Arbeitswelten 2050: Ökologische Regionalisierung

Nachhaltige Kreislaufwirtschaft statt Globalisierung: Die Angst vor dem Klimawandel bringt ein radikales Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft mit sich, so die Annahme im Zukunftsszenario "Ökologische Regionalisierung" des BMBF-Zukunftskreises. Wie würde in diesem Szenario die Arbeitswelt aussehen?

Szenarien sind zugespitzte Darstellungen möglicher Zukünfte. Sie fokussieren sich bewusst auf einzelne Aspekte und Treiber, wodurch notwendigerweise andere Aspekte in der Beschreibung weniger starke Gewichtung finden. Dies gilt auch für das Szenario der "Ökologischen Regionalisierung", das sich bewusst trennscharf von den anderen fünf im Prozess entwickelten Szenarien abgrenzt.

Szenario: Angst vor Klimawandel führt zu ökologischer Regionalisierung

Dem Szenario liegt die Dynamik zugrunde, dass eine Vervielfachung von Extremwetterereignissen die Angst vor dem Klimawandel derart steigert, dass diese zu einem radikalen gesellschaftlichen Umdenken führt. Das Wirtschaftssystem in Deutschland richtet sich unter dem Druck von lokal organisierten Graswurzelbewegungen mehr und mehr an den Leitbildern der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft aus. Die neue freiwillige Bereitschaft zum Verzicht führt sukzessive auch zu einer Neudefinition von zentralen Parametern zur Messung der Wirtschaftsleistung, etwa des Verständnisses von Wohlstand oder dessen, was als Statussymbol gilt. So ist Zeitwohlstand vielerorts wichtiger als großer materieller Wohlstand. Zugleich kommt es im Zuge einer "Wiederannäherung an die Natur" zu einer De-Urbanisierung und einer starken Orientierung an regionalen Wirtschaftsformen und -kreisläufen.

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Eine derartig umfassende Neuorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft, wie in diesem Szenario beschrieben, wäre natürlich auch mit massiven Konsequenzen für die Arbeitswelt verbunden. In der Logik des Szenarios befindet sich Deutschland in einer Umbruchsdynamik, die einen Paradigmenwechsel im Wirtschaftssystem und eine Etablierung neuer Narrative nach sich zieht. Das Land, das auf seine Exportweltmeisterschaft immer stolz war, muss sich unter dem Druck der Graswurzelbewegungen neu erfinden. Die sukzessive Transformation der Wirtschaftsstruktur in Deutschland von einer auf Globalisierung zugeschnittenen Struktur hin zu regionalisierten und nachhaltigeren Wirtschaftskreisläufen, die sich am Leitbild der Kreislaufwirtschaft orientieren, zieht (teils konfliktträchtige) Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt nach sich.

Globale Konzerne als Verlierer der ökologischen Transformation

Während die Zahl der Selbstständigen und Beschäftigten in kleineren lokalen Unternehmen steigt, kommt es zu Entlassungen in den "Verliererbranchen" der Transformation. Global operierende Konzerne müssen sich entscheiden, ob sie einen Umbau hin zu den neuen Leitbildern vollziehen oder ob sie Standorte in Deutschland schließen und ihre Zentralen in andere Länder verlagern. Zudem gibt es Branchen, die unter dem neuen Verzichtsideal leiden: Der vermehrte Verzicht auf Fleisch oder Flugreisen führt beispielweise bei Metzgereien, der Fleischindustrie, der Tourismusbranche oder auch bei Fluggesellschaften zu Entlassungen und Insolvenzen. Auch konventionelle Landwirtinnen und Landwirte, die sich nicht am Leitbild der bio-dynamischen Agrarwirtschaft ausrichten, haben einen schweren Stand und sehen sich in ihren Regionen einem starken sozialen Druck ausgesetzt.

Kooperative Wirtschaftsformen nehmen zu

Zugleich experimentieren in diesem Szenario immer mehr Menschen und Unternehmen mit kooperativen Wirtschaftsformen. Genossenschaften und Firmen in der Rechtsform des Verantwortungseigentums nehmen zahlenmäßig stark zu. Auch das Sozialunternehmertum wird – wahrscheinlich unter entsprechender Mithilfe der Medien – zu einem neuen Ideal erhoben. Milton Friedmans Maxime "The business of business is business" träfe bei einer umfassenden ökologischen Regionalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft dagegen kaum noch auf Zustimmung.

