Rz. 152

Bei Kündigungen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG kann nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG die Sozialauswahl bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG (dazu ausführlich siehe Rdn 116 ff.) nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Nach der Rspr. des BAG bezieht sich die Beschränkung der Prüfungsmöglichkeit nicht nur auf die Sozialindikatoren und deren Gewichtung, sondern auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppe.[386] Der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit bezieht sich auch auf die Gründe für die Ausklammerung einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG.[387] Diese Frage wird jedoch erst dann relevant, wenn der gekündigte Arbeitnehmer darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass ein vergleichbarer, aber nicht namentlich benannter Arbeitnehmer nach den Sozialkriterien weniger schutzwürdig wäre. Selbst wenn die Namensliste auf einem AGG-widrigen Sozialplan beruht, bleibt die Vermutung für den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses und das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit erhalten.[388]

 

Rz. 153

Grob fehlerhaft ist die soziale Auswahl nur dann, wenn die Gewichtung der sozialen Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung jede Ausgewogenheit vermissen lässt, das heißt wenn einzelne Sozialdaten überhaupt nicht, eindeutig unzureichend oder mit eindeutig überhöhter Bedeutung berücksichtigt wurden.[389] Nach der Rspr. des BAG ist aus Gründen der Rechtssicherheit der Beurteilung der Betriebspartner für die Richtigkeit der Auswahl eine hohe Präferenz einzuräumen.[390] So ist es z.B. nicht zu beanstanden, wenn die Betriebspartner in einem Interessenausgleich bei der Berücksichtigung der sozialen Kriterien das Schwergewicht auf die Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer legen und die anderen Sozialkriterien geringer bewerten. Das Gesetz legt nicht fest, wie die vier Sozialdaten (Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung) gegeneinander zu gewichten sind.

 

Rz. 154

Insbesondere kommt der Betriebszugehörigkeit keine Priorität zu.[391] Bei in etwa gleichlanger Betriebszugehörigkeit führt der Umstand, dass ein Ehepartner arbeitslos ist, bei einem anderen Arbeitnehmer der Ehepartner aber berufstätig, jedenfalls dann nicht zu einer groben Fehlerhaftigkeit i.S.v. § 1 Abs. 5 KSchG, wenn der Ehepartner zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Arbeitslosenunterstützung bezieht und damit ebenfalls tatsächlich zum Lebensunterhalt beiträgt.[392] Dementsprechend liegen die Voraussetzungen der groben Fehlerhaftigkeit noch nicht vor, wenn zwei Arbeitnehmer in etwa eine gleichlange Betriebszugehörigkeit aufweisen, der eine Arbeitnehmer aber 35 Jahre alt und sein Ehepartner arbeitslos, der andere Arbeitnehmer 25 Jahre alt und der Ehepartner berufstätig ist. In der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen führt nach der Rspr. des BAG der Altersunterschied allein nicht zu einem erheblichen Unterschied in der sozialen Schutzbedürftigkeit. Die Entscheidung für den 25-jährigen Arbeitnehmer ist nicht grob fehlerhaft.[393] Es ist auch zulässig, der Beschäftigungszeit und den Unterhaltsverpflichtungen ein deutlich stärkeres Gewicht einzuräumen als dem Lebensalter.[394]

 

Rz. 155

Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG sozialwidrig, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess die soziale Auswahl nicht oder nicht ordnungsgemäß rügt, indem er z.B. nur das Unterbleiben der Sozialauswahl beanstandet oder wenn schon nach seinem eigenen Sachvortrag im Ergebnis keine Verletzung sozialer Gesichtspunkte vorliegt. Dann ist auch unerheblich, inwieweit der Arbeitgeber sich im Kündigungsschutzprozess auf soziale Auswahlüberlegungen stützen kann, die er nicht dem Betriebsrat im Rahmen der Beteiligung nach § 102 BetrVG mitgeteilt hat.[395] Die Grundsätze der abgestuften Darlegungslast (vgl. Rdn 149) gelten unverändert auch für die gerichtliche Überprüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit.[396] Insbesondere genügt der Arbeitnehmer nicht durch ein pauschales Auskunftsverlangen seiner Darlegungslast. Durch das Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers geht allerdings die Darlegungslast auf den Arbeitgeber über. Es reicht aber, wenn dieser darlegt, dass bestimmte Arbeitnehmer nicht vergleichbar sind. Dann ist es wiederum Sache des Arbeitnehmers aufzuzeigen, dass eine grob fehlerhafte Auswahl vorliegt.[397]

 

Rz. 156

Auch wenn ein Arbeitnehmer in einer Namensliste aufgenommen worden ist, kann er im Kündigungsschutzprozess gem. § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG verlangen, dass der Arbeitgeber die Gründe angibt, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Dazu gehören gegebenenfalls auch die betrieblichen Interessen, die den Arbeitgeber zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG veranlasst haben. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nach, ist die streitige Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen. Auf d...

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