Rz. 129

Kommen für eine betriebsbedingte Kündigung mehrere Arbeitnehmer in Betracht, muss der Arbeitgeber einen dieser Arbeitnehmer als Kündigungsadressaten auswählen. Die inhaltlichen Leitlinien für diese Auswahlentscheidung sind in § 1 Abs. 3 KSchG normiert. Führt der Arbeitgeber die Sozialauswahl fehlerhaft oder gar nicht durch, ist dies unbeachtlich, solange er "zufällig" dem sozial schwächsten Arbeitnehmer gekündigt hat.[308]

Im Übrigen gilt Folgendes: Eine fehlerhafte Auswahlentscheidung bewirkt bei einer Mehrzahl von Kündigungen nicht zwingend die Unwirksamkeit aller Kündigungen gegenüber sozial schwächeren Arbeitnehmern. Kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess aufzeigen, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch bei richtiger Sozialauswahl zur Kündigung angestanden hätte, ist die Kündigung nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam (sog. "eingeschränkte Kausalitätsprüfung").[309]

 

Rz. 130

Prüfungssystematik:

Eine betriebsbedingte Kündigung ist trotz des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse (vgl. Rdn 59 ff.) sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Entscheidung, welchen oder welche Arbeitnehmer er entlässt, soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt (siehe Rdn 129 ff.), § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG. Die Überprüfung der Auswahlentscheidung erfolgt in drei Schritten.
Zunächst wird der Kreis der vergleichbaren und deshalb für eine Sozialauswahl in Betracht kommenden Arbeitnehmer ermittelt (vgl. Rdn 133). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten und Kenntnisse (siehe unten Rdn 134 ff.) sowie nach dem Inhalt seines Arbeitsvertrages die Tätigkeit ausführen (vgl. Rdn 137 ff.) kann und diese derselben Ebene in der Betriebshierarchie zuzuordnen ist (siehe unten Rdn 142).
Im zweiten Schritt wird die eigentliche Sozialauswahl (im engeren Sinne) vorgenommen (siehe Rdn 144 ff.), die nach sozialen Gesichtspunkten ausgerichtet ist (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG) ist.
Im dritten Schritt wird geprüft, ob an sich einzubeziehende, weniger schutzwürdige Arbeitnehmer deshalb nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, weil deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (vgl. Rdn 159 ff.), § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG (sog. Leistungsträgerregelung). Diese Prüfung erfolgt grundsätzlich nur betriebsbezogen (vgl. Rdn 131 ff.).
Bei namentlicher Nennung des Arbeitnehmers in einem Interessenausgleich kann die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (siehe unten Rdn 152 ff.). Entsprechendes gilt, wenn für den Betrieb sog. Auswahlrichtlinien bestehen (siehe auch Rdn 166).

1. Betriebsbezug

 

Rz. 131

Die soziale Auswahl ist betriebsbezogen ausgestaltet[310] (vgl. zum Betriebsbegriff Rdn 25 ff.). Arbeitnehmer, die in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder gar in einem anderen Konzernunternehmen beschäftigt sind, werden bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigt. Der Auswahlkreis ist innerhalb eines Betriebes nicht auf die betroffene Betriebsabteilung beschränkt, sondern bezieht sich auf den gesamten Betrieb.[311] Das bedeutet, dass z.B. bei einem Reinigungsunternehmen, das Reinigungskräfte in verschiedenen Reinigungsobjekten einsetzt, die Sozialauswahl auf alle vergleichbaren Arbeitnehmer objektübergreifend zu erstrecken ist.[312] Auch bei beabsichtigter Teilbetriebsstilllegung und Teilbetriebsübergang ist eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl durchzuführen, einschließlich des Betriebsteils, der übergehen soll.[313] Allerdings ist ein Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG nur ein im Gebiet der Bundesrepublik gelegener Betrieb. Der Arbeitnehmer kann sich also zur Begründung der Sozialwidrigkeit der Kündigung nicht auf einen freien Arbeitsplatz im Ausland berufen.[314] Auch wenn in den Arbeitsverträgen der betroffenen Arbeitnehmer ein unternehmensweites Versetzungsrecht vereinbart ist, ist die Sozialauswahl auf den Betrieb zu begrenzen, in dem das betriebliche Erfordernis, etwa die Personalstärke dem gesunkenen Arbeitsanfall anzupassen, besteht.[315]

 

Rz. 132

Zu einer unternehmensübergreifenden Sozialauswahl kommt es ausnahmsweise, wenn die Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebes vorliegen[316] (siehe hierzu Rdn 31 ff.). Eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl ist nicht vorzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung der eine der beiden Betriebe, die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, aber aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung, die schon greifbare Formen angenommen hat, feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird.[317] Im öffentlichen Dienst erfolgt die Sozialauswahl Die...

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