Leitsatz (amtlich)

Ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des BVG § 30 liegt auch dann vor, wenn ein Beschädigter zwar seinen früheren Beruf trotz der Schädigung weiter ausübt und auch keinen Minderverdienst gegenüber gesunden Angehörigen dieses Berufs hat, seine Arbeit jedoch nur unter außergewöhnlicher Energie und unter Gefährdung seiner Gesundheit weiter verrichten kann.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Daß auch die Neufassung des BVG § 30 durch das 1. NOG nur eine Auslegung der ursprünglichen Fassung dieser Vorschrift darstellt, geht daraus hervor, daß nunmehr lediglich ein Teil der Verwaltungsvorschriften neu in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen worden ist und damit die Auslegung, welche die Vorschrift ohnehin schon durch die Verwaltung erfahren hatte, allgemeinverbindliche Gesetzeskraft erlangt hat.

2. Ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse infolge Verschlimmerung der Schädigungsfolgen durch das Versorgungsamt anerkannt worden, so ist dieses nach BVG § 62 Abs 1 nicht nur zu einer der Verschlimmerung entsprechenden Erhöhung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern darüber hinaus auch uneingeschränkt zu einer Neufeststellung und damit auch zur Erhöhung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins berechtigt (vgl Entscheidungen des Reichsversorgungsgerichts Bd 5, 24,31, und BSG 1960-05-24, 10 RV 294/56).

 

Normenkette

BVG § 30 Fassung: 1960-06-27, § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 26. Oktober 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Das Versorgungsamt B hatte durch Bescheid vom 25. September 1952 dem Kläger vom 1. November 1952 an wegen umfangreicher Operationsnarben im Rücken und in der Lendengegend Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 30 v.H. gewährt. Im Juli 1953 stellte der Kläger den Antrag, die Rente wegen einer Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen zu erhöhen. Nach Beiziehung eines chirurgischen Gutachtens lehnte das Versorgungsamt die beantragte Neufeststellung der Versorgungsbezüge ab. Mit seinem gegen den ablehnenden Bescheid gerichteten Widerspruch begehrte der Kläger, daß ihm wegen zunehmender Nervenschmerzen im Bereich der Operationsnarben Versorgungsrente nach einer MdE. um 50 v.H. gewährt werde. Das Landesversorgungsamt erkannte nach Einholung eines neurologischen Gutachtens durch Widerspruchsbescheid vom 13. September 1954 "große Hautmuskelnarben im Bereich der linksseitigen langen Rückenmuskulatur und linksseitigen Bauchwandmuskulatur, Neigung zu Nervenschmerzen und zu Geschwürsbildung im Bereich der Rückennarbe" als Schädigungsfolgen an. Es wies das Versorgungsamt an, dem Kläger wegen dieser Schädigungsfolgen vom 1. Juli 1953 an Versorgungsrente nach einer MdE. um 40 v.H. zu zahlen; im übrigen hatte der Widerspruch keinen Erfolg.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG.) Bremen durch Urteil vom 16. Juni 1955 dem Kläger Versorgungsrente nach einer MdE. um 50 v.H. vom 1. Juli 1953 an zugesprochen. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG.) nach Anhörung des Klägers und des ärztlichen Sachverständigen Dr. W durch Urteil vom 26. Oktober 1955 als unbegründet zurückgewiesen.

