Rn 9

Zur Fälligkeit oder Klagbarkeit der Hauptforderung (s Rn 8) muss die Aufrechnungsbefugnis des Gläubigers hinzukommen: Unerheblich ist, ob dem Hauptschuldner ein Aufrechnungsrecht zusteht oder ob er es (zB nach § 767 II ZPO) verloren hat (BGHZ 153, 293, 301 f; vgl hierzu Habersack/Schürnbrand JZ 03, 848).

 

Rn 10

Erlischt die Aufrechnungsbefugnis des Gläubigers, verliert der Bürge sein Leistungsverweigerungsrecht. Bsp: (1.) Der Gläubiger erfüllt die Forderung, mit der er sonst hätte aufrechnen können (RG WarnR 12 Nr 303), (2.) der Gläubiger nutzt sein Bestimmungsrecht aus § 396 I 1 und rechnet mit einer anderen als der verbürgten Forderung gegen den Anspruch des Hauptschuldners auf (BGH NJW 84, 2455). Im Einzelfall kann den Bürgen die Berufung auf Treu und Glauben schützen: wenn der Gläubiger (nachweisbar) bei der Aufrechnung nur zum Schaden des Bürgen handelt (BGH aaO); (3.) der Gläubiger verliert seine Aufrechnungsbefugnis durch eine ungenaue Aufrechnungserklärung kraft gesetzlicher Bestimmung (§ 396 I 2 iVm § 366 II, BGH aaO). Der Bürgschaftsvertrag kann die Wirkung einer Aufrechnung mit der verbürgten Forderung durch ein Verbot beschränken.

 

Rn 11

Str ist, ob über den Wortlaut von § 770 II hinaus dem Bürgen die Einrede der Aufrechenbarkeit auch dann zustehen soll, wenn (1.) der Gläubiger sein Aufrechnungsrecht verwirkt hat (§ 393), (2.) das Gesetz sein Aufrechnungsrecht anderweitig ausschließt (§ 394) oder (3.) der Gläubiger – soweit dies zulässig ist (s Rn 4, 5) – vertraglich auf sein Aufrechnungsrecht verzichtet hat. Das Reichsgericht lehnte dies ab, der Bürge sei (meist) über §§ 273, 768 I hinreichend geschützt (RGZ 137, 34, 36 f). Der BGH hat dies unter Hinweis auf diesen Schutz bisher offengelassen (BGHZ (VII. ZS) 24, 97, 99; (VIII. ZS); 42, 396, 398 (VIII. ZS); vgl Habersack/Schürnbrand JZ 03, 848 [BGH 16.01.2003 - IX ZR 171/00], die davon ausgehen, dass der BGH dem RG folgen wird). In der Lit wird dies zT befürwortet (RGRK/Mormann § 770 Rz 4; MüKoBGB/Habersack § 770 Rz 10; Medicus JuS 71, 497, 501 Fn 26; aA Staud/Stürner § 770 Rz 9; Soergel/Gröschler § 770 Rz 9). Man wird nach den Fallgruppen unterscheiden und die analoge Anwendung von § 770 II beim Aufrechnungsverbot aus § 393 gestatten müssen (›Keine Unerlaubte Handlung zu Lasten Dritter‹). Beim Aufrechnungsausschluss aus § 394 geht es hingegen um ein wirtschaftliches Risiko, das der Bürge gerade tragen soll (arg Sicherungszweck der Bürgschaft, s Vor § 765 Rn 1).

 

Rn 12

Im Einzelfall kann die Berufung (insb des selbstschuldnerischen Bürgen, § 773 I Nr 1) auf § 770 II versperrt (Brandbg BeckRS 14, 17227) oder rechtsmissbräuchlich sein (BGH NJW 66, 2009 f [BGH 22.06.1966 - VIII ZR 50/66]).

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