Anwälte lassen die neuen Werbefreiheiten links liegen

Keine Frage: Bei mittlerweile über 160.000 zugelassenen Anwältinnen und Anwälten wird es für den einzelnen Berufsträger immer schwerer, sich aus der Masse hervorzuheben. Selbst Titel, Berufserfahrungen, Branchenkenntnisse und Spezialisierungsgrade nutzen nichts, solange sie nicht im richtigen Umfeld, zur richtigen Zeit und in der richtigen Verpackung kommuniziert werden.

Eigentlich müsste es in den Tageszeitungen und sonstigen Medienträgern nur so wimmeln vor Anwaltsanzeigen. Doch das Gegenteil ist der Fall – trotz weitgehender Liberalisierung des anwaltlichen Werberechts. Das geht im Unterschied zu früher nicht mehr von einem grundsätzlichen Totalverbot anwaltlicher Werbemaßnahmen aus.

Was ist zulässig?

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet und anwaltliche Werbemaßnahmen sind grundsätzlich zulässig,

  • soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet
  • und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.

Es fehlt an überzeugenden Konzepten

Im Prinzip bedeutet die neu gewonnene Freiheit, dass Anwälte sogar Fernseh- oder Radiospots schalten dürfen. Nun wird man Fernsehspots nur schwer finanzieren können. Radiowerbung ist dagegen relativ preiswert. Doch haben Sie schon einmal einen pfiffigen Radiospruch eines Kollegen gehört?

Kommunikation der anwaltlichen Dienstleistung

Wer über eine gute und Vertrauen erweckende Stimme verfügt, könnte seine künftigen Mandanten über die regelmäßige Ansprache via Mikrophon durchaus davon überzeugen, dass er genau der Richtige ist. Doch derzeit – so hat es den Anschein – fehlt es an Ideen und Konzepten für eine klare Kommunikation der anwaltlichen Dienstleistung in die Außenwelt.

Ernüchterung nach den ersten Anzeigen

Jeder Anwalt, der schon einmal eine oder zwei Anzeigen in der Tageszeitung geschaltet hat, wird ernüchternd festgestellt haben, dass die Resonanz eher dürftig ausfiel. Anders war das dagegen mit den ersten Einträgen in den Gelben Seiten. Vor Jahren war das noch ein Reißer. Wer am meisten gewagt hat, wählte den Fettdruck oder einen Rahmen. Daraufhin kamen die Mandanten zwar nicht in Scharen, aber immerhin konstant-regelmäßig.

Als die Resonanz nachließ, gingen die Anwälte dazu über, ihre Anzeige farblich zu hinterlegen. Und heute? Die Gelben Seiten sind voll mit ganzseitigen Anzeigen, ein Eintrag jagt den anderen, so dass der einzelne Anwalt im Anzeigenmeer untergeht.

Internet auf dem Vormarsch

Zu der Fülle der Anzeigen kommt: Die Gelben Seiten verlieren konstant an Bedeutung, weil immer mehr Verbraucher im Internet recherchieren. Da braucht man nicht mehr umständlich blättern oder gar erst die Gelben Seiten suchen, die vielleicht irgendwo in der Wohnung rumfliegen. Einfach bei Google das Stichwort Anwalt mit dem dazu gehörigen Ort und eventuell noch einem Rechtsgebiet eingeben – und schon erscheint die liebe Konkurrenz auf dem Bildschirm. Einfacher geht’s kaum. Pech haben Anwälte allerdings, wenn sie in den entsprechenden Trefferlisten erst auf Seite 2 oder gar erst auf Seite 89 gelistet werden. Die intensive Beschäftigung mit der Internetwerbung macht also Sinn.

Viel Arbeit

Verglichen mit den alten Zeiten, als der Vertreter der Gelben Seiten sich einmal im Jahr für eine viertel Stunde in der Kanzlei aufhielt, ist der Aufwand für eine moderne und effektive Kommunikation über die verschiedenen Medien hinweg immens gestiegen. Denn auf dem Weg zu einer erfolgreichen Werbekampagne gilt es zunächst, viel gedankliche Vorarbeit zu leisten.

Wie hoch soll und darf das Werbebudget sein?

Wie wirbt die Konkurrenz in der Region?

Wie will ich mich davon abheben?

Mit welchen Attributen gehe ich überhaupt an die Öffentlichkeit?

Welche Bedürfnisse der Mandanten sind mir in zahlreichen Gesprächen bei Gericht und in der Kanzlei aufgefallen? Wovor haben sie Angst?

Habe ich eine Werbebotschaft, die den Mandanten die Sorgen nimmt und Vertrauen einflößt? Treffe ich ihren Nerv?

Werbung bringt doch nichts!

Spätestens an diesem Punkt geben (leider) viele Anwälte auf und beruhigen sich mit einem alten Vorurteil: „Werbung bringt sowieso nichts“. Zugegeben: Der Werbeerfolg ist kurzfristig nur schwer messbar. Anzeigen zum Beispiel müssen konstant über einen längeren Zeitraum geschaltet werden – und zwar mit wechselnden Motiven, so dass die Mandanten jede Woche einen Mehrwert erhalten.

Was spricht zum Beispiel dagegen, wenn eine Kanzlei auf einem festen Anzeigenplatz der Tageszeitung wöchentlich ein Rechtsthema behandelt, das vielen Lesern auf den Fingern brennt. Vom Taschengeld für die Kinder über das Sorge- und Umgangsrecht bis hin zur Abmahnung oder gar Kündigung – die Betroffenen selbst wissen in derartigen Situationen oft weder ein noch aus.

Recht lebendig darstellen

Ein Anwalt, der das Recht lebendig darstellt und einfach in die Sprache seiner Mandanten übersetzt, gewinnt leicht Vertrauen und Profil. Damit bereitet er den Boden, er sät und investiert, um später die Früchte zu ernten. Manche Früchte brauchen allerdings auch etwas länger. Vom Bambus ist zum Beispiel bekannt, dass er erst drei bis vier Jahre nach der Saatausbringung oberirdisch zu wachsen beginnt. Das verlangt von dem Ausbringenden wahrlich viel Geduld - und Hoffnung sowie Vertrauen, dass am Ende alles aufgeht. Ganz ähnlich ist es auch mit der Anwaltswerbung.

Verschroben, modern, kompetent?

Wer allerdings heute die Mühen und Investitionen in Kanzleimarketing scheut, die einem ein ambitioniertes Werbekonzept abverlangt, begibt sich der Chancen für die Zukunft und darf sich nicht wundern, wenn er selbst eines Tages in der öffentlichen Wahrnehmung als verschroben gilt, während die Konkurrenten in der Zwischenzeit das Feld „modern“ oder „kompetent“ beackert und schließlich komplett besetzt haben.

„50 Prozent meiner Werbeausgaben schmeiße ich jährlich zum Fenster hinaus. Ich weiß nur nicht welche“, hat der alte Henry Ford einmal gesagt. Für ihn und die nachfolgenden Generationen war das aber nie Anlass, auf Werbeausgaben zu verzichten.