In Übereinstimmung mit dem SG. ist das LSG. von der Feststellung ausgegangen, die durch die Schädigungsfolgen verursachte MdE. des Klägers betrage im allgemeinen Erwerbsleben nur 40 v.H. Der Kläger sei jedoch durch die Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen, so daß der Grad der MdE. um 10 v.H. höher zu bewerten sei. Zwar sei der Kläger trotz der Schädigungsfolgen als Kolonnenführer noch in dem vor der Schädigung ausgeübten Beruf eines Schiffsschlossers tätig; es sei bei ihm auch kein Minderverdienst eingetreten. Das besondere berufliche Betroffensein sei jedoch darin zu erblicken, daß der Kläger nur durch besonderen Energieaufwand und unter Gefährdung seiner Gesundheit den Beruf des Schiffsschlossers weiter ausüben könne, wie aus seinen häufigen Erkrankungen und Unfällen hervorgehe. Dieser Beruf verlange eine besonders angespannte Tätigkeit des gesamten Körpers. Daß der Kläger trotz der Stellung als Kolonnenführer noch grobe körperliche Arbeit in seinem Beruf leisten müsse, werde durch seine verarbeiteten und verschwielten Handflächen und den Zustand seiner Armmuskulatur bewiesen. Bei diesen beruflichen Anforderungen wirke sich die Verletzung des Klägers, die nach den beigezogenen ärztlichen Gutachten zu einer allseitigen deutlichen Bewegungseinschränkung des Rumpfes geführt habe, sehr viel nachteiliger aus als in einem Beruf mit geringeren körperlichen Anstrengungen und führe zu einer Vermehrung der ohnehin bestehenden Nervenreizung, so daß der Kläger sich nur unter Aufwendung besonderer Energie und unter Gefährdung seiner Gesundheit in seinem Beruf halten könne. Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 9. März 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. April 1956 Revision eingelegt und beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG. Bremen vom 16. Juni 1955 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt in erster Linie eine Verletzung des § 30 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und meint, eine besondere berufliche Beeinträchtigung durch Schädigungsfolgen sei dann nicht gegeben, wenn ein Beschädigter in dem vor der Schädigung ausgeübten Beruf nicht nur weiterhin tätig, sondern in diesem Beruf sogar aufgestiegen sei und keinen wirtschaftlichen Verlust erlitten habe. Die Feststellung, daß der Kläger nur unter besonderem Energieaufwand und unter Gefährdung seiner Gesundheit seinen schweren Beruf ausüben könne, sei zudem unter Verletzung der Grundsätze der Beweiswürdigung (§ 128 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und unter Verletzung der die Sachaufklärung regelnden Verfahrensvorschriften (§ 103 SGG) getroffen worden. Der in der mündlichen Verhandlung gehörte ärztliche Sachverständige Dr. Wex, dem das LSG. bei dieser Feststellung gefolgt sei, habe im Widerspruch zum eigenen Vortrag des Klägers angenommen, daß dieser auch als Kolonnenführer schwere körperliche Arbeit verrichten müsse und sich in einem fast dauernden, durch die anerkannten Schädigungsfolgen verursachten Schmerzzustand befinde. Da die Arbeitgeberin den Kläger als vollwertige Arbeitskraft bezeichnet habe, hätte sich das LSG. zu einer nochmaligen Anfrage bei der Arbeitgeberin über seinen Arbeitseinsatz gedrängt fühlen müssen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Ansicht, daß dem LSG. auch keine Verfahrensfehler unterlaufen seien.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 Abs. 1 SGG) und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das LSG. ist mit Recht davon ausgegangen, daß im vorliegenden Falle die Neufeststellung der Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nicht ausgeschlossen war. Durch die von der Beklagten anerkannte Verschlimmerung der Schädigungsfolgen war eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die nach § 62 Abs. 1 BVG nicht nur zu einer der Verschlimmerung entsprechenden Erhöhung des Grades der MdE., sondern darüber hinaus auch uneingeschränkt zu einer Neufeststellung und damit auch zur Erhöhung des Grades der MdE. wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins berechtigte (vgl. RVGer. 5 S. 24 (31) und das Urteil des erkennenden Senats vom 24.5.1960 - 10 RV 294/56 -).

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten Beruf als Schiffsschlosser besonders betroffen und die MdE. bei ihm deshalb höher zu bewerten ist.

