000). Die Zuständigkeit ging am 1. Januar 2005 auf die Klägerin über; seitdem trug sie diese Kosten. Die Beklagte übernahm auf Antrag des Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollern (Landessozialamt) vom 13. September 2000 nach § 43a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zehn Prozent des nach § 75 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vereinbarten Heimentgelts (Bescheid der Beklagten vom 14. September 2000). Seit dem 8. September 2008 wohnt der Leistungsempfänger im Haus E., der Pflegeabteilung der H..

Die Trägerin der H., die Z. Anstalten Behinderten gGmbH, schloss am 21. Februar 2011 mit Wirkung ab dem 1. Februar 2011 unter anderem mit der Beklagten einen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI, aufgrund dessen die H. (Pflegeabteilung Haus E.) seither zur stationären Versorgung Pflegebedürftiger zugelassen ist. Mit dem Leistungsempfänger wurde kein Heimvertrag abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011, das bei der Beklagten am 2. August 2011 einging, beantragte die Klägerin nach § 95 SGB XII für den Leistungsempfänger Pflegeleistung für vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI ab dem Zeitpunkt der Zulassung der H. als stationäre Pflegeeinrichtung im Sinne des § 71 Abs. 2 SGB XI. Bis zu einer Entscheidung über die Leistungspflicht leiste sie die notwendigen Pflegeleistungen auf Grund von § 92 SGB XII vor. Erstattungsansprüche nach § 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mache sie hiermit geltend.

Mit Bescheid vom 10. November 2011 bewilligte die Beklagte dem Leistungsempfänger Leistungen für stationäre Pflege nach Pflegestufe III ab dem 18. Juli 2011 bis zu einem Gesamtwert von € 1.510,00 je Kalendermonat. Zugleich informierte die Beklagte die Klägerin über diese Entscheidung mit Schreiben vom 10. November 2011. Sie erklärte sich in der Folgezeit auch gegenüber der Klägerin bereit, diese Leistung ab dem 1. Juli 2011, Beginn des Monats der Antragstellung, zu übernehmen (Schreiben vom 5. Juni 2012).

Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 bat die Klägerin die Beklagte um Erstattung der Pflegeleistungen rückwirkend ab dem 1. Februar 2011 bis zum 30. Juni 2011.

Mit Schreiben vom 23. August 2012 erläuterte die Beklagte der Klägerin ihre Rechtsauffassung. Die Leistungserbringung ihrerseits sei von einer Antragstellung abhängig. Maßgebend für die Berechnung des veränderten ...

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