Leitsatz (amtlich)

Ein Beamter, der wegen Schädigungsfolgen vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden ist und eine sozial nicht gleichwertige Tätigkeit aufnimmt, ist auch dann iS des BVG § 30 Abs 2 S 2 Buchst a besonders beruflich betroffen, wenn sein neues Gesamteinkommen nicht geringer ist als die bei fortdauerndem Beamtenverhältnis zu erwartenden Dienstbezüge.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 2 S. 2 Buchst. a Fassung: 1966-12-28

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 05.04.1977; Aktenzeichen L 6 V 10/75)

SG Münster (Entscheidung vom 29.11.1974; Aktenzeichen S 1 V 44/73)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1977 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Dem 1916 geborenen Kläger wurde wegen verschiedener innerer Leiden Beschädigtenrente, seit 1971 entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vH, zuerkannt. Am 1. April 1972 wurde er als Verwaltungsoberamtsrat in den Ruhestand versetzt. Im selben Monat beantragte er eine Rentenerhöhung wegen besonderen beruflichen Betroffenseins und die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. In dem am 2. Mai 1972 beim Versorgungsamt eingegangenen Fragebogen gab er kein Einkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit an. Das Versorgungsamt stellte die schädigungsbedingte MdE auf 80 vH ab 1. April 1972 fest, weil der Kläger wegen der Schädigungsfolgen vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden sei, keinen sozial gleichwertigen Beruf ausüben könne und deshalb im Sinne des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a Bundesversorgungsgesetz (BVG) besonders beruflich betroffen sei; er habe einen wirtschaftlichen Schaden von 25 vH (Bescheid vom 20. Juni 1972). Außerdem wurde ihm Berufsschadensausgleich zuerkannt (Bescheid vom 6. Juli 1972); dessen spätere Entziehung (Bescheid vom 20. Juli 1973) ist in diesem Verfahren nicht streitig.

Seit dem 24. April 1972 ist der Kläger als Korrektor in einer Verlagsbuchhandlung tätig. Im April 1972 verdiente er 274,40 DM, von Mai 1972 bis April 1973 monatlich zwischen 1.253,67 und 1.997,72 DM brutto. Am 17. Mai 1973 unterrichtete der Kläger das Versorgungsamt über seine neue Beschäftigung; daß er diese wegen des Berufsschadensausgleichs hätte melden müssen, sei ihm jetzt durch Zufall bekanntgeworden. Mit Bescheid vom 20. Juli 1973, berichtigt durch Benachrichtigung vom 14. November 1973, hob das Versorgungsamt gemäß § 42 Abs 1 Nr 3 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die vorausgegangenen Bescheide auf, soweit es durch sie eine Rente nach einer MdE von 80 vH und Berufsschadensausgleich gewährt hatte, setzte die MdE ab 1. April 1972 auf 70 vH fest und forderte die zu Unrecht empfangenen Versorgungsbezüge in Höhe von 3.735,- DM nach § 47 Abs 3 KOVVfG zurück, weil der Kläger der Verwaltung das durch die Beschäftigung seit April 1972 erzielte Einkommen bewußt verschwiegen habe; die Rückzahlung bedeute für ihn keine besondere Härte im Sinne des § 47 Abs 4 KOVVfG; die Schuld wurde daher nicht erlassen und wird - nach dem Bescheid - in monatlichen Raten von 20,- DM von den laufenden Versorgungsbezügen von 235,- DM einbehalten. Der Widerspruch, mit dem der Kläger ein besonderes berufliches Betroffensein mit einem sozialen Abstieg zur arbeiterrentenversicherungspflichtigen Tätigkeit des Korrektors begründete, wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 4. Oktober 1973). Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 20. Juli 1973, des Widerspruchsbescheides und des einzubeziehenden Bescheides vom 21. Januar 1974, dem Kläger ab 1. April 1972 weiterhin Rente nach einer MdE um 80 vH zu gewähren und darüber einen Bescheid zu erteilen (Urteil vom 29. November 1974). Auf die - vom SG zugelassene - Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil der ersten Instanz geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. April 1977): Die Entscheidung über die Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG sei zu Recht aufgehoben worden; denn der Kläger habe die im April 1972 aufgenommene, für diese Neufeststellung wesentliche Tätigkeit im Fragebogen wissentlich verschwiegen. Er sei ungeachtet dessen, daß die Voraussetzungen des Wortlauts des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG gegeben seien, nicht besonders beruflich betroffen. Einen Minderverdienst von wenigstens 20 vH, der die Annahme eines sozialen Abstiegs rechtfertigen könnte, habe er nicht. Zudem sei durch den vorzeitigen Übertritt in den Ruhestand weder der Status des Beamten noch ein entsprechendes Ansehen in der Öffentlichkeit beseitigt oder auch nur beeinträchtigt worden, auch nicht durch die unter solchen Ruhestandsbeamten übliche Tätigkeit. Wenn diese der früheren nicht ganz gleichwertig sei, so berühre dies nicht das subjektive Empfinden des Beamten oder sein Ansehen. Der Kläger sei schließlich nicht durch das Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nachweisbar am weiteren Aufstieg gehindert worden und in solcher Weise im Sinne des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe b (gemeint: c) BVG besonders beruflich betroffen. Eine Beförderung zum Regierungsrat erscheine nach den Gesamtumständen lediglich als möglich, aber nicht als wahrscheinlich. Wegen des wissentlichen Verschweigens habe der Beklagte zu Recht die überzahlten Beträge zurückgefordert. Er habe den Erlaß der Schuld ablehnen dürfen, weil die Rückerstattung in monatlichen Raten keine besondere Härte bedeute.

Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstaben a und c BVG sowie des § 42 Abs 1 und des § 47 Abs 3 KOVVfG. Die Tätigkeit als Korrektor sei nach dem sozialen Ansehen, insbesondere nach beruflicher Macht und Autorität, dem vorzeitig aufgegebenen Beruf eines Oberamtsrats nicht "sozial gleichwertig". Das vorzeitige Ausscheiden aus dem Beamtenberuf belaste den Kläger psychisch stark. Das LSG habe ohne Angabe von Gründen und Erkenntnisquellen angenommen, der Kläger hätte beim Verbleiben im Dienst nicht in die höhere Laufbahn aufsteigen können. Insoweit habe es die §§ 103 und 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Nach allgemeiner Verwaltungspraxis würden bei der Übernahme von Beamten des gehobenen Dienstes in den höheren diejenigen vorgezogen, die durch besondere Leistungen auf sich aufmerksam gemacht hätten, wie Oberamtsräte. Zudem hätten nach allgemeiner Erfahrung solche Aufstiegsbeamte das 50. Lebensjahr überschritten. Das LSG hätte über die Aufstiegsaussichten die Landesversicherungsanstalt, bei der der Kläger beschäftigt war, und den Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger gezielt befragen müssen. Wenn aber die Voraussetzungen für eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstaben a und c BVG gegeben seien, hätte die darüber ergangene Entscheidung nicht aufgehoben werden dürfen. Damit sei auch § 47 Abs 3 KOVVfG ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG als unbegründet zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er findet seine Auffassung zu Recht durch die Gründe des Berufungsurteils bestätigt. Als Verfahrensrüge habe der Kläger keine konkreten Tatsachen über weitere Beförderungsaussichten, die von der Regel abwichen, angegeben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insoweit erfolgreich, als der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