Nach § 30 BVG ist die MdE. grundsätzlich nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; jedoch hat das BVG stets Vorschriften enthalten, nach denen auch der Beruf des Beschädigten unter Umständen bei der Bewertung des Grades der MdE. besonders zu berücksichtigen ist. Der Wortlaut dieser Vorschriften ist mehrfach geändert worden. Nach der ursprünglichen Fassung des § 30 BVG, welche die Vorinstanzen ihrer Entscheidung zugrundegelegt haben, war bei der Bewertung des Grades der MdE. der vor der Schädigung ausgeübte Beruf und eine bereits begonnene oder nachweisbar angestrebte Berufsausbildung zu berücksichtigen. § 30 BVG in der Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 - BGBl. I S. 463 - enthielt die ausdrückliche Vorschrift, daß die MdE. höher zu bewerten ist, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf besonders betroffen wird. In der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 - BGBl. I S. 453 - ist diese Vorschrift dahin ergänzt worden, daß der Beschädigte besonders betroffen ist, wenn er infolge der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder den nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann, oder wenn er zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist oder infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist. Zweck dieser verschiedenen Fassungen ist es, sicherzustellen, daß im Einzelfall die Art der Schädigungsfolgen auch bei einem Beschädigten, der seinen vor der Schädigung ausgeübten Beruf weiter ausübt, dann besonders berücksichtigt wird, wenn die Bewertung der Körperschäden nach allgemeinen Grundsätzen, also im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben, nicht ausreicht, um die Nachteile auszugleichen, die dem Beschädigten aus der Schädigung in dem ausgeübten Beruf erwachsen sind (vgl. BSG. in BVBl. 1960 S. 51; van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV. Teil S. 17). Verfolgen hiernach die verschiedenen Fassungen derselben Vorschrift des Gesetzes ein einheitliches Ziel, so ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber mit den verschiedenen Fassungen nicht jeweils neu bestimmen wollte, in welcher Weise nunmehr der Beruf eines Beschädigten bei der Bewertung der MdE. zu berücksichtigen ist, sondern daß er mit den neuen Fassungen nur zum Ausdruck bringen wollte, wie diese Vorschrift schon in der ursprünglichen Fassung auszulegen war (vgl. BSG. in BVBl. 1960 S. 51 zur Fassung des § 30 BVG nach der 5. Novelle mit weiteren Nachweisen). Daß auch die Neufassung des § 30 durch das erste Neuordnungsgesetz nur eine Auslegung der ursprünglichen Fassung dieser Vorschrift darstellt, geht daraus hervor, daß nunmehr lediglich ein Teil der Verwaltungsvorschriften neu in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen worden ist und damit die Auslegung, die die Vorschrift ohnehin schon durch die Verwaltung erfahren hatte, allgemeinverbindliche Gesetzeskraft erlangt hat.

Demnach ist die MdE. eines Beschädigten, unabhängig davon, in welcher Fassung der § 30 BVG jeweils zur Anwendung zu kommen hat, dann höher zu bewerten, wenn dieser zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf erreicht hat, aber in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht nur dann erfüllt, wenn ein Beschädigter auf Grund der vorhandenen Schädigungsfolgen in dem früheren Beruf, den er trotz der Schädigung weiter ausübt, einen gegenüber gesunden Angehörigen dieses Berufes erheblichen Minderverdienst hat. Vielmehr ist auch derjenige, der seinen Beruf nach der Schädigung weiter ausübt, dann besonders betroffen, wenn er eine außergewöhnliche Tatkraft aufwenden und außergewöhnliche Anstrengungen machen muß, um einen wirtschaftlichen Schaden und ein Abgleiten in seinem Beruf zu verhindern. Ein solches besonderes berufliches Betroffensein liegt also auch dann vor, wenn ein Beschädigter den früheren Beruf nur unter Gefährdung seiner Gesundheit weiter ausüben kann (ebenso Wilke im Bericht über die zweite versorgungsrechtliche Arbeitstagung des BAM. in KOV. 1956 S. 1 ff.; van Nuis-Vorberg a.a.O. S. 26; Roeckner-Bluschke, § 30 BVG Anm. 5 b). Diese Voraussetzungen sind nach den - von der Beklagten ohne Erfolg angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt, daß der Kläger den Beruf des Schiffsschlossers nur unter besonderem Energieaufwand und unter Hinnahme von Schmerzen und damit verbundenen häufigen Arbeitsunfällen und Krankheiten ausführen kann.

