Kanzleiprofil: Was bringt der Fachanwaltstitel wirklich?

Kürzlich hat die Satzungsversammlung, das Parlament der Anwaltschaft, die Einführung des 21. Fachanwaltstitels beschlossen: den Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht. Mittlerweile werden die Fachanwaltstitel, die Anwälte führen dürfen, fast unübersichtlich. Und fraglich ist auch, ob das formal ausgewiesene Expertentum wirtschaftlich immer Sinn macht.

In der Begründung zum jüngsten Beschluss hinsichtlich der Einführung des Fachanwalts für internationales Wirtschaftsrecht heißt es unter anderem, dass das Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechtes den Umgang mit Kollisionsrecht und fremden Rechtsordnungen sowie anderen Kulturen und Sprachen erfordere. Deshalb sei eine besondere Spezialisierung notwendig. Die Bedeutung internationaler wirtschaftlicher Beziehungen deutscher Unternehmen gewährleiste eine breite Nachfrage nach international-rechtlichen Beratungsleistungen.

Umsatzsteigerungen wahrscheinlich

Diese Rechtsmaterie wird klassischerweise von Großkanzleien "beackert". Ob es hier für Einzelkämpfer Sinn macht, den Fachanwaltstitel zu erlangen, ist eher fraglich. Denn die gewerblichen Mandanten verlangen heutzutage inhaltlich und räumlich stark vernetzte Dienstleistungen. Die Top-Anwälte in den Großkanzleien haben aber schon genug Titel. Sie brauchen keinen weiteren.

Bringt der Fachanwaltstitel Umsatzsteigerungen?

Grundsätzlich bringt der Fachanwaltstitel Umsatzsteigerungen – im Schnitt über 40 %.  Weitere wichtige Effekte liegen in einer Verbesserung der Marktstellung, in verbesserten Möglichkeiten der Außendarstellung und, damit verbunden, Reputationsgewinnen. Zuletzt hatte die Satzungsversammlung in den Rechtsgebieten Bank- und Kapitalmarktrecht, Gewerblicher Rechtsschutz, Handels- und Gesellschaftsrecht, Informationstechnologierecht (IT-Recht), Medizinrecht, Transport- und Speditionsrecht sowie Urheber- und Medienrecht neue Fachanwaltsbezeichnungen eingeführt.

Noch "ohne"? Immerhin ¾ aller Anwälte haben keinen Fachanwaltstitel

Trotz des anhaltendes Trends hin zu anwaltlicher Spezialisierung und der starken Zunahme der Zahl der verliehenen Fachanwaltstitel verfügen weiterhin mehr als drei Viertel der in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte über keinen Fachanwaltstitel.

53% erklären diesen Status mit fehlendem Interesse an einem Titelerwerb. Rund ein Drittel sind zwar grundsätzlich an einem Titelerwerb interessiert, haben ihn aber aus verschiedenen Gründen nicht in Angriff genommen.

Warum ich kein Fachanwalt werden will

Jeweils rund die Hälfte der an einem Titelerwerb nicht interessierten Rechtsanwälte ist auch ohne Titel mit der wirtschaftlichen Situation zufrieden oder hat bislang keine Nachteile erfahren, ergab eine Umfrage des Kölner Soldan Instituts. Verbreitet ist auch die Sorge, durch einen Titel auf ein bestimmtes Rechtsgebiet festgelegt zu werden. 

Fachanwalt ist kein Allheilmittel

Und Nicht-Fachanwälte sind selbstbewusst. Auch ohne Titel fühlen und handeln sie als Spezialisten in einem bestimmten Rechtsgebiet oder einer BrancheUnd last but not least gibt es vor allem unter den Top-Wirtschaftsanwälten relativ wenige Fachanwälte. Das belegt, dass wirtschaftlicher Erfolg eines Anwalts nicht ausschließlich vom Fachanwaltstitel abhängt. Drei Fachanwaltstitel darf jeder Anwalt maximal führen – also etwa im Steuerrecht, Arbeitsrecht und Familienrecht. Doch ist ein derartiger Spagat überhaupt zu bewältigen?

Schließlich hat der Tag nur 24 Stunden. Die Gefahr, sich im juristischen Gestrüpp zu verzetteln, ist also riesengroß. Deshalb sollten sich junge Anwälte besser mit Managementthemen beschäftigen. Denn: Fachanwalt werden ist nicht schwer. Es über die Jahrzehnte hinweg aber auch erfolgreich zu bleiben, dagegen sehr.