Das LSG hat die angefochtenen Bescheide mit der Begründung bestätigt, die Voraussetzungen für eine neue Entscheidung zuungunsten des Klägers nach § 42 Abs 1 Nr 3 KOVVfG idF des 3. Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) und des 3. Anpassungsgesetzes vom 16. Dezember 1971 (BGBl I 1985) seien gegeben; der Kläger soll die für die Neufeststellung ab April 1972 wesentliche Tatsache, daß er seit dem 24. April 1972 als Korrektor tätig und daß infolgedessen sein Minderverdienst ausgeglichen ist, wissentlich verschwiegen haben und soll entgegen jener MdE-Festsetzung nicht durch die Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs 2 BVG besonders beruflich betroffen sein. Der Weg zu dieser Berichtigung nach § 42 Abs 2 Nr 3 iVm § 43 KOVVfG, dh zur Herabsetzung der MdE von 80 vH auf 70 vH, wäre rechtlich versperrt, falls der Kläger ungeachtet der neuen Beschäftigung als Korrektor weiterhin im Sinne des § 30 Abs 2 BVG besonders beruflich geschädigt wäre. Das ist nicht ausgeschlossen, läßt sich jedoch nicht ohne weitere Sachaufklärung entscheiden, soweit es um eine höhere Bewertung nach § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG geht. Der Beklagte setzte 1972 die MdE auf 80 vH ab 1. April 1972 hauptsächlich deshalb herauf, weil der Kläger wegen der Schädigungsfolgen vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden sei und keinen "sozial gleichwertigen" Beruf ausüben könne. Solange sich an dieser zweiten Voraussetzung nichts ändert, ist aber der Kläger allein wegen der schädigungsbedingten Unfähigkeit, als Oberamtsrat Dienst zu tun, im Sinne des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG besonders beruflich betroffen. Gegenüber dieser Ausgangslage änderten sich die rechtserheblichen Verhältnisse nicht zwangsläufig unter allen Umständen durch die Tätigkeit als Korrektor mit der Folge, daß der Kläger nunmehr nicht besonders beruflich geschädigt wäre. Ob die neue Beschäftigung, die er trotz der Schädigungsfolgen ausüben kann, der Tätigkeit des Beamten im gehobenen Verwaltungsdienst "sozial gleichwertig" ist, hat zwar das Berufungsgericht in Nebensätzen verneint. Aber diese Entscheidung läßt sich nicht durch das Revisionsgericht überprüfen. Das LSG hat nämlich keine Tatsachen ermittelt, die diese Bewertung tragen. Die erforderliche Sachaufklärung darüber muß auf die zugelassene Revision hin auch ohne eine darauf gerichtete Verfahrensrüge dem Berufungsgericht aufgegeben werden (BSG SozR Nr 6 zu § 163 SGG; BSGE 41, 80, 81 = SozR 3100 § 35 Nr 2).

Die Entscheidung über die soziale Wertigkeit der beiden Berufe, auch der Beschäftigung als Korrektor, falls es sich um eine "Nebentätigkeit" handelt, wie das SG meint, ist nicht wegen der rechtlichen Erwägungen überflüssig, von denen sich das LSG hat bestimmen lassen. Falls die neue Beschäftigung der früheren nicht "sozial gleichwertig" ist, darf die Höherbewertung der MdE, eine zwingende gesetzliche Folge, nicht mit der Begründung versagt werden, der Beamtenstatus und das damit verbundene Ansehen in der Öffentlichkeit seien durch den vorzeitigen Übertritt in den Ruhestand nicht beeinträchtigt worden und die neue Beschäftigung sei nicht allzu "minderwertig". Maßgebend und ausreichend für den Anspruch ist vielmehr dann, wenn der neue Beruf keinen Ausgleich geschaffen hat, die Tatsache, daß der Kläger seinen bisherigen nicht mehr ausüben kann und daher aufgeben mußte.