Die Revision ist zwar der Auffassung, das LSG. hätte sich gedrängt fühlen müssen, durch eine nochmalige Anfrage bei der Arbeitgeberin des Klägers über dessen Arbeitseinsatz den Sachverhalt weiter aufzuklären, bevor es diese Feststellungen treffen durfte. Die hierin liegende Rüge der mangelnden Sachaufklärung stellt jedoch kein Vorbringen zulässiger und begründeter Revisionsgründe gegen die vom LSG. getroffenen Feststellungen dar und ist daher nicht geeignet, die nach § 163 SGG eingetretene Bindung des Senats an diese Feststellungen zu beseitigen. Nach § 103 SGG haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen der Beteiligten oder an Beweisanträge gebunden zu sein. Das LSG. hatte mithin im Rahmen seines richterlichen Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen zu bestimmen, die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig waren. Dieses Ermessen war durch die in § 103 SGG festgelegte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt. Für die Frage, ob das LSG. seine durch § 103 SGG begründete Aufklärungspflicht verletzt hat, kommt es somit darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem LSG. z.Zt. der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von dessen sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das LSG. zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (BSG. in SozR. SGG § 103 Bl. Da 2 Nr. 7 und § 162 Bl. Da 3 Nr. 20). Gegen diese Grundsätze der Aufklärungspflicht hat das Berufungsgericht nicht verstoßen.

Die Revision will offenbar vortragen, das LSG. hätte sich gedrängt fühlen müssen, weiter aufzuklären, ob der Kläger trotz der Behinderung durch die Schädigungsfolgen noch eine vollwertige Arbeitskraft ist oder nicht. Sie verkennt hierbei jedoch, daß es auf diese Feststellung nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht ankam. Das LSG. ist zutreffend davon ausgegangen, daß ein Beschädigter in seinem Beruf auch dann besonders betroffen sein kann, wenn er diesen Beruf noch als vollwertige Arbeitskraft ausübt, jedoch diese volle Arbeitsleistung wegen der vorhandenen Schädigungsfolgen nur unter besonderem Energieaufwand und unter Gefährdung der Gesundheit vollbringen kann. Falls die Revision vortragen will, das LSG. hätte sich gedrängt fühlen müssen, allgemein eine weitere Aufklärung über die Wirkung der Schädigungsfolgen auf den Arbeitseinsatz des Klägers vorzunehmen, fehlt es an der in § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG für Verfahrensrügen geforderten Bezeichnung der Tatsachen, die den Verfahrensmangel ergeben sollen. Die Revision läßt nicht erkennen, was das LSG. bezüglich der Wirkung der vorhandenen Schädigungsfolgen auf den Arbeitseinsatz des Klägers noch hätte feststellen sollen und können, nachdem es festgestellt hatte, daß der Kläger trotz der Schädigungsfolgen inzwischen Führer einer kleinen Kolonne von Schiffsschlossern geworden ist, daß er verhältnismäßig häufig auf Grund der Schädigungsfolgen arbeitsunfähig erkrankt war und daß er bei seiner Arbeit mehrfach Unfälle erlitten hat. Auch insoweit liegt daher ein zulässiger und begründeter Revisionsgrund gegen die Feststellungen des LSG. nicht vor.

Die Revision ist ferner der Ansicht, das LSG. habe die Feststellungen, der Kläger könne den Beruf des Schiffsschlossers nur unter Aufwendung besonderer Energie und unter Hinnahme von Schmerzen, häufigen Unfällen und Erkrankungen ausüben, unter Verletzung der für die Beweiswürdigung geltenden Grundsätze des § 128 SGG getroffen. Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; sie haben im Urteil die Gründe anzugeben, die für ihre richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn ein Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat. Insoweit kommt insbesondere ein Verstoß gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze in Betracht (BSG. 2 S. 236 (237)).