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Klassische Karriere- und Berufswege, wie wir sie heute kennen, haben in einer solchen Zukunft an Attraktivität verloren. Stattdessen würde Erfolg als Erbringung eines gesellschaftlichen und ökologischen Mehrwerts definiert, womit auch entsprechende Anerkennung und Wertschätzung verbunden ist. Arbeit soll in diesem Szenario auf zwei Ebenen sinnstiftend wirken: sowohl individuell als auch für die regionale Gemeinschaft. Prinzipien des "New Work", wie etwa Achtsamkeit, Purpose-Orientierung, kollektive Führung, flache Hierarchien, dezentrale Entscheidungsprozesse oder transparente Vergütungssysteme, halten flächendeckend Einzug. Eine solche Arbeitswelt beruht auf einem Menschenbild, das sich maßgeblich an der "Theorie Y" von Douglas McGregor orientiert und davon ausgeht, dass Menschen von sich aus Eigeninitiative zeigen, Verantwortung übernehmen und eigene Potenziale ausschöpfen wollen. Zugleich gibt es in diesem Zukunftsbild auch einen starken sozialen Druck auf Belegschaften und Selbstständige, dem Idealbild des "New Workers" zu entsprechen.

Neue Blickwinkel auf die Automatisierung

In der Arbeitswelt eines solchen Szenarios wäre eine stärkere sozial-ökologische Ausrichtung des Tertiär- und Quartärsektors die Folge. Soziale Berufe würden eine Aufwertung erfahren, ohne dass sich dies zwangsläufig monetär niederschlagen muss. Auch im Nachhaltigkeitssektor würde eine Vielzahl von neuen Jobs entstehen. Neu geschaffene Qualifikationsagenturen sollen die Menschen dabei unterstützen, Kompetenzen und Qualifikationen für neue Tätigkeiten zu erlangen. In diesem Szenario würde es zudem zu Perspektivwechseln mit Blick auf die Automatisierung kommen.  In manchen Kommunen wird mit Blick auf die Besteuerung der Arbeit auch kein Unterschied mehr gemacht, ob Arbeit von Menschen oder Maschinen geleistet wird – was eine Erhebung einer Daten- und Maschinensteuer als örtliche Aufwand- und Verbrauchsteuer zur Folge hat.

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Durch die gestiegene Bedeutung des Zeitwohlstands ist auch die Angst vor den Folgen der Automatisierung stark gesunken. Zudem werden die Potenziale der Automatisierung vor allem in genossenschaftlich organisierten Betrieben dazu genutzt, verbliebene Arbeit innerhalb der Belegschaft neu zu verteilen, wodurch die Arbeitszeit für alle gesenkt werden kann. Da dies jedoch nicht in allen Branchen gleichermaßen umsetzbar ist, entwickeln sich neue soziale Unterschiede – neue Begrifflichkeiten wie "Zeitarmut" und "Zeitwohlstandsschere" prägen den öffentlichen Diskurs. Doch dort, wo die Regelarbeitszeit gesenkt wird, werden Freiräume für Weiterbildung und Selbstverwirklichung geschaffen. Bildung und Kompetenzaufbau sind oftmals intrinsisch motiviert und basieren auf eigenen Interessen – und dienen somit der Selbstverwirklichung und individuellen Sinnstiftung. Zugleich orientiert sich Selbstverwirklichung häufig aber an dem, was soziale Anerkennung und Wertschätzung verspricht.

Hintergrund: "Strategische Vorausschau" des BMBF-Zukunftskreises

Die "Ökologische Regionalisierung" ist eines von sechs Szenarien, die der Zukunftskreis und das Zukunftsbüro des Bundesforschungsministeriums im Rahmen der "Strategischen Vorausschau" entworfen hat. Basis für die Szenarien ist die BMBF-Studie "Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land".

Den ausführlichen Studienbericht mit allen sechs Szenarien finden Sie hier.


Zu den Autoren:

Michael Astor ist Partner der Prognos AG und Direktor Wirtschaft, Innovation, Region. Die Prognos AG und Z_punkt bilden gemeinsam das Zukunftsbüro des BMBF im laufenden Foresight-Prozess.

Christian Grünwald ist Foresight Director bei Z_punkt The Foresight Company. 


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