An dieser anspruchsbegründenden Tatsache ändert sich nichts durch Besonderheiten der Beamtenstellung. Ein Beamter - wie der Kläger als Oberamtsrat einer Landesversicherungsanstalt im Land Nordrhein-Westfalen (§ 1326 Reichsversicherungsordnung, § 29 Abs 1, § 90 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften -, § 121 Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG -, § 1 Abs 1 Landesbeamtengesetz - LBG - für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 1970 - GVNW 344) - scheidet mit der Versetzung in den Ruhestand aus seinem Beruf aus. Er gibt nicht allein tatsächlich seinen aktiven Dienst auf. Vielmehr endet auch rechtlich sein Beamtenverhältnis (§ 21 Abs 2 BRRG, § 30 Nr 2 LBG; vgl auch § 35 Bundesbeamtengesetz). Dem stehen gewisse Fortwirkungen dieses Rechtsverhältnisses nicht entgegen: die Versorgung (§ 1 Abs 1, § 2 Nr 1, § 4 Abs 1 und 3, § 14 Abs 1 Beamtenversorgungsgesetz vom 24. August 1976 - BGBl I 2485, 3839 -) sowie die Möglichkeit, bei Wiederherstellung der Dienstfähigkeit auf Antrag oder auf Anforderung des Dienstherrn erneut in das Beamtenverhältnis berufen zu werden; in diesen beiden Fällen wird nach dem Gesetz ein neues Beamtenverhältnis begründet (§ 29 BRRG, §§ 45 und 48 LBG). Daß die Versorgung vom früheren Dienstherrn bezahlt wird, unterscheidet sie von den Renten, die Arbeiter, Angestellte und evtl auch Selbständige aus der Rentenversicherung erhalten. Aber dies rechtfertigt im Hinblick auf § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG keine entsprechende Sonderstellung der Beamten gegenüber den anderen Erwerbstätigen. Bei sonst gleicher Sachlage wie im vorliegenden Fall hat jeder Beschädigte, der schädigungsbedingt seine Arbeit nicht mehr verrichten kann, die Erwerbsfähigkeit für seinen Beruf im Sinne der genannten Vorschrift verloren. Ein dadurch begründeter Anspruch wird auch nicht durch Fortwirkungen des früheren gesellschaftlichen Ansehens rechtlich beeinträchtigt. Im übrigen ist eine solche Kontinuität des sozialen Ranges des Rentners oder Ruhestandsbeamten in tatsächlicher Hinsicht fraglich; denn an die Berufstätigkeit gebundene Umstände wie Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse sowie Verantwortlichkeit, die wesentlich die gesellschaftliche Stellung bestimmen, sind nicht mehr wirksam, und diese Personen können infolge einer regelmäßigen Einkommensminderung ihren früheren Lebensstandard nicht voll aufrechterhalten. Abgesehen davon wird infolge des endgültigen Ausscheidens aus der aktiven Arbeit der zukünftige gesellschaftliche Rang nicht etwa in gleicher Weise wie für den vorausgegangenen, vorübergehenden Vorbereitungs- oder Anwärterdienst (Urteil des erkennenden Senats vom 25. April 1978 - 9 RV 61/77 -) uneingeschränkt von dem Ansehen des früheren Berufs bestimmt.

Eine andere Auslegung des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG folgt nicht etwa aus dem Zusammenhang, in dem diese Vorschrift innerhalb des § 30 BVG steht.

Wenn im Gesamtergebnis das Einkommen nicht gemindert wird, ändert dies nichts an dem Verlust der berufsbezogenen Erwerbsfähigkeit. Im Unterschied zum Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 3 und 4 BVG, der ausschließlich einen wirtschaftlichen Schaden ausgleichen soll, kann durch den Grundrentenanteil, der nach einem besonderen beruflichen Betroffensein bemessen wird (§ 30 Abs 2, § 31 Abs 1 und 2 BVG), als einer gegenüber dem Berufsschadensausgleich selbständigen Leistung (Urteil vom 25. April 1978) auch ein andersartiger Nachteil entschädigt werden.

Daß das besondere berufliche Betroffensein wesentlich eine MdE beschreibt, folgt aus seiner Funktion, eine der Voraussetzungen für die Bemessung der MdE als Rentenmaßstab neben den Beeinträchtigungen im Sinne des § 30 Abs 1 BVG (BSGE 36, 21, 23 = SozR Nr 66 zu § 30 BVG) zu bilden. Dies muß dann auch für jeden der gesetzlichen Einzelfälle gelten, wie sie jetzt beispielhaft ("Das ist besonders der Fall, wenn ...") in Abs 2 Satz 2 geregelt sind; in der Fassung des 1. und des 2. Neuordnungsgesetzes war dies durch die definitorische Formulierung ("Der Beschädigte ist besonders betroffen, wenn ...") noch deutlicher ausgesprochen. In einigen dieser Fälle genügt eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ohne wirtschaftlichen Schaden (Urteil des erkennenden Senats vom 23. November 1977 - 9 RV 72/76 - mN). Dies hat der Gesetzgeber klarstellend ua in § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG festgelegt. Die Verdeutlichung, die an die zuvor in Verwaltungsvorschriften enthaltene Beschreibung einzelner Tatbestände anknüpfte (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu den Entwürfen eines Gesetzes zur Änderung des BVG - BT-Drucks III/957, 1239 und 1262 -, BT-Drucks III/1825, S. 6), ist sinnvoll und zweckmäßig; denn die besondere MdE in bezug auf einen bestimmten Beruf (§ 30 Abs 2 BVG) muß sich von der nach § 30 Abs 1 BVG bemessenen MdE im allgemeinen Erwerbsleben deutlich abheben (BSGE 29, 139, 140, 141 f = SozR Nr 37 zu § 30 BVG; BSG, BVBl 1960, 51), die nach § 30 Abs 1 BVG bestimmte Grundrente soll aber verschiedene Schäden ausgleichen, die schwer zu umgrenzen sind (BSGE 30, 21, 25 = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; BSGE 33, 112, 117 = SozR Nr 43 zu § 62 BVG; BSG SozR 3100 § 30 Nr 13). Wer als Beschädigter seinen vor der Schädigung begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf nachher ausübt, kann auch ohne Einkommensverlust in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sein (§ 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe b BVG). Um wieviel mehr ist die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach Buchstabe a gerechtfertigt, falls der Beschädigte seinen Beruf wegen der Schädigungsfolgen überhaupt nicht mehr ausüben kann, mag er auch keinen meßbaren wirtschaftlichen oder sozialen Schaden haben.

Schließlich entspricht es dem Sinn des Gesetzes, daß derart allein der Verlust der berufsspezifischen Erwerbsfähigkeit den Tatbestand des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG bestimmt. Durch den Grundrentenanteil, der einer Höherbewertung der MdE nach dieser Vorschrift entspricht, soll der Verlust der Erwerbsfähigkeit in einem bestimmten Beruf deshalb ausgeglichen werden, weil der derart betroffene Beschädigte eine wesentliche Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung eingebüßt hat. Gerade für Kriegsbeschädigte, namentlich für Schwerbeschädigte - wie den Kläger - ist die Bewährung im Arbeitsleben entsprechend den verbliebenen Fähigkeiten sehr bedeutsam zur Selbstbestätigung (Abgeordnete Dr. Probst in der 84. Sitzung des Bundestages vom 22.10.1959, 3. Wahlperiode, S. 4516 C f; dazu aus soziologischer Sicht: Dreßen in: Beck/Brater - Hg -, Die soziale Konstitution der Berufe, Bd I, 1977, S. 63, 67 mN).

Für Beschädigte, die vor Erreichen der gesetzlichen oder üblichen Altersgrenze ihren Beruf wegen der Schädigungsfolgen aufgeben müssen, besteht der "besondere" Schaden im Vergleich mit dem regelmäßigen Ablauf des Arbeitslebens allein in dem vorzeitigen Ausscheiden. Obgleich auch viele andere Arbeitskollegen heutzutage aus sonstigen gesundheitlichen Gründen oder wegen wirtschaftlicher Entwicklungen in ihrem Berufsbereich bereits Ende der fünfziger Lebensjahre ihre Erwerbstätigkeit aufgeben müssen, bleibt es allgemein noch bei der Altersgrenze um Mitte der sechziger Lebensjahre. Ob ein besonderes berufliches Betroffensein, das wegen vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben festgestellt wird, ohne wirtschaftlichen Schaden über die gesetzliche oder übliche Altersgrenze hinaus anerkannt bleiben muß (BSGE 36, 21, 24 ff; BSG SozR 3100 § 62 Nr 8), braucht in diesem Verfahren nicht entschieden zu werden. Der vorzeitige Verlust der berufsbezogenen Erwerbsfähigkeit kann sich allerdings für manche insoweit vorteilhaft auswirken, als sie - wie der Kläger 1972/73 - durch eine andere Tätigkeit zu ihrer Rente oder ihrem Ruhegeld etwas hinzuverdienen und dadurch ein höheres Gesamteinkommen erreichen können, als sie sonst aus ihrem früheren Beruf als Arbeitsvergütung hätten. Indes wird durch ein solches Einkommen allein der besondere Berufsschaden iS des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a BVG nicht beseitigt, sofern die neue Berufsarbeit nicht "sozial gleichwertig" ist. Ein höheres Gesamteinkommen als gesunde Berufskollegen können auch berufstätige Beschädigte erzielen, die allein eine nach § 30 Abs 1 BVG bemessene Grundrente erhalten. Zudem kann in manchen Fällen ein verhältnismäßig hoher Verdienst in einem nicht "sozial gleichwertigen" Beruf nur auf Kosten der Gesundheit erreichbar sein, und das ließe ein besonderes Betroffensein nach § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe b BVG fortwirken (BSGE 13, 20 = SozR Nr 8 zu § 30 BVG).

Das Gesamteinkommen des Klägers, das höher ist als seine Dienstbezüge, die er über April 1972 hinaus bei fortbestehendem Beamtenverhältnis erreicht hätte, steht seinem Anspruch auch nicht nach dem Grundsatz des Vorteilsausgleichs entgegen. Bei Verlust der Fähigkeit, den bisherigen Beruf auszuüben, kann ein besonderes berufliches Betroffensein iS der genannten Vorschrift allein durch eine Befähigung zu einem "sozial gleichwertigen" Beruf ausgeschlossen werden. Der erkennende Senat hat bisher in ständiger Rechtsprechung bei Vergleichsberechnungen für § 30 Abs 2 BVG eine Rente aus der Rentenversicherung, die der Beschädigte wegen seiner beruflichen Leistungsminderung bezieht, als nicht anrechenbar beurteilt, weil insoweit ein Vorteilsausgleich im Recht der Kriegsopferversorgung nicht zulässig sei (BSGE 15, 223 = SozR Nr 12 zu § 30 BVG; BSGE 30, 21, 26 f = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; Urteile vom 11. Juni 1970 - 9 RV 416/69 - und vom 8. September 1970 - 9 RV 304/69 -). Ob allgemein an dieser Rechtsprechung festzuhalten und ob sie auf Versorgungsbezüge aus einem Beamtenverhältnis auszudehnen ist oder ob jedenfalls nach endgültigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Rentenversicherung ebenso wie für das Ruhegeld eines Beamten etwas anderes gilt, wie der 10. Senat des Bundessozialgerichts entschieden hat (SozR 3100 § 30 Nr 6; kritisch dazu Urteil des erkennenden Senats vom 23. November 1977 - 9 RV 72/76 -), kann hier dahingestellt bleiben. Der in der Rechtsprechung des erkennenden Senats abgelehnte Rechtsgedanke des Vorteilsausgleichs paßt schlechthin nicht auf Sachverhalte der vorliegenden Art, in denen ein Anspruch nach § 30 Abs 2 BVG - anders als in den vom Senat bisher entschiedenen Fällen - nicht von einer wirtschaftlichen Schädigung abhängt. Nach diesem allgemeinen Rechtsgedanken soll in bestimmten Schadensersatzfällen verhindert werden, daß ein Geschädigter aus demselben Verletzungsvorgang doppelt entschädigt wird; daher ist ein Vorteil, den er anderweitig durch die Schädigung erlangt, auf einen Schadensersatzanspruch anzurechnen. Dieser Vorteilsausgleich entfällt aber im allgemeinen bei Versicherungsleistungen, auch öffentlich-rechtlichen; sie sind nicht anzurechnen, damit der Schadensersatzpflichtige nicht ungerechtfertigt entlastet wird (BGH - GSZ - BGHZ 9, 179, 186 f, 189 ff; BGHZ 21, 112, 116 f, 119 ff; Schmidt in: Emmerich und andere, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, 1972, 465, 598 ff; Fikentscher, Schuldrecht, 6. Aufl 1976, 300 ff). Für eine Anwendung dieser Grundsätze ist dann, wenn - wie hier - der tatbestandsmäßige Schaden nicht in einer Einkommenseinbuße besteht, kein Raum. Wirtschaftlicher Schaden kann wohl ein Anzeichen dafür sein, ob ein neuer Beruf dem zwangsweise aufgegebenen "sozial gleichwertig ist", was noch zu prüfen bleibt. Falls dem Kläger ein Grundrentenanteil wegen besonderen beruflichen Betroffenseins zustände, käme der Anspruch darauf schließlich nicht in direkter oder entsprechender Anwendung des § 65 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 BVG in irgendeiner Höhe, die durch das Zusammentreffen von Beamtenversorgung und Korrektor-Vergütung bestimmt wird, zum Ruhen. Nach den genannten Vorschriften ruht ein Versorgungsanspruch in Höhe einer beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeleistung oder eines Teiles derselben, wenn beide Ansprüche auf derselben Ursache beruhen. Das Ausmaß der Schädigungsfolgen, das zur Versetzung des Klägers in den Ruhestand geführt hat, hätte aber neben einem Anspruch aus § 30 Abs 2 BVG gerade keine zusätzlichen Leistungen der Beamtenunfallfürsorge verursacht.

Ob ein besonderes berufliches Betroffensein durch eine soziale Gleichwertigkeit der Korrektor-Tätigkeit ausgeschlossen wird, läßt sich erst entscheiden, nachdem Genaueres über die jetzige Tätigkeit des Klägers aufgeklärt worden ist. Allgemeine Erfahrungen reichen dafür nicht aus. Nach groben Schichteinteilungen ist der Beruf eines Korrektors nicht als sozial eindeutig geringerwertig gegenüber dem eines gehobenen Verwaltungsbeamten zu beurteilen. Solche Beamte, die vielseitige Aufgaben haben können, sind nach Vorbildung, fachlichen Anforderungen, Einfluß und Einkommen (vgl Blätter zur Berufskunde, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit, Bd 2, 2 - VII D 30, Der gehobene Dienst in der Sozialversicherung; § 4 Abs 3, § 26 Abs 1, § 27 Abs 1 LBG; Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Laufbahn des gehobenen Dienstes bei den Landesversicherungsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. Januar 1963 - MB.NW 77 -; Doubrawa, BABl 1961, 201, 203) der Mittelschicht zuzuordnen (Boetticher in: Reinisch - Hg -, Berufsbilder heute, 1973, 37, 48 ff; Ronneberger und Rödel, Beamte im gesellschaftlichen Wandlungsprozeß, 1977, 19 ff, 33 ff; vgl auch die nachfolgend zitierte soziologische Literatur). Innerhalb der zu den einzelnen Mittelschichten zu rechnenden Bevölkerungsgruppen sind übliche Unterteilungen ebenso unscharf mit fließenden Übergängen wie die Abgrenzung der Mittelschicht insgesamt von der Unterschicht (Bolte/Kappe/Neidhardt in: Bolte ua, Deutsche Gesellschaft im Wandel, Bd 1, 1966, 233, 283 ff, insbesondere 288 ff, 296 ff, besonders unter Hinweis auf Scheuch/Daheim in: Glass/König - HG -, Soziale Schichtung und soziale Mobilität, Sonderheft 5 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, - KZSS -, 1968, 65, 67 ff; Bolte in: Bolte ua, Deutsche Gesellschaft im Wandel, Bd 2, 1970, 330 ff, 343, 348 ff; Pappi, KZSS 1973, 23, 38 f; Hamilton in: Hörning - Hg -, Der "neue" Arbeiter. Zum Wandel sozialer Schichtstrukturen, 1973, 66 ff; Claessens/Klönne/Tschoepe, Sozialkunde der Bundesrepublik Deutschland, 1974, 314, 317; zu einzelnen Berufen: Bolte, Sozialer Aufstieg und Abstieg, 1959, 38 f, 42, 92). Gerade für Korrektoren ist die Schichtzuordnung zu problematisch, um allgemein ihren Abstand zu den gehobenen Verwaltungsbeamten eindeutig bestimmen zu können. Sie können je nach ihrer Tätigkeit im einzelnen Arbeiter oder Angestellte sein (BSG, Urteilssammlung für die gesamte Krankenversicherung - USK - 1970, 7029; 1972, 72142; 1973, 73131). Allgemein nähern sich viele Arbeitergruppen in der sozialen Stellung den Angestellten an (Pirker in: Reinisch, aaO, 14 ff). Im Unterschied zu den übrigen Druckereifacharbeitern, aus deren Kreisen die Korrektoren stammen können, müssen sie sich durch besondere Sprachkenntnisse und -fertigkeiten auszeichnen und für abschließende Kontrollen gedruckter Texte eignen (Blätter zur Berufskunde, Bd 1, 1 - III E 203, Schriftsetzer, insbesondere S. 4 f, 8, 9). Aber diese beruflichen Anforderungen besagen nicht genug für eine klare Schichtzuordnung. Korrektoren können im öffentlichen Dienst als Angestellte bis zur Vergütungsgruppe IV b aufsteigen (Tarifvertrag für die Angestellten der Bundesdruckerei vom 24. Juli 1961/16. März 1974), mithin in eine Stellung, die der gehobenen Beamtenlaufbahn entspricht (vgl § 11 BAT). In den Funktionen kann auch eine weitere Gemeinsamkeit eintreten. Bei einigen obersten Bundesgerichten (zB Bundesarbeitsgericht und Bundesverwaltungsgericht) gehört zu den wichtigen Pflichten der Beamten des gehobenen Dienstes, soweit sie Senatsgeschäftsstellen leiten, das "redaktionelle Lesen" der Urteile und bestimmter Arten von Beschlüssen, also eine Tätigkeit, die derjenigen von Korrektoren entsprechen kann.

Das LSG muß noch genauere Einzelheiten über die neue Beschäftigung des Klägers aufklären und sodann das Ergebnis mit der sozialen Einordnung der früheren Rechtsstellung als Oberamtsrat vergleichen. Dabei sind die rechtlichen Gesichtspunkte zu beachten, die der Senat in den Urteilen vom 9. Februar 1978 - 9 RV 46/77 - und vom 25. April 1978 - 9 RV 61/77 - für den Vergleich von Berufen modellhaft als rechtserhebliche Maßstäbe herausgestellt hat. Das Ausmaß eines Einkommensunterschiedes, den das Berufungsgericht feststellt (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 25. April 1978 - 9 RV 61/77 -), wird es gegen den Grad eines sozialen Abstieges nach anderen Umständen abzuwägen haben. Je geringer der Unterschied im wirtschaftlichen Bereich ist, desto bedeutsamer können sonstige Faktoren für soziale Rangdifferenzen sein.

Außerdem sollte das LSG bei der abschließenden Entscheidung, die auch die Kosten des Revisionsverfahrens einschließt, das Vorbringen des Klägers zur schädigungsbedingten Verhinderung eines Aufstiegs in den höheren Dienst (vgl dazu § 40 LBG; Blätter zur Berufskunde, 2 - VII D 30, S. 42 f), beachten.

Falls der Klage stattgegeben wird, genügt die Teilaufhebung des angefochtenen Berichtigungsbescheides und des Widerspruchsbescheides, um die Rechtslage entsprechend dem Bescheid über die Rentenerhöhung nach § 30 Abs 2 BVG wiederherzustellen (BSG SozR Nr 7 zu § 123 SGG); andererseits müßten alle nachträglich ergangenen Bescheide, in denen die MdE auf 70 vH festgesetzt worden ist, entsprechend geändert werden.

 

Fundstellen

BSGE, 250

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