Kolumne Talent Management: Fehler bei der Initiativbewerbung

Es gibt sie noch - trotz Fachkräftemangel: die Initiativbewerbung. Doch Unternehmen wissen sie immer noch nicht zu schätzen. Und Bewerber beachten oft immer noch nicht, wie man sie gut einsetzt. Das weiß Kolumnist Martin Claßen aus eigener Erfahrung.

Eigentlich hat sich der Arbeitsmarkt längst gedreht, zumindest bei Spitzenkräften und selbst für das Mittelfeld. Im Zeitalter des Talent Managements preisen sich Kandidaten nicht mehr bei Unternehmen an, sondern diese suchen händeringend nach geeigneten Arbeitsvertragsunterzeichnern. Erstaunlicherweise gibt es jedoch nach wie vor Bewerber mit einem zumindest der Papierform nach hochattraktiven Lebenslauf, die von sich aus mittels Initiativbewerbung auf mögliche Arbeitgeber zugehen.

Streuverluste bei der Stellensuche

Früher nannte man Initiativbewerbungen noch Blindbewerbungen. Das klingt aber wenig engagiert und ist zudem nicht mehr politisch korrekt. Als trendy galt dann einige Zeit die anonymisierte Initiativbewerbung. Doch dabei blieb das angeschriebene Unternehmen gleich doppelt ratlos zurück: Was wollte der, die, das eigentlich von uns? Wer steckte hinter diesem Anonymus? Deswegen geben die meisten Initiativbewerber wieder ihren Namen preis.

Am stärksten überschüttet wird wohl die Firma Google; dort wird die Zahl an Initiativbewerbungen laut "Zeit.de" auf jährlich über eine Million weltweit geschätzt. Das Imperium schlägt zurück und zwar mit seinen Hits zum Stichwort Initiativbewerbung: "ungefähr 1,5 Millionen" und das mit einem erstaunlichen Wimpernschlag von 0,12 Sekunden. Wobei ich diesen Wert nicht nachgezählt habe.

Abgelehnte Initiativbewerber

Bei Google wird übrigens jeder Bewerberlebenslauf vor einer Einstellung final vom Konzernboss Larry Page höchstpersönlich abgecheckt und dann oft abgelehnt, so der deutsche Personalchef kürzlich im Interview mit "Karriere Spiegel".

Bei mir lehne ich sämtliche Initiativbewerber kategorisch ab. Als Soloberater bin ich nämlich ganz bewusst ganz alleine unterwegs. Das soll auch so bleiben. Nichtsdestotrotz erhalte ich immer wieder Initiativbewerbungen, die auf den ersten Blick kaum den Eindruck von Massenmail erwecken. Dennoch sind solche Stellengesuche schlampig recherchiert. Jeder auch nur halbwegs bemühte Kandidat müsste recht rasch erkennen, dass seine Mail an mich zwecklos ist. Da der elektronische Versand allerdings dank "Copy and Paste" nicht mehr wie früher die klassische Bewerbungsmappe etwas Mühe, Porto und Papier kostet, drücken der eine oder die andere lieber einmal zu viel auf die Senden-Taste.

Logik des neuen Lebens in der Netzwerk-Welt

So klingt zumindest die Rückmeldung von jenen, bei denen ich voller Neugier dann doch anrufe. "Vielleicht kennen sie jemanden, der jemanden wie mich gerade sucht", lautet deren Erklärung. Das ist die Jemand-Jemand-Logik aus der Welt sozialer Netzwerke. Solche Bewerber beherzigen immerhin die Karriereweisheit Nummer Eins sämtlicher Ratgeber: Erzähle möglichst vielen Leuten, dass du auf der Suche bist. Dies soll bekanntlich bei der Partner- und Wohnungssuche ebenfalls besonders gut funktionieren.

Initiativbewerbungen sind per se etwas Gutes, denn sie zeigen Energie, Tatkraft und Interesse. Aber gerade deswegen sollten sie nicht durch wahllose Beliebigkeit die Streuverluste bewusst einkalkulieren. So etwas nervt 99 Prozent der Empfänger.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.