Rn 1

Die Regelung in § 770 ergänzt § 768 (s § 768 Rn 11) und gibt dem Bürgen – auch dem selbstschuldnerischen, Prot II 471 – ggü dem Gläubiger Leistungsverweigerungsrechte (verzögerliche Einreden). I 1 stellt auf das nur dem Hauptschuldner zustehende (RGZ 59, 207, 210; 122, 146, 147) Gestaltungsrecht der Anfechtung ab und ist Ausdruck der Akzessorietät (s Vor § 765 Rn 10). Das Recht aus II stellt auf die Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers ab und stellt eine Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips (s Vor § 765 Rn 12) dar. So soll der Gläubiger zunächst beim Hauptschuldner Befriedigung suchen, bevor er sich beim Bürgen gütlich hält (BGHZ 95, 350, 361; 153, 293, 299).

 

Rn 2

Wenn der Hauptschuldner (§ 770 I) bzw der Gläubiger (§ 770 II) auf das Gestaltungsrecht verzichtet, verliert der Bürge sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 770 I oder II, weil dieses vom Bestand des jeweiligen Gestaltungsrechts abhängig ist (Gegensatz zur Regelung in § 768 II für den Verzicht des Hauptschuldners auf Einreden). Bereits ausgeübte Gestaltungsrechte fallen nicht unter § 770: Sie wirken sich auf den Bestand der Hauptschuld aus und fallen unter § 767 I 1 (Erman/Zetzsche § 770 Rz 1).

 

Rn 3

§ 770 I ist vorbehaltlich der Abbedingung (Rn 4) analog anwendbar auf sonstige Gestaltungsrechte, wie zB Wahlrecht des Hauptschuldners (§ 263, dazu differenzierend Staud/Stürner § 770 Rz 21); Rücktritt (kraft Vertrages nach § 346 oder kraft Gesetzes, zB § 323); Widerrufs- und Rückgaberecht nach §§ 355 ff (s Vor §§ 765 ff Rn 33); Minderung (Kauf: § 437 Nr 2; Werkvertrag § 634 Nr 3). Wie den Bürgen schützt der Rechtsgedanke von § 770 I auch den Miterben: s § 2040 Rn 7.

 

Rn 4

Die Vorschrift ist begrenzt dispositiv: Sie kann individualvertraglich ganz oder teilweise (s Rn 5, 10 aE) abbedungen werden. Ein Verzicht des Bürgen auf eine Einrede aus § 770 kann auch implizit mit Abschluss des Bürgschaftsvertrages erklärt werden: So wenn der Bürge die Anfechtbarkeit des der Hauptschuld zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts kannte (vgl Prot II 466; RGRK/Mohrmann § 770 Rz 2; Staud/Stürner § 770 Rz 16).

 

Rn 5

Für AGB ist zu unterscheiden: (1.) Der Verzicht auf die Einrede der Anfechtung durch den Bürgen ist nach der Rspr unzulässig, weil sonst auch eine Anfechtung wg arglistiger Täuschung ausgeschlossen wird (BGH NJW-RR 22, 847, 848; NJW 93, 3264, 3265 [BGH 16.09.1993 - VII ZR 206/92]). (2.) Wirksam ist hingegen der Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Anfechtbarkeit nach § 770 I (BGH NJW RR 22, 847, 849 [BGH 25.01.2022 - XI ZR 255/20] mwN); (3.) Der Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit (§ 770 II) ist nach dem Rechtsgedanken in § 309 Nr 3 jedenfalls dann unangemessen iSv § 307, wenn der Ausschluss auch für den Fall gilt, dass die Gegenforderung des Hauptschuldners unbestr oder rechtskräftig festgestellt ist (st Rspr BGHZ 153, 293, 299; 156, 302, 310; NJW 04, 2232, 2235; zuletzt BGH NJW 18, 857, 859 Rz 15). Zur Gesamtnichtigkeit der Sicherungsabrede vgl § 768 Rn 4 aE.

 

Rn 6

Ein Verzicht umfasst nicht die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung (BGH NJW 91, 2908, 2909) sowie die Arglisteinrede nach § 853 (BGHZ 95, 350, 357). Der Bürge kann sich trotz eines Verzichts immer noch darauf berufen, dass der Hauptschuldner die Anfechtung (BGHZ 95, 350, 356) oder die Aufrechnung wirksam erklärt hat und damit die Bürgschaft nach § 767 I untergegangen ist (s Rn 2 aE).

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