Die Revision sieht eine fehlerhafte Beweiswürdigung darin, daß das LSG. bei der Feststellung, der Kläger könne den Beruf des Schiffsschlossers nur unter Aufwendung besonderer Energie und unter Hinnahme von Schmerzen, Erkrankungen und Unfällen ausüben, dem Gutachten des in der mündlichen Verhandlung gehörten ärztlichen Sachverständigen Dr. Wex gefolgt sei. Dieser sei zu seinen Feststellungen aber dadurch gelangt, daß er zu Unrecht angenommen habe, der Kläger leide auf Grund der schweren und angestrengten Tätigkeit als Schiffsschlosser unter einem dauernden Schmerzzustand. Im Widerspruch zu dieser Annahme habe der Kläger bei der versorgungsärztlichen Untersuchung am 21. September 1953 selbst angegeben, daß er am Tage bei der Arbeit nichts merke und die Schmerzen erst anfingen, wenn er zur Ruhe komme; er habe ferner in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, daß er als Kolonnenführer in der Regel keine schweren Arbeiten mehr verrichten müsse. Soweit sich dieser Angriff der Revision dagegen richtet, daß der Sachverständige und mit ihm das LSG. entgegen dem früheren Vortrag des Klägers angenommen haben, der Kläger leide auf Grund der vorhandenen Schädigungsfolgen bei Verrichtung seiner Arbeit als Schiffsschlosser unter dauernden Schmerzzuständen, verkennt sie, daß bei der Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen Dr. W mehr als zwei Jahre vergangen waren, seit der Kläger erklärt hatte, bei seiner Arbeit merke er nichts und die Schmerzen fingen erst an, wenn er zur Ruhe komme. In der Zwischenzeit hatte die Beklagte selbst eine Neigung zu Nervenschmerzen im Bereich der Rückennarbe als Schädigungsfolge anerkannt. Darüber hinaus widerspricht es nicht der Erfahrung des täglichen Lebens, daß der Sachverständige Dr. W auf Grund eigener Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt ist, daß im Zeitpunkt seiner Untersuchung beim Kläger ein dauernder Schmerzzustand, also nicht nur ein Schmerzzustand bei häuslicher Ruhe, vorlag.

Auch soweit sich der Angriff der Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts richten sollte, dieser dauernde Schmerzzustand sei durch schwere und angespannte berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht, ist er nicht geeignet, einen Mangel in der Beweiswürdigung darzutun. Insoweit bestreitet die Revision nicht, daß der Beruf des Schiffsschlossers im allgemeinen eine schwere und angespannte Tätigkeit des gesamten Körpers erfordert. Sie ist lediglich der Auffassung, das LSG. habe auf Grund der eigenen Einlassung des Klägers zu der Überzeugung gelangen müssen, daß der Kläger in seiner Stellung als Kolonnenführer keine schwere körperliche Arbeit mehr zu verrichten brauche. Insoweit verkennt die Revision jedoch, daß der Kläger sich nur dahin eingelassen hatte, er brauche in seiner Stellung als Kolonnenführer "in der Regel" keine schwere Arbeit mehr zu leisten, aber nicht gesagt hatte, er brauche überhaupt keine schwere körperliche Arbeit mehr zu leisten. In Anbetracht des Umstandes, daß die vom Kläger geführte Kolonne nur aus zwei weiteren Schiffsschlossern besteht, entspricht es der Erfahrung des täglichen Lebens, daß das LSG. sich auf Grund der vom ärztlichen Sachverständigen erhobenen Befunde über Muskelbildung und Beschwielung davon überzeugt hat, der Kläger müsse trotz seiner Stellung als Kolonnenführer noch schwere Arbeiten in einem solchen Umfange verrichten, daß dadurch eine dauernde Reizung der Narben und ein dauernder Schmerzzustand hervorgerufen wird. Seine Stellung als Kolonnenführer stellt lediglich eine innerbetrieblich herausgehobene Tätigkeit in dem Beruf des Schiffsschlossers dar.

Die gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG. gerichteten Angriffe der Revision konnten hiernach keinen Erfolg haben, so daß der Senat nach § 163 SGG seiner Entscheidung die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zugrunde legen mußte, nach denen der Kläger den bereits vor der Schädigung ergriffenen Beruf des Schiffsschlossers auf Grund der anerkannten Schädigungsfolgen nur unter Aufwendung besonderer Energie und nur unter Hinnahme von Schmerzen und damit verbundenen häufigen Erkrankungen und Unfällen weiter ausüben kann. Hieraus haben die Vorinstanzen mit Recht gefolgert, daß der Kläger seinen Beruf auf Grund der vorhandenen Schädigungsfolgen nur unter Gefährdung seiner Gesundheit ausüben kann. Dieser Sachverhalt erfüllt, wie bereits oben ausgeführt wurde, den Begriff des besonderen beruflichen Betroffenseins (§ 30 BVG).

Demnach haben das SG. und das LSG. mit Recht die nach den nicht angegriffenen Feststellungen im allgemeinen Erwerbsleben 40 v.H. betragende MdE. höher - mit 50 v.H. - bewertet. Die Revision der Beklagten war daher nach § 170 Abs. 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 20

NJW 1960, 